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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Feuernacht und Fußball

Öster­reich gegen Ita­li­en. Eine histo­ri­sche Kon­stel­la­ti­on. Schon im Gebirgs­krieg zwi­schen Öster­reich-Ungarn und Ita­li­en von 1915 bis 1917 ver­lief die Front durch die Dolo­mi­ten. Ich habe vor eini­gen Jah­ren in Ossietzky dar­über geschrie­ben. In dem Krieg fiel am auch im tief­sten Win­ter bei här­te­stem Frost umkämpf­ten Berg Patern­ko­fel bei Sex­ten im Hoch­pu­ster­tal der Groß­va­ter mei­ner dor­ti­gen Hotel­wir­tin, ein bekann­ter Berg­stei­ger. Er kämpf­te auf öster­rei­chi­scher Sei­te. Nach ihm ist seit weni­gen Jah­ren die Drei-Zin­nen-Hüt­te benannt, ist er doch für die Ein­hei­mi­schen noch immer ein Freiheitskämpfer.

Für vie­le der Süd­ti­ro­ler und Süd­ti­ro­le­rin­nen begann die Unfrei­heit 1918 mit der Auf­lö­sung der Dop­pel­mon­ar­chie. Der völ­ker­recht­li­che Weg führ­te weg von den histo­risch gewach­se­nen Bin­dun­gen vor allem an Öster­reich, aber auch an Deutsch­land. Süd­ti­rol gehör­te von da an zu Ita­li­en, heu­te als Auto­no­me Pro­vinz Bozen-Südtirol.

Für vie­le der heu­ti­gen Süd­ti­ro­ler und Süd­ti­ro­le­rin­nen dau­ert die Unfrei­heit an. Das zeig­ten exem­pla­risch die letz­ten Wochen. Als sich am Frei­tag, dem 11. Juni, zum 60. Mal die »Feu­er­nacht« jähr­te, »die­ses für ganz Tirol prä­gen­de Ereig­nis, einer der wich­tig­sten Ein­schnit­te in die Süd­ti­ro­ler Geschich­te des 20. Jahr­hun­derts« (Süd­ti­rol NEWS), ließ der Süd­ti­ro­ler Schüt­zen­bund im gan­zen Land Strom­ma­sten rot beleuch­ten: als »Dank und Aner­ken­nung für jene Män­ner und Frau­en, die für die Frei­heit unse­res Lan­des so gro­ße Opfer gebracht haben«.

Die rote Beleuch­tung soll­te »aber auch an die Poli­zei­ge­walt erin­nern, der damals das Süd­ti­ro­ler Volk aus­ge­setzt war. Durch die Poli­zei­ge­walt gab es Ver­letz­te und Tote. Bis heu­te hat sich das offi­zi­el­le Ita­li­en noch nie für die­se Taten ent­schul­digt.« Die Beleuch­tung soll jedoch zugleich »für die gewalt­freie Umset­zung des Stre­bens nach mehr Frei­heit und Unab­hän­gig­keit« gestan­den haben. Ein Nach­satz wie ein Fei­gen­blatt, zusätz­lich betont mit einem Hin­weis auf die demo­kra­ti­sche Gesin­nung der Schützen.

Toni Ebner, Chef­re­dak­teur der Tages­zei­tung Dolo­mi­ten, sah sich ver­an­lasst, dage­gen zu hal­ten. In einem Leit­ar­ti­kel benann­te er »die Opfer und die wah­ren Hel­den der Feu­er­nacht«: »Die Spren­gung der Strom­ma­sten hat zwar für inter­na­tio­na­les Auf­se­hen gesorgt. Die Durch­set­zung der berech­tig­ten For­de­run­gen der Süd­ti­ro­ler wur­de mit die­sen Anschlä­gen aber gefährdet.«

Ebner: »Damals wur­de Süd­ti­rol zu einem Pul­ver­fass. Ver­schie­de­ne Kräf­te in Öster­reich, Deutsch­land und Ita­li­en ver­such­ten die Lun­te zu zün­den, damit es zum Bür­ger­krieg kommt. Was oft idea­li­stisch gesinn­te Män­ner und Frau­en mit Anschlä­gen auf Strom­ma­sten, Gebäu­de und Denk­mä­ler begon­nen hat­ten, ende­te im Ter­ror. Natio­na­li­sten bei­der Sei­ten schür­ten den Kon­flikt, und Geheim­dien­ste aus Ost und West misch­ten flei­ßig mit. Man woll­te den Bür­ger­krieg mit vie­len Toten wie im Bas­ken­land oder in Nordirland.«

»33 Tote, über 60 Ver­letz­te, zer­stör­te Fami­li­en, ver­zwei­fel­te Ehe­frau­en und ver­schreck­te Kin­der auf bei­den Sei­ten sowie durch Fol­ter gede­mü­tig­te Män­ner, har­te Gefäng­nis­stra­fen, die Ver­pflich­tung, vie­le Mil­li­ar­den Lire Scha­den zu erset­zen, und daher mit Hypo­the­ken bela­ste­te Höfe, Häu­ser und Woh­nun­gen. Die Leid­tra­gen­den der Süd­ti­ro­ler Bom­ben­jah­re waren die Fami­li­en auf bei­den Sei­ten, die Tote zu bekla­gen hat­ten. Und Opfer waren die Müt­ter und Väter, Frau­en und Kin­der der Atten­tä­ter der 60er Jahre.«

Und er mahnt: »Die Atten­ta­te und somit die Gewalt soll­ten daher nicht ver­herr­licht wer­den. Es soll­te viel mehr derer gedacht wer­den, die unter die­sen Atten­ta­ten gelit­ten haben und teil­wei­se auch heu­te noch lei­den. Das sind die wah­ren Hel­den der Feuernacht.«

14 Tage spä­ter schrei­ben wir den 26. Juni. Es ist ein Sams­tag, und erneut heißt es: Öster­reich gegen Ita­li­en. Dies­mal bei der Fuß­ball-Euro­pa­mei­ster­schaft. Es geht um den Ein­zug ins Vier­tel­fi­na­le. Und die Süd­ti­ro­ler sehen sich in der Bre­douil­le, zumin­dest die Heim-ins-(Öster)-Reich-Tiroler. Toni Ebners Zei­tung bringt das Pro­blem auf den Punkt: »Da spie­len aus Süd­ti­ro­ler Sicht vie­le Emo­tio­nen mit. In wel­cher Fan­grup­pe im Lon­do­ner Wem­bley-Sta­di­on wür­den Sie ste­hen, und wel­che Natio­nal­elf wer­den Sie von daheim aus anfeu­ern?« Kurz­um: »Wem drücken Sie die Daumen?«

Das Ergeb­nis der Umfra­ge ist mir nicht bekannt, das des Fuß­ball­spiels schon: 2:1 für Ita­li­en. Trost­pfla­ster für die Öster­reich-Anhän­ger: Die ÖFB-Elf konn­te bis zur 96. Minu­te der Ver­län­ge­rung der Squa­dra Azzur­ra standhalten.

In der Nacht nach dem ita­lie­ni­schen Ach­tel­fi­nal-Sieg kam es in der Süd­ti­ro­ler Lan­des­haupt­stadt Bozen zu Unru­hen. »100 bis 150 gewalt­be­rei­te Per­so­nen«, so heißt es, »Stö­ren­frie­de der anson­sten fried­li­chen Sie­ges­fei­er­lich­kei­ten«, grif­fen die mit »Schild, Helm und Schlag­stöcken aus­ge­rü­ste­ten Ord­nungs­hü­ter« an. Als Unru­he­stif­ter wur­den die »Tifo­si« genannt, ita­lie­ni­schen Fans. Ande­re »Aggres­so­ren« wur­den erken­nungs­dienst­lich und durch die Aus­wer­tung von Video­ma­te­ri­al als »Per­so­nen mit Wur­zeln im Aus­land, die aber in Ita­li­en gebo­ren wur­den«, iden­ti­fi­ziert. Man nimmt es genau: kei­ne Süd­ti­ro­ler dabei, zumin­dest kei­ne ech­ten. Und Schüt­zen mit Sicher­heit auch nicht. Bozens Bür­ger­mei­ster nann­te die Vor­fäl­le einen »kul­tu­rel­len Rückschritt«.

Nach dem fuß­bal­le­ri­schen Brexit Eng­lands im End­spiel um die Euro­pa­mei­ster­schaft über­wog aller­dings die Freu­de über den Sieg Ita­li­ens (3:2 im Elf­me­ter­schie­ßen). In Bozen wur­de aus­ge­las­sen gefei­ert, Kra­wal­le blie­ben dies­mal aus.

Sie­he auch: Ossietzky, Heft 14/​2014 »Bau­ern, Berg­füh­rer, Bom­ben« und Heft 5/​2021 »A la Tyrolienne«.