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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Germany first?

»Ame­ri­ca first« – die­ser von US-Prä­si­dent Donald Trump auf jeder Sil­be beton­te und mehr­fach wie­der­hol­te Schlacht­ruf ist ein Mar­ken­zei­chen aktu­el­ler US-Poli­tik. Inter­es­san­ter­wei­se war der Slo­gan von Trump nicht wie gewohnt mili­tä­risch gemeint, son­dern öko­no­misch – wenn auch gera­de in den USA bei­des enger mit­ein­an­der ver­knüpft ist als in ande­ren west­li­chen Staa­ten. Das öko­no­mi­sche Man­tra eines neu­en Pro­tek­tio­nis­mus ver­schafft Trump Popu­la­ri­tät und Wählerstimmen.

Der bun­des­deut­schen Poli­tik-Pro­mi­nenz dient Trumps Slo­gan dage­gen als Pro­jek­ti­ons­flä­che für das, was man angeb­lich auf gar kei­nen Fall will. Er dient ihr als hilf­rei­ches Bei­spiel, um sich von einer Poli­tik abzu­gren­zen, für die man hier­zu­lan­de wahr­lich nicht ste­hen will, näm­lich den natio­na­len Vor­teil über alles zu stellen.

Tat­säch­lich steht die deut­sche Poli­tik der US-Poli­tik in nichts nach, wenn es um die Durch­set­zung unse­rer Welt­markt­stel­lung auf den Export­märk­ten geht. Da ken­nen deut­sche Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker kei­ne Hem­mun­gen, weder innen­po­li­tisch noch außen­po­li­tisch. Aber in Bezug auf die öffent­li­che Wahr­neh­mung bemü­hen sie sich sorg­fäl­tig, die nach­tei­li­gen Fol­gen für Demo­kra­tie, Rechts­staat und die Betrof­fe­nen im In- und Aus­land zu kaschie­ren. So erschien in den Aus­ein­an­der­set­zun­gen um TTIP und CETA tat­säch­lich selbst bis in lin­ke Krei­se hin­ein nicht Deutsch­land als wesent­li­cher Antrei­ber und Motor der Frei­han­dels-abkom­men, son­dern die USA mit ihrem berüch­tig­ten »Chlor­hühn­chen«.

Nur vor­nehm­lich dann, wenn Ansprü­che an den Sozi­al­staat, eine ver­nünf­ti­ge Infra­struk­tur, eine alter­na­ti­ve Steu­er­po­li­tik oder an öko­lo­gi­sche Stan­dards laut wer­den, wird von den Regie­run­gen das Argu­ment der uner­läss­li­chen Kon­kur­renz­fä­hig­keit aus­ge­packt. Nur die­se siche­re all unse­re Annehm­lich­kei­ten und gewähr­lei­ste unse­ren Sozi­al­staat. Und da die­se Kon­kur­renz­fä­hig­keit stän­dig bedroht ist und täg­lich neu gefe­stigt wer­den muss, bedarf es star­ker Ell­bo­gen und eines ent­spre­chen­den Den­kens und Verhaltens.

Koope­ra­ti­ons­fä­hig­keit, Inte­gra­ti­on, gar Inklu­si­on müs­sen im Zwei­fel dahin­ter zurück­ste­hen, eben­so wie Gemein­gü­ter oder Soli­da­ri­tät. Man kann nicht alles haben!

Wenn aller­dings die öko­no­misch-poli­ti­sche Maxi­me »Ger­ma­ny first« zur Über­le­bens­fra­ge des deut­schen Wirt­schafts­sy­stems erklärt wird, und wenn Alter­na­ti­ven gleich­zei­tig tabui­siert oder mit gesetz­ge­be­ri­schen Tricks ver­hin­dert wer­den, dann ist es um Demo­kra­tie und sozia­len Zusam­men­halt der Gesell­schaft schlecht bestellt. Selbst der Rechts­staat wird dann in den zwei­ten Rang ver­wie­sen. Allein Letz­te­res ist beäng­sti­gend genug, wie die fol­gen­den Bei­spie­le zeigen:

Ein unter Top-Kon­zer­nen allem Anschein nach abge­stimm­tes rechts­wid­ri­ges Ver­hal­ten in Bezug auf die Dekla­ra­ti­on von Abgas­wer­ten wur­de zum Skan­dal her­un­ter­ge­spielt. Und es waren aus­ge­rech­net die ver­teu­fel­ten USA, die zivil- und straf­recht­lich dage­gen vorgingen.

Steu­er­hin­ter­zie­hung gilt hier­zu­lan­de nicht als aso­zi­al, die ganz vor­herr­schen­den Wort­prä­gun­gen für den Sach­ver­halt hei­ßen nicht zufäl­lig »Steu­er­pa­ra­dies« und »Steu­er-Oase«. Wer woll­te Men­schen aus einem Para­dies ver­trei­ben oder eine Oase trockenlegen?!

Und bei den Cum-Cum- und Cum-Ex-Geschäf­ten (die übri­gens immer noch lau­fen, wie das Recher­che­zen­trum Cor­rec­tiv nach­ge­wie­sen hat) wur­den die Brand­stif­ter sogar zur Feu­er­wehr gemacht.

Dass ein hes­si­scher Kul­tus­mi­ni­ster, der im Haupt­be­ruf inter­na­tio­na­ler Rechts­exper­te und Hoch­schul­leh­rer ist, die öffent­li­che Gerichts­bar­keit zugun­sten pri­va­ter inter­na­tio­na­ler Schieds­ge­rich­te zurück­drän­gen will, zeigt, für wie bedeut­sam die Rol­le Deutsch­lands als Export­na­ti­on Num­mer eins ein­ge­schätzt wird.

Von daher sto­ßen Umwelt­ak­ti­vi­stIn­nen, Woh­nungs­kam­pa­gne­rIn­nen, Frie­dens­be­weg­te oder die­je­ni­gen, die sich gegen die immer wei­te­re Pri­va­ti­sie­rung öffent­li­cher Güter ein­set­zen, rela­tiv schnell auf Gra­nit. Nicht des­halb, weil die von ihnen vor­ge­schla­ge­nen Wege nicht gang­bar wären, son­dern weil von der ver­öf­fent­lich­ten Mei­nung die­se Wege ent­we­der igno­riert oder so kom­mu­ni­ziert wer­den, dass sich schnell die Angst davor breit­macht, Deutsch­land kön­ne »weg vom Fen­ster sein«. Denn wer sei­ne Rol­le als Welt­markt­num­mer eins ver­spielt, fin­det sich viel­leicht bald als Schluss­licht wie­der. Die »heim­li­che Agen­da« führt zu laten­ter Angst. Und Angst ist kein guter Ratgeber.

Sie kann am besten durch eine brei­te gesell­schaft­li­che Debat­te über Alter­na­ti­ven bezwun­gen werden.

Die Arbeits­grup­pe Alter­na­ti­ve Wirt­schafts­po­li­tik, auch Memo­ran­dum-Grup­pe genannt, ver­sucht dies seit bereits 44 Jah­ren. Sie bohrt mit wis­sen­schaft­li­chem Sach­ver­stand dicke Bret­ter und bie­tet für die zahl­rei­chen Kam­pa­gnen jede Men­ge Andock­mög­lich­kei­ten. Ihre Vor­schlä­ge könn­ten jeder­zeit umge­setzt wer­den, wenn sich eine ent­spre­chen­de gesetz­ge­be­ri­sche Mehr­heit in der Bevöl­ke­rung fin­den wür­de. Noch, denn die natio­nal und inter­na­tio­nal aus­ge­wor­fe­nen Net­ze neh­men zu, wie die »Rutsch­bah­nen in die Pri­va­ti­sie­rung« über staat­li­che Kre­dit­auf­nah­me­ver­bo­te (vul­go »Schul­den­brem­se« oder »Maas­tricht-Kri­te­ri­en«) zeigen.

Die Alter­na­ti­ven wür­den das sozia­le Gefäl­le, das kras­se Ein­kom­mens- und Ver­mö­gens­ge­fäl­le ange­hen und die ver­nach­läs­sig­ten Bedürf­nis­se der Bevöl­ke­rung in Deutsch­land in den Mit­tel­punkt stellen.

Wenn die deut­sche Infra­struk­tur in den Berei­chen Bil­dung, Ver­kehr und preis­wer­ter Wohn­raum schon so gefähr­det ist, dass der Bun­des­ver­band der deut­schen Indu­strie und der Deut­sche Gewerk­schafts­bund zusam­men eine Pres­se­kon­fe­renz abhal­ten, dann muss ja wohl eini­ges schief­lau­fen in die­ser Republik.

»Bin­nen­ori­en­tie­rung« ist kei­ne Absa­ge an den inter­na­tio­na­len Aus­tausch und kein Bekennt­nis zur natio­na­len Abschot­tung, son­dern eine Besin­nung auf die Not­wen­dig­kei­ten und Mög­lich­kei­ten der Bevöl­ke­rung hier.

Sie wür­de gleich­zei­tig auch unse­re Nach­barn ent­la­sten, denen mit der deut­schen Beggar-my-neigh­bour-Poli­tik (mei­nen Nach­barn aus­plün­dern) und der Austeri­täts­po­li­tik gro­ßer Scha­den zuge­fügt wird.

Vor weni­gen Wochen ist Her­bert Storns neu­es Buch erschie­nen: »Ger­ma­ny first! Die heim­li­che deut­sche Agen­da. Wie eine Dok­trin Demo­kra­tie, Rechts­staat und sozia­len Zusam­men­halt bedroht«, Büch­ner-Ver­lag, 252 Sei­ten, 18 €.