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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Heinrich Hannover (1925-2023)

»Zu mei­ner Kli­en­tel gehör­ten auch Ange­klag­te, die dem herr­schen­den Zeit­geist wider­spro­chen und zuwi­der­ge­han­delt hat­ten, Pazi­fi­sten und Anti­mi­li­ta­ri­sten, Kom­mu­ni­sten und lin­ke Sozi­al­de­mo­kra­ten, Anti­fa­schi­sten, Zeu­gen Jeho­vas, revol­tie­ren­de Stu­den­ten und Gewerk­schaf­ter, ›Lan­des­ver­rä­ter‹, Mit­glie­der der RAF und – nach der soge­nann­ten Wen­de – ›staats­na­he‹ Bür­ger der DDR.« Also ein brei­tes Spek­trum am lin­ken Rand der deut­schen Nach­kriegs­ge­sell­schaft. »Und da gab es Anfein­dun­gen, die nicht nur mei­ne Man­dan­ten, son­dern auch deren Ver­tei­di­ger tra­fen und dazu führ­ten, dass die Aus­übung anwalt­li­cher Rede­frei­heit von der stän­di­gen Dro­hung beglei­tet war, mich durch Ehren­ge­richts­ver­fah­ren zur Ord­nung zu rufen, (…) und Ver­däch­ti­gun­gen, Beschimp­fun­gen und Mord­dro­hun­gen zur Fol­ge hat­ten.« Mit die­sen nüch­ter­nen Wor­ten beschrieb Hein­rich Han­no­ver sei­ne beruf­li­che Tätig­keit als Straf­ver­tei­di­ger. Es gibt nicht vie­le her­aus­ra­gen­de poli­ti­sche Straf­ver­tei­di­ger in Deutsch­land, etwa Karl Lieb­knecht oder Hans Lit­ten. Hein­rich Han­no­ver war zwei­fel­los der bedeu­tend­ste Ver­tei­di­ger in der Nach­kriegs­zeit. Ihm blieb das Schick­sal sei­ner bei­den Vor­gän­ger erspart, nun starb er am 14. Janu­ar fried­lich im Alter von 97 Jahren.

Dass er ein­mal Kom­mu­ni­sten und »Staats­fein­de« ver­tei­di­gen wür­de, hat­ten ihm die Eltern aus »gut­bür­ger­li­chem Haus«, wie er es selbst nann­te, sicher­lich nicht vor­be­stimmt. Denn zuhau­se »über­wog die Bewun­de­rung für die Hit­ler, Göring und Goeb­bels und deren mar­ki­ge anti­kom­mu­ni­sti­schen Sprü­che. Mein Freund Gün­ter und ich phan­ta­sier­ten uns in lan­gen Wech­sel­ge­sprä­chen zu Herr­schern erfun­de­ner Län­der, in denen es kei­ne Kom­mu­ni­sten gab, so dass alle herr­lich und in Freu­den leben konn­ten.«. So war er in der Hit­ler­ju­gend, im Reichs­ar­beits­dienst und wur­de im August 1943 zur Wehr­macht ein­ge­zo­gen, bis zur Befrei­ung, die er in eng­li­scher Kriegs­ge­fan­gen­schaft erleb­te. Die Gräu­el, die in die­ser Zeit ver­übt wur­den, hat­ten ihn nach eige­nem Bekennt­nis zum Anti­mi­li­ta­ri­sten und Pazi­fi­sten gemacht. Das war der erste Bruch mit der Welt sei­ner Eltern, die sich 1945 aus Angst vor den Kom­mu­ni­sten das Leben genom­men hat­ten. Das Frie­dens­ge­bot des Grund­ge­set­zes war ihm spä­ter eine der wich­tig­sten Ver­pflich­tun­gen, auf die er immer wie­der pochte.

Das anschlie­ßen­de Stu­di­um und die Berufs­wahl als Immo­bi­li­en­an­walt ver­spra­chen die Fort­füh­rung des bür­ger­li­chen Lebens, wenn nicht aus­ge­rech­net die Ver­tei­di­gung eines Kom­mu­ni­sten, die ihm 1954 als Pflicht­man­dat über­tra­gen wur­de, zum zwei­ten Bruch mit der Fami­lie führ­te und ihn aus die­sem – man muss es wohl so sagen – faschi­sti­schen Denk­mi­lieu riss. Ohne die Wen­dung zum Pazi­fis­mus ist die zwei­te Abwen­dung von der Fami­lie und Hin­wen­dung zur poli­ti­schen Lin­ken kei­ne 10 Jahr spä­ter sicher­lich nicht zu ver­ste­hen. Otto Kirch­hei­mer hat in sei­nem Buch »Poli­ti­sche Justiz« dar­auf hin­ge­wie­sen, dass der Kon­takt zu einer bestimm­ten Kund­schaft am Anfang der beruf­li­chen Lauf­bahn die gan­ze spä­te­re Tätig­keit bestim­men kann. Aber das ver­mag auch nicht zu erklä­ren, wes­we­gen die kom­mu­ni­sti­sche »Kund­schaft« über die zwei­fel­los lukra­ti­ve­re Welt der Immo­bi­li­en sieg­te. Das muss sein tief ver­wur­zel­tes Gerech­tig­keits­ge­fühl bewirkt haben – noch wich­ti­ger sei­ne akti­ve Soli­da­ri­tät mit den klei­nen Leu­ten, den Min­der­hei­ten, Wider­stän­di­gen und Nein-Sagern »der gegen das kapi­ta­li­sti­sche System und neue Ein­mi­schung in Krieg und Völ­ker­mord auf­be­geh­ren­den Gene­ra­ti­on«, wie er selbst schrieb. Die­se poli­ti­sche Par­tei­nah­me auf der Sei­te der Ver­folg­ten und Lin­ken soll­te sei­ne gesam­te foren­si­sche Pra­xis über 40 Jah­re prägen.

So auch sei­ne lite­ra­ri­sche Tätig­keit, die pro­gram­ma­tisch 1962 mit einer Schrift über die »Poli­ti­sche Dif­fa­mie­rung der Oppo­si­ti­on im frei­heit­lich-demo­kra­ti­schen Rechts­staat« begann und die er zwan­zig Jah­re lang fort­führ­te. 1982 erschien sein, gemein­sam mit Gün­ter Wall­raff ver­fass­tes Buch »Die unheim­li­che Repu­blik. Poli­ti­sche Ver­fol­gung in der Bun­des­re­pu­blik«. Denn die »frei­heit­lich-demo­kra­ti­sche Ord­nung« hat­te in die­sen 20 Jah­ren kei­ne Fort­schrit­te gemacht. Dazwi­schen hat­te er 1966 mit sei­ner ersten Ehe­frau Eli­sa­beth Han­no­ver-Drück, einer Histo­ri­ke­rin, ein Stan­dard­werk über die Klas­sen­ju­stiz in der Wei­ma­rer Repu­blik »Poli­ti­sche Justiz 1918-1933« ver­öf­fent­licht. Das Buch ent­fal­tet ein bedrücken­des Pan­ora­ma anti­de­mo­kra­ti­scher, mon­ar­chi­sti­scher Gesin­nungs­ju­stiz, das Han­no­vers Erkennt­nis stütz­te, dass der Faschis­mus nicht von den Rän­dern, son­dern aus der Mit­te der Gesell­schaft kam. Dar­über hin­aus lie­fert es einen wich­ti­gen Bau­stein zum Ver­ständ­nis, wie es zu dem Rück­fall in die Bar­ba­rei kom­men konn­te und wel­che Kräf­te dabei eine beson­de­re Rol­le gespielt haben. Die Neu­auf­la­ge 2019 kommt zur rich­ti­gen Zeit.

Eine bun­des­wei­te Pro­mi­nenz erlang­te er durch sei­ne jahr­zehn­te­lan­ge Prä­senz in den Gerich­ten als Ver­tei­di­ger von Kom­mu­ni­sten, Wider­stands­kämp­fern, Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rern und RAF-Mit­glie­dern – eine oft unan­ge­neh­me Bekannt­heit. Der Ruf etli­cher sei­ner Man­dan­ten bescher­ten dem »Kom­mu­ni­sten- und Ter­ro­ri­sten­an­walt« eine feind­li­che Öffent­lich­keit. So brach­te ihm vor allem das Man­dat von Ulri­ke Mein­hof nicht nur Beschimp­fun­gen und Mord­dro­hun­gen ein, son­dern trieb ihn in erheb­li­che Gewis­sens­prü­fun­gen. Denn er soll­te nicht nur sie, son­dern zugleich »die Pra­xis der RAF« ver­tei­di­gen«. Die Gewalt der RAF konn­te er jedoch mit sei­nem Pazi­fis­mus nicht ver­ein­ba­ren. Es kam zu hef­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zun­gen in der Unter­su­chungs­haft mit dem Ergeb­nis, dass er noch vor Eröff­nung des Haupt­ver­fah­rens das Man­dat nie­der­leg­te. Das Nach­spiel zeigt beson­ders deut­lich die Ver­un­si­che­rung und rat­lo­se Aggres­si­vi­tät der dama­li­gen Gesell­schaft. Wegen »stan­des­wid­ri­gen Ver­hal­tens« wur­de er vom Ehren­ge­richts­hof der Anwalt­schaft zu 3000 DM Geld­bu­ße ver­ur­teilt, da er die Haft­be­din­gun­gen für Ulri­ke Mein­hof als Fol­ter bezeich­net hatte.

Han­no­vers gro­ße und weit­ge­spann­te Pro­zes­s­tä­tig­keit, vom ersten Pro­zess 1954 für einen unbe­kann­ten Kom­mu­ni­sten, den er ver­lor, bis zu einem der letz­ten Pro­zes­se 1993 für einen bekann­ten Kom­mu­ni­sten, Hans Mod­row, den er auch ver­lor, dazwi­schen aber zahl­rei­che erfolg­rei­che Pro­zes­se vor allem für Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer und manch ande­ren unbe­kann­ten und bekann­ten Namen, ist gut doku­men­tiert. Wäh­rend die Pro­zes­se von Karl Lieb­knecht erst jetzt von Mat­thi­as John gesam­melt und in einer mehr­bän­di­gen Edi­ti­on publi­ziert wer­den, hat Hein­rich Han­no­ver in zwei umfang­rei­chen Bän­den »Die Repu­blik vor Gericht 1954-1974 und 1975-1995« den bedeu­tend­sten Teil sei­ner Pro­zes­s­tä­tig­keit mit sei­nen Lebens­er­in­ne­run­gen zu einem illu­si­ons­los kri­ti­schen Spie­gel bun­des­deut­scher Geschich­te verbunden.

Mit der Zeit erkann­te auch die­se Repu­blik, zumin­dest ihre libe­ra­len Ver­tre­ter, wel­che Bedeu­tung die­ser gro­ße unbe­que­me Anwalt für ihre Demo­kra­tie und den Rechts­staat hat­te. Er erhielt etli­che Prei­se. In der Zeit, als ich einen mei­ner Stu­den­ten an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät in Berlin/​DDR pro­mo­vie­ren konn­te, da sei­ne Dis­ser­ta­ti­on an der hei­mi­schen Uni­ver­si­tät in Ham­burg kei­ne Chan­ce hat­te, bekam Hein­rich Han­no­ver die Ehren­dok­tor­wür­de der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät, die ihm die wert­voll­ste von all den zahl­rei­chen Ehrun­gen war, die er in spä­te­rer Zeit erhielt.

Der letz­te Preis, der ihm 2019 über­reicht wur­de, war das Ehren-Tüd­del­band des Lite­ra­tur­fe­sti­vals Har­bourfront Ham­burg. Das war über­fäl­lig, denn sei­ne in über 20 Büchern gesam­mel­ten poe­tisch-absur­den Kin­der­ge­schich­ten kön­nen auch enkel­lo­se Zeit­ge­nos­sen heu­te noch erfreu­en. Sei­nen Kin­dern Almut, Bet­ti­na, Hei­ner, Irmela und Jant­je sei Dank, sie sol­len sei­ner Inspi­ra­ti­on auf die Sprün­ge gehol­fen haben.

Und auch das: Hein­rich spiel­te gern. Wenn wir mit sei­ner zwei­ten Frau Doret­te, mit Jut­ta Bau­er, Gerd Sieb­ecke und mei­ner Frau Kat­rin Magnitz in Worps­we­de oder Ham­burg zusam­men am Tisch saßen und spiel­ten, war es laut und fröh­lich. Wer Hein­rich Han­no­ver gekannt hat, wird sich immer an sein schal­lend herz­li­ches Lachen erin­nern. Denk ich an Hein­rich, höre ich sein Lachen, und dann ist mir wohl ums Herz.