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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ich habe Angst

Der Sonn­tag vor dem rus­si­schen Ein­marsch in die Ukrai­ne: In der Talk­run­de bei Anne Will soll es eigent­lich noch um die Fra­ge gehen, wie mit diplo­ma­ti­schen Mit­teln ein Krieg zu ver­hin­dern ist. Doch als Sahra Wagen­knecht ver­sucht, die rus­si­sche Per­spek­ti­ve dar­zu­stel­len, bre­chen der CDU-Mann Nor­bert Rött­gen und die Publi­zi­stin Con­stan­ze Stel­zen­mül­ler in Geläch­ter aus. Und SPD-Mann Lars Kling­beil ver­dreht die Augen. Die Bedro­hung der rus­si­schen Sicher­heits­in­ter­es­sen durch die Ost­erwei­te­rung der Nato, durch die Auf­stel­lung von Rake­ten­ba­sen in Polen und Rumä­ni­en oder durch die fort­ge­setz­te Auf­kün­di­gung von Abrü­stungs­ver­trä­gen von Sei­ten der USA scheint für die­se Drei nur ein Witz. Eben­so wie Wagen­knechts Plä­doy­er für ein west­li­ches Ent­ge­gen­kom­men, für eine neue und gleich­be­rech­tig­te euro­päi­sche Frie­dens­ord­nung. Das Geläch­ter ist nicht nur unhöf­lich und über­heb­lich, es macht mir Angst. Es klingt nach Krieg. Der Frie­den scheint schon auf­ge­ge­ben. Man will nicht mehr dar­über nach­den­ken, was Putin anzu­bie­ten wäre, damit er sei­ne Kriegs­plä­ne fal­len lässt, man will nur noch dar­über reden, dass Putins Han­deln zu ver­ur­tei­len ist.

Inzwi­schen herrscht Krieg. Und mei­ne Angst wächst. Nicht vor Atom­bom­ben auf deut­sche Klein­gar­ten­an­la­gen oder davor, dass Putin ins Kanz­ler­amt ein­zieht – eine in sozia­len Netz­wer­ken zu lesen­de Befürch­tung. Ich habe Angst vor der Ver­ro­hung unse­rer Gesell­schaft, die schon in den Tagen vor Kriegs­be­ginn deut­lich zu erken­nen war. Posi­tio­nen wie die von Wagen­knecht wur­den lächer­lich gemacht; Fra­gen nach der Vor­ge­schich­te, nach den poli­tisch-psy­cho­lo­gi­schen Ursa­chen des eska­lie­ren­den Kon­flik­tes oder nach den mög­li­chen Inter­es­sen der USA an einem Krieg waren schon da nicht mehr erlaubt, waren nicht mehr denk­bar. Mit har­schen Tönen steck­te zum Bei­spiel CDU-Chef Merz den aus sei­ner Sicht zuläs­si­gen Mei­nungs­kor­ri­dor ab: Wer auch der Nato eine Teil­schuld an der Eska­la­ti­on gebe, mache sich »zum Werk­zeug von Putins Pro­pa­gan­da« und zum »nütz­li­che Idio­ten«. Die­je­ni­gen, die nach einer Alter­na­ti­ve zum Krieg durch eine neue und gemein­sa­me Sicher­heits­ar­chi­tek­tur Euro­pas suchen woll­ten, nach einem Punkt, an dem für bei­de Sei­ten wie­der eine Ver­stän­di­gung mög­lich sein könn­te, muss­ten sich als »fünf­te Kolon­ne Mos­kaus« beschimp­fen las­sen. In den gedruck­ten oder online gestell­ten Schlag­zei­len wur­de Putin als »wahn­sin­nig« oder »krank« bezeich­net, in einer (ande­ren) Talk­run­de wur­de dar­über spe­ku­liert, ob er mit Ste­ro­iden, also mit Hor­mo­nen, behan­delt wer­de. Ver­ba­le Auf­rü­stung gegen das »Mon­ster« Putin. Denn mit einem Wahn­sin­ni­gen kann man schließ­lich nicht mehr ver­han­deln. Dämo­ni­sie­rung statt Diplo­ma­tie. Das macht mir Angst.

Nur zwei Tage nach dem Ein­marsch der rus­si­schen Trup­pen am 24. Febru­ar wur­de von der Ampel-Regie­rung mit der Ankün­di­gung von Waf­fen­lie­fe­run­gen in die Ukrai­ne das bis­he­ri­ge (offi­zi­el­le) deut­sche Nein zu Waf­fen­lie­fe­run­gen in Kri­sen­ge­bie­te vom Tisch gefegt. Und einen Tag spä­ter wur­de Kanz­ler Scholz im Bun­des­tag mit ste­hen­den Ova­tio­nen für sei­ne mas­si­ven Auf­rü­stungs­plä­ne gefei­ert: 100 Mil­li­ar­den Euro für unse­re Armee. Das größ­te Auf­rü­stungs­pro­gramm seit Grün­dung der Bun­des­wehr 1955. Von nun an, so Scholz, wer­de Deutsch­land »Jahr für Jahr mehr als zwei Pro­zent des Brut­to­in­lands­pro­dukts in unse­re Ver­tei­di­gung inve­stie­ren«. »Super, Scholz!« titel­te die BILD-Zei­tung, »den Schuss gehört« lob­te die FAZ, »plötz­lich hat er von Dia­log auf Kon­fron­ta­ti­on, von Träu­me­rei auf Auf­rü­stung, von SPD-Poli­ti­ker auf Staats­mann umge­schal­tet« kom­men­tier­te der FOCUS. Und auch die USA fei­ern Scholz für sei­ne Kehrt­wen­de, für das Ende der hun­dert­jäh­ri­gen anti­mi­li­ta­ri­sti­schen Tra­di­ti­on der SPD. Die New York Times spricht von »einem Tag, der in die Geschich­te ein­ge­hen wird«, das Wall­street Jour­nal gar von einer »gött­li­chen Erleuch­tung«. Auf­rü­stung statt Abrü­stung. Das macht mir Angst.

Auch die EU hat den »Schuss gehört«. Ende Febru­ar und Mit­te März bewil­lig­te sie jeweils 500 Mil­lio­nen Euro für die Lie­fe­rung von Waf­fen und Aus­rü­stung an die ukrai­ni­schen Streit­kräf­te. In der ersten März­hälf­te haben Frank­reich und Bel­gi­en hun­der­te Sol­da­ten nach Rumä­ni­en, an die »Ost­flan­ke« der Nato ent­sandt. US-Sol­da­ten wer­den eben­falls ein­ge­flo­gen. In den Nato-Trup­pen­stütz­punkt Câm­pia Tur­zii, in der Nähe der Stadt Cluj, wer­den gera­de 500 Mil­lio­nen Euro inve­stiert, aus den USA kom­men 150 Mil­lio­nen Dol­lar. Buka­rest schickt nicht nur mili­tä­ri­sche Aus­rü­stung ins Nach­bar­land. Mili­tär­flug­zeu­gen und Hub­schrau­bern aus der Ukrai­ne wur­de erlaubt, auf rumä­ni­schen Stütz­punk­ten zu lan­den, also die Nato-Infra­struk­tur zu nutzen.

Mehr als ein Dut­zend Staa­ten lie­fern der Ukrai­ne bereits Kriegs­ge­rät. Und schon lan­ge vor dem Angriff durch Russ­land haben die USA ihre Waf­fen­lie­fe­run­gen in die Ukrai­ne stark aus­ge­wei­tet, abge­se­hen von den drei Mil­li­ar­den Dol­lar Mili­tär­hil­fe, die die USA der Ukrai­ne nach dem Ein­marsch der Rus­sen auf der Halb­in­sel Krim im Jahr 2014 zur Ver­fü­gung stell­ten. Und auch Weiß­russ­land, das Bal­ti­kum oder Polen sol­len auf­ge­rü­stet wer­den. Es läuft bestens für die Rüstungs­in­du­strie. Das macht mir Angst.

Der ukrai­ni­sche Prä­si­dent Selen­skyj hat sei­nen Anzug mal gegen einen schlamm­far­be­nen Pull­over, mal gegen ein oliv­grü­nes T-Shirt aus­ge­tauscht. Er ver­schickt Sel­fies vor bekann­ten Plät­zen in der Haupt­stadt Kiew und täg­li­che Video­bot­schaf­ten über die aktu­el­le Lage. Die von Donald Trump erfun­de­ne Staats­füh­rung über die sozia­len Medi­en hat Selen­skyj auf ein neu­es Level geho­ben. Der ehe­ma­li­ge Schau­spie­ler, Komi­ker und Gewin­ner der ukrai­ni­schen Ver­si­on von Let’s Dance ver­steht es, sich zu insze­nie­ren. In den sozia­len Netz­wer­ken zeigt er sich nah­bar, mutig und kämp­fe­risch, ein Held aus der Mit­te der Bevöl­ke­rung. Auf Twit­ter fol­gen dem »Cap­tain Ukrai­ne«, wie Selen­skyj in Anleh­nung an den Mar­vel-Hel­den Cap­tain Ame­ri­ca gefei­ert wird, über fünf Mil­lio­nen Men­schen. Auf Insta­gram sind es über 15 Mil­lio­nen. Sei­ne State­ments postet Selen­skyj immer zwei­mal – auf Eng­lisch und Ukrai­nisch. Zum Bei­spiel die Ant­wort auf die Auf­for­de­rung der Ame­ri­ka­ner, aus Sicher­heits­grün­den das Land zu ver­las­sen: »Der Kampf ist hier. Ich brau­che Muni­ti­on, kei­ne Mit­fahr­ge­le­gen­heit.« Der ukrai­ni­sche Prä­si­dent beherrscht die welt­wei­te media­le Selbst­in­sze­nie­rung wie wohl nie­mand zuvor. Wes­we­gen er in kur­zer Zeit zum glo­ba­len Hel­den auf­ge­stie­gen ist. Zum Inter­net-Star. Zum Kriegs-Influen­cer. Das wirkt anzie­hend auf wei­te­re Möch­te­gern-Hel­den. Für die­je­ni­gen Aus­län­der, die in der Ukrai­ne für »die Frei­heit« kämp­fen wol­len oder ein­fach nur das gro­ße Aben­teu­er Krieg suchen, hat Selen­skyj eine Inter­na­tio­na­le Bri­ga­de ins Leben geru­fen. Und sie kom­men von über­all: Aben­teu­rer, selbst ernann­te Idea­li­sten, blu­ti­ge Anfän­ger wie erfah­re­ne Sol­da­ten. Und Söld­ner, die von einem Krieg in den ande­ren zie­hen und vor allem finan­zi­el­le Inter­es­sen ver­fol­gen. Außer­dem ideo­lo­gisch moti­vier­te Kämp­fer, die sich den rechts­extre­men para­mi­li­tä­ri­schen Grup­pie­run­gen in der Ukrai­ne anschließen.

Im Netz kur­sie­ren Bil­der, die zei­gen, wie Zivi­li­sten gegen rus­si­sche Sol­da­ten kämp­fen: Män­ner in Trai­nings­an­zü­gen lau­fen mit Kalasch­ni­kows in den Hän­den durch die Stra­ßen. Jugend­li­che errich­ten Stra­ßen­bar­ri­ka­den aus Auto­rei­fen und ver­streu­en Krä­hen­fü­ße. Vor allem jun­ge Men­schen, so legen Befra­gun­gen nah, fin­den die­ses Rea­li­ty-TV äußerst span­nend. Welt­weit wer­den die Men­schen in der Ukrai­ne für ihren Mut und für ihre Wider­stands­fä­hig­keit gefei­ert. Dau­men hoch! Aber Zivi­li­sten in den Krieg zu schicken, birgt nicht nur das Risi­ko, dass schlecht aus­ge­bil­de­te und ein­fach aus­ge­rü­ste­te Frei­wil­li­ge ster­ben, ver­wun­det oder trau­ma­ti­siert wer­den, es ver­letzt auch das Kriegsvölkerrecht.

Krieg ver­langt nach Hel­den. Doch weder die Frei­wil­li­gen noch die Zivi­li­sten, weder die ukrai­ni­schen noch die rus­si­schen Sol­da­ten wer­den zurück­keh­ren, wie sie in den Krieg gegan­gen sind. Sie wer­den Äng­ste durch­lit­ten und Bru­ta­li­tät aus­ge­übt haben. Was sie erlebt haben, wird Ein­fluss auf die Bezie­hung zu ihren Kin­dern oder Part­ner haben, wird auch den Nach­kriegs­all­tag in der Ukrai­ne, in Russ­land und in Ost­eu­ro­pa bru­ta­li­sie­ren. Um von die­sem Wis­sen abzu­len­ken, fin­det eine Ästhe­ti­sie­rung des Krie­ges statt – zum Bei­spiel mit den Sel­fies von Selen­skyj oder denen des ehe­ma­li­gen Boxers Wla­di­mir Klit­sch­ko, der – hel­den­haft eben – am Maschi­nen­ge­wehr sitzt, um sein Land zu ver­tei­di­gen. Doch wer getö­tet oder auch nur die Mord­waf­fen gelie­fert hat, des­sen See­le wird nicht mehr gesund. Das macht mir Angst.

Weni­ge Tage nach dem Ein­marsch in die Ukrai­ne hat die Baye­ri­sche Staats­oper das Enga­ge­ment von Anna Netreb­ko annul­liert. Zwar hat­te die rus­si­sche Opern­sän­ge­rin zuvor auf Insta­gram ihre Hoff­nung auf ein Ende des Krie­ges ver­öf­fent­licht, doch das reich­te der Opern-Lei­tung nicht. Netreb­ko habe sich nicht klar genug gegen den rus­si­schen Prä­si­den­ten Wla­di­mir Putin posi­tio­niert. Eben­falls vor die Tür gesetzt wur­de Valery Ger­giev, Chef­di­ri­gent der Mün­che­ner Phil­har­mo­ni­ker, weil er sich nicht »ein­deu­tig und unmiss­ver­ständ­lich von dem bru­ta­len Angriffs­krieg« distan­ziert habe, so der Mün­che­ner Ober­bür­ger­mei­ster Rei­ter. Mit Schaum vor dem Mund schreibt Jür­gen Kest­ing in der FAZ: »Der Krieg in der Ukrai­ne lässt uns neu nach der Huma­ni­tät in der Kunst fra­gen. Ger­giev, Netreb­ko und Curr­ent­zis haben die Welt erobert. Wir haben ihnen Bei­hil­fe gelei­stet – und deren Hin­ter­män­nern, ohne deren Absich­ten zu kennen.«

Das hört sich sehr nach einer angeb­li­chen rus­si­schen Welt­ver­schwö­rung an. Der nun mit einem gera­de­zu rausch­haf­ten Wahn der Krieg erklärt wird: Rus­si­sche Künst­ler, die schon weni­ge Stun­den oder Tage nach Kriegs­be­ginn zu einer Distan­zie­rung von ihrem Land gezwun­gen wer­den sol­len. Oder deren Auf­trit­te und Aus­stel­lun­gen gleich abge­sagt wer­den. Ver­trags­kün­di­gun­gen durch Muse­en. Über­all in Euro­pa. Die Ent­schei­dung der Bolo­gna Book Fair und der Frank­fur­ter Buch­mes­se, Russ­land von der Teil­nah­me aus­zu­schlie­ßen. Die Ent­schei­dung des Dis­ney-Kon­zerns, in Russ­land kei­ne Fil­me mehr zu zei­gen. Die Ankün­di­gung aus Can­nes, die rus­si­sche Dele­ga­ti­on bei den Fest­spie­len nicht zu emp­fan­gen. Die Para­lym­pi­schen Spie­le in Chi­na ohne Ath­le­ten aus Russ­land und Bela­rus, nicht ein­mal unter einer neu­tra­len Flagge.

Auch im All­tag häu­fen sich die Anfein­dun­gen und Angrif­fe gegen Men­schen rus­si­scher Her­kunft oder gleich gegen alles Rus­si­sche. Schei­ben von rus­si­schen Lebens­mit­tel­märk­ten wer­den ein­ge­schla­gen oder beschmiert. Rus­si­sche Restau­rants erhal­ten Droh­an­ru­fe: »Ver­schwin­det oder wir kom­men mit der Pump­gun!« Am Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum der LMU Mün­chen kün­dig­te eine Ärz­tin in einem inter­nen Schrei­ben an, dass sie die ambu­lan­te Behand­lung von rus­si­schen Pati­en­ten ableh­ne. In einer Arzt­pra­xis in Köln wur­de eine jun­ge rus­si­sche Frau als »Putins Hure« beschimpft. Rus­si­sche Schü­ler wer­den gemobbt. Die Bru­ta­li­sie­rung der Gesell­schaft schrei­tet schnell vor­an. Wir füh­ren Krieg gegen die Men­schen weit abseits der Gefech­te. Das macht mir Angst.

Die Bru­ta­li­sie­rung der Gesell­schaft: Die Kriegs­rhe­to­rik rich­tet sich längst auch gegen unse­re »inne­ren Fein­de«. Im FOCUS ver­tritt Josef Seitz die Ansicht, die Zeit für das Tole­rie­ren von Min­der­hei­ten­mei­nun­gen sei vor­bei. Tenor: Wir sind im Krieg und haben kei­ne Zeit mehr für die­se Zumu­tun­gen: »Coro­na-Leug­ner wer­den häu­fig lau­ter gehört als die Mehr­heit, die sich und ande­re durch Imp­fun­gen schützt. Im Fern­se­hen fin­det die klas­si­sche Fami­lie kaum mehr statt, sie ist ersetzt durch Mann-Mann- oder Frau-Frau-Fami­li­en.« Am Tag des rus­si­schen Angriffs ver­tritt der Welt-Chef­re­dak­teur Ulf ähn­li­che Posi­tio­nen: »Vor allem Euro­pa und die Deut­schen sind deka­dent gewor­den. (…) Jetzt ist klar, dass man sich weh­ren muss und wehr­haf­ter sein muss. Die Frei­heit wird nicht am Tam­pon-Behäl­ter in der Män­ner­toi­let­te ver­tei­digt, eher am Hin­du­kusch und ganz kon­kret bei unse­ren Freun­den in der Ukrai­ne.« Denn das Fei­ern eines »luschi­gen, pas­siv-aggres­si­ven Wohl­stands­zer­set­zungs­ak­ti­vis­mus« sowie das »ver­lo­ge­ne und ver­lo­re­ne Men­schen­bild, wie es auf evan­ge­li­schen Kir­chen­ta­gen und in der zeit­ge­nös­si­schen Kul­tur so ver­brei­tet wird«, sei für jeman­den wie Putin »ein­fach nur ein Frühstück«.

Krieg gefähr­det, Krieg zer­stört die Offen­heit in einer Gesell­schaft. Auch wenn wir nicht auf dem ech­ten Schlacht­feld ste­hen, sind wir rund um die Uhr medi­al betei­ligt. Wir wäh­nen uns als Opfer, heu­len vol­ler Selbst­mit­leid in die Kame­ras (»Ich habe Angst!«) oder füh­len uns selbst an der Front, wes­we­gen wir poli­ti­sche Sturm­ge­weh­re und Brand­be­schleu­ni­ger für eine gerecht­fer­tig­te Bewaff­nung hal­ten. Auch im pri­va­ten Umfeld. »Schwä­che« darf es nicht mehr geben, lei­se Zwi­schen­tö­ne wer­den nie­der­ge­brüllt, die diplo­ma­tisch-psy­cho­lo­gi­sche Suche nach Ver­stän­di­gung mit einem auto­ri­tä­ren Macht­ha­ber gilt min­de­stens als naiv oder gar als wehr­kraft­zer­set­zend. Das Wort Pazi­fist ist über Nacht zu einem Schimpf­wort gewor­den. Selbst Tei­le der Frie­dens­be­we­gung haben sofort nach dem rus­si­schen Ein­marsch in die Ukrai­ne bereit­wil­lig »Mea Cul­pa« geru­fen. Auf zu den Waf­fen also!

Im Krieg wird zurück­ge­schos­sen, Angriff und Ver­tei­di­gung. Mit dif­fe­ren­zier­ten Fra­gen oder Ant­wor­ten kön­nen wir uns auf dem media­len oder pri­va­ten Schlacht­feld wirk­lich nicht (mehr) beschäf­ti­gen. Das macht mir Angst.

Haben wir ver­lernt, mit Geg­nern umzu­ge­hen? Mit Anders­den­ken­den im Gespräch zu blei­ben? Nach­denk­lich zu argu­men­tie­ren? Die poli­ti­schen Can­cel-Debat­ten unse­rer Zeit schei­nen die­se Befürch­tung zu bestä­ti­gen. Sprech- und Wort­ver­bo­te über­all. Jeder stellt jeden in eine Ecke: Ras­sist, Sexist, alter wei­ßer Mann … Mit Rech­ten redet man nicht. Du Rus­se. Du Pazi­fist. Du Quer­den­ker. Doch wie hält man Frie­den mit einem Gegen­über, das ande­rer Mei­nung ist? Wie spricht man miteinander?

Wir haben uns seit Jah­ren dar­auf geei­nigt, dass Putin ein auto­ri­tä­rer Macht­ha­ber ist, ein Kriegs­ver­bre­cher, ein Men­schen­rechts­ver­let­zer. Dabei haben wir ver­ges­sen, dar­über nach­zu­den­ken, wie man mit einem sol­chen Macht­ha­ber Frie­den hält. Denn Frie­den in Euro­pa ist ohne Russ­land nicht zu haben. Auch nicht nach dem Krieg, wann immer und mit wel­chen dau­er­haf­ten Ver­wü­stun­gen das sein wird. Es kann also nicht lächer­lich sein, über Putins Inter­es­sen zu reden. Mit blin­der Wut zu den Ver­tei­di­gungs-Waf­fen zu grei­fen, ist frag­los ein­fa­cher als das gedul­di­ge, um Ver­ständ­nis bemüh­te Spre­chen. Doch wirk­lich gefähr­lich wäre es, Putin wei­ter in die Enge zu trei­ben. Das macht mir Angst.