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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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In Memoriam Ronald Paris

Wir wer­den ihn nun nicht mehr in den Ber­li­ner Aus­stel­lun­gen sehen und begrü­ßen kön­nen, die­sen wun­der­ba­ren Men­schen und erstaun­li­chen Künst­ler, der mit sei­nem Bart, sei­ner Kap­pe und dem schwar­zen Gewand wie ein ortho­do­xer Geist­li­cher anmu­te­te. Und das war er irgend­wie auch – ein Garant für künst­le­ri­sche Wahr­haf­tig­keit, Bestän­dig­keit, und den­noch immer wie­der von bewun­derns­wer­ter Inno­va­tiv­kraft. Ronald-Paris, einer der bedeu­tend­sten Maler und Gra­fi­ker der DDR und der Nach­wen­de­zeit, ist im Alter von 88 Jah­ren gestorben.

Expres­si­ven Rea­lis­mus, dra­sti­schen Rea­lis­mus, auch pla­sti­sche Male­rei hat man sei­ne Mal­wei­se genannt, und doch tref­fen sol­che Begrif­fe kaum auf sein Gesamt­werk zu bezie­hungs­wei­se bezeich­nen nur Teil­strecken sei­nes Wer­kes. Das Werk die­ses Malers ist höchst viel­ge­stal­tig, kom­plex, alles ande­re als homo­gen – stets hat er wie­der neue Ent­wick­lun­gen auf­ge­grif­fen, neue The­men und Moti­ve in sein Werk ein­be­zo­gen. Mal expe­ri­men­tier­te er mit sym­bo­li­scher Abstrak­ti­on und Ver­här­tung der Form, dann wie­der mit raum­be­zo­ge­ner Sta­tua­rik oder flu­ten­den Bild­räu­men und Raum­ver­schrän­kun­gen. Die sinn­li­che Aus­le­gung der Far­be führ­te ihn eben­so zu dra­ma­ti­schen Farb­klän­gen und glut­vol­ler Bewegt­heit wie zu gefühl­vol­len mil­den Valeurs. Als Neun­und­zwan­zig­jäh­ri­ger, 1961, hat er schon gesagt: »Ich such­te Ent­spre­chun­gen, um unse­re heu­ti­ge Zeit dar­zu­stel­len.« Und das ist eine Schaf­fens­mo­ti­va­ti­on für ihn geblieben.

In mehr als sechs Jahr­zehn­ten hat sich Ronald Paris, der seit 1985 in Rangsdorf bei Ber­lin leb­te und von 1993 bis 1999 als Pro­fes­sor an der Burg Gie­bi­chen­stein Kunst­hoch­schu­le Hal­le tätig war, mit Land­schaf­ten, Still­le­ben, Por­träts, Figu­ren­bil­dern, Akten, mytho­lo­gi­schen The­men, bild­ne­ri­schen Ent­ge­gen­set­zun­gen zu Wer­ken der Lite­ra­tur u.a. aus­ein­an­der­ge­setzt. Er hat gro­ße Wand­bil­der und Wand­tep­pi­che für öffent­li­che Gebäu­de geschaf­fen und gra­fi­sche Edi­tio­nen her­aus­ge­bracht. Er hat sein Leben Revue pas­sie­ren las­sen (Kar­len Ves­per: Ronald Paris – Wahr und wahr­haf­tig, 2012).

Was aber macht nun gera­de sei­ne Aqua­rel­le der Ost­see­land­schaft, der Saa­le-Land­schaft, aber auch sei­ner Rei­se­ein­drücke aus Ita­li­en, Frank­reich, Spa­ni­en, Grie­chen­land, Indi­en oder der Tür­kei aus den letz­ten drei Jahr­zehn­ten so blei­bend, so unver­gäng­lich? Ein expres­si­ves zeich­ne­ri­sches Gerüst ver­bin­det sich mit einer dra­ma­ti­schen Licht­füh­rung in sei­nen Rügen-Stu­di­en. Die jewei­li­ge Per­spek­ti­ve nähert sich tastend der gegen­ständ­li­chen Form, wobei ober­stes Prin­zip die sinn­li­che Ein­präg­sam­keit bleibt. Die Erträ­ge der Ita­li­en­rei­sen schei­nen dem Licht Pie­ro del­la Fran­ces­cos, eines der größ­ten klas­si­schen Maler der tos­ka­ni­schen Früh­re­nais­sance, zu fol­gen, das den Land­schafts­raum durch­flu­tet und durch­dringt. Die Mate­rie erscheint hier halb­ge­formt und erweckt den Ein­druck, als wol­le sie sich jeden Augen­blick in dem Licht auf­lö­sen, aus dem sie gemacht ist. Far­ben als rei­ner Aus­druck einer sicht­ba­ren Wirk­lich­keit, von Ronald Paris über­höht durch die bewusst genutz­te Palet­te, wobei auch das Unbe­wuss­te eine nicht unbe­trächt­li­che Rol­le spielt.

Nur wenn man selbst in der Pro­vence gewan­dert ist, auf den kah­len, röt­li­chen Hügeln, den Pini­en­duft ein­ge­at­met und in wir­beln­de Hel­lig­keit geschaut hat, dahin, wo die krei­de­grau­en Klip­pen der Kalk­mas­si­ve im Licht zu glei­ten und zu schwan­ken schei­nen, nur dann kann man erfas­sen, was sei­ne Aqua­rel­le aus die­sem Land­schafts­raum sind – die Emp­fin­dung wird zur Wirk­lich­keit. Ronald Paris scheu­te die Wie­der­ho­lung, er arbei­te­te in Seri­en, um sie zu ver­mei­den. Jedes Bild geht die Land­schaft und die Ent­fer­nung vom Auge zu ihr neu an. Die Ska­la reicht von einer blo­ßen Vibra­ti­on aus Was­ser­far­be am Hori­zont, mit durch­schei­nen­den unru­hi­gen Kon­tu­ren gemalt, die sich in den zart­grü­nen und laven­del­far­be­nen Umris­sen der Bäu­me im Vor­der­grund wie­der­ho­len, bis zur mas­si­ven Festig­keit der Höhen­zü­ge. Hier gehört jedes Teil­chen der Flä­che in einen unun­ter­bro­che­nen Zusam­men­hang, eine Flä­che der bestän­di­gen Form.

Wäh­rend sich in den 1980er/​1990er Jah­ren in den Moti­ven der Hei­mat und der Frem­de noch eine topo­gra­fi­sche Erkenn­bar­keit der Orte und Land­schaf­ten able­sen lässt, hat man den Ein­druck, dass das Motiv in den bei­den letz­ten Jahr­zehn­ten im Duk­tus einer noch spon­ta­ner aus­ge­führ­ten Male­rei zurück­tritt. Das Motiv wird von dra­ma­tisch beweg­ten Flä­chen bedrängt, der Hori­zont durch das ein­fal­len­de Licht male­risch über­höht. Die Fas­zi­na­ti­on der bizar­ren Land­schaft und der über sie herr­schen­den Natur­ge­walt hat den Künst­ler in den Bann gezo­gen. Sein Ich ist nicht mehr hin­ter die Bil­der getre­ten, son­dern es ist ein­ge­flos­sen in das stoff­li­che Pan­ora­ma sei­ner Ent­wür­fe. Die Land­schaft – ein Gewe­be von Bezie­hun­gen, ein Stück Grenzenlosigkeit.

Mit sei­nen Bild­nis­sen von Künst­lern, Schrift­stel­lern, Thea­ter­leu­ten, Wis­sen­schaft­lern aus der DDR hat Paris einen ori­gi­nä­ren Bei­trag zum Men­schen­bild unse­rer Zeit erbracht. Wir sol­len mit ihnen in einen gei­sti­gen Dia­log ein­tre­ten, uns erin­nern, was sie gelei­stet haben, in ihren Gesichts­zü­gen for­schen, ihr Wesen ergrün­den, nach Ent­spre­chun­gen des­sen suchen, was den Por­trä­tier­ten ein­ge­ge­ben, was ver­deckt ange­legt und was von ihnen sicht­bar gewor­den ist. Er hat den Dra­ma­ti­ker Hei­ner Mül­ler (1988, Gra­phit) por­trä­tiert, die Hand über­le­gend an den Kopf erho­ben; trotz aller Schär­fe wirkt sein Blick doch unend­lich fern, in sich gekehrt und uner­reich­bar. Das ganz­fi­gu­ri­ge Sitz­bild von Hanns Eis­ler (1987, Koh­le) zeigt die­sen in sei­ner kör­per­li­chen Prä­senz – mit den Hän­den scheint er zu diri­gie­ren –, und die­ser in Gedan­ken diri­gie­ren­de Eis­ler ist dann die stim­mi­ge Ver­si­on geblie­ben. Im Blick der Gran­de Dame der Schau­spiel­kunst, Inge Kel­ler (2009, Koh­le), wird die Gefähr­dung des Alters zunich­te und ver­dich­tet sich die phy­si­sche Kraft zu leben. Erst mit 93 ist sie 2017 gestor­ben. Mit weit aus­grei­fen­der Arm­be­we­gung wie­der­um prä­sen­tiert sich der Opern­re­gis­seur Har­ry Kup­fer (1988, Koh­le) bei der Regiearbeit.

Ohne ein kom­pak­tes Gefühl für Raum und Volu­men könn­ten Bil­der wie »Lear« (1984, Öl), »Jüdi­sches Requi­em« (1988, Öl, zu Isaak Babel »Die drei Wel­ten«) oder »Die Schän­dung des Marsy­as« (1994, Gou­ache, nach einer Novel­le von Franz Füh­mann) kaum mit einer sol­chen Inten­si­tät zu uns spre­chen. Ronald Paris lässt die Gewalt­tä­tig­keit zu sich lang­sam bewe­gen­den oder voll­kom­men sta­ti­schen Kör­per­for­men gerin­nen und gibt sei­nen Sze­nen durch über­trie­be­ne Kreuz- und Quer­ver­bin­dun­gen zwi­schen Vor­der- und Hin­ter­grund ein klau­stro­pho­bisch zusam­men­ge­press­tes Aus­se­hen. Aus der räum­li­chen Ver­dich­tung goti­scher Altar­bil­der (Paris hat 2004 auch einen Flü­gel­al­tar für sei­ne Hei­mat­stadt Son­ders­hau­sen geschaf­fen) ent­steht der Schau­platz moder­ner Kreu­zi­gun­gen – eine bril­lan­te Syn­the­se aus tra­di­tio­nel­len Lei­dens­sym­bo­len und einem Gefühl bedroh­li­cher Macht in den Gebrauchs­ge­gen­stän­den der Moder­ne. Die iro­ni­sche Ambi­va­lenz der Ver­frem­dung wird bei Paris noch ver­track­ter durch die Bruch­stück­haf­tig­keit der Bild­tei­le, die den Betrach­ter unwill­kür­lich zu Fort­set­zung und Ergän­zung anregt. Die durch Frag­men­tie­rung bewirk­te Ver­frem­dung soll die Fan­ta­sie aktivieren.

Auf eine Beson­der­heit im Schaf­fen von Ronald Paris ist hier aber noch auf­merk­sam zu machen: Auf sei­ne Col­la­gen, wie sie der fran­zö­si­sche Kubis­mus – Picas­so und Braque – ein­führ­te und wie sie Kurt Schwit­ters wei­ter­ent­wickel­te. Paris hat alles auf­ge­ho­ben, was er viel­leicht noch ein­mal hät­te gebrau­chen kön­nen, und er brach­te auch von sei­nen vie­len und wei­ten Rei­sen stets etwas mit, was ande­re anschlie­ßend weg­wer­fen wür­den. Von Zeit zu Zeit such­te er aus sei­ner »Wun­der­ki­ste« Schnip­sel und Abfall­ge­gen­stän­de zusam­men, auch aus von ihm zer­stör­ten Arbei­ten, ord­ne­te sie rhyth­misch und farb­lich, füg­te auch mal eine Figu­ra­ti­on, einen gedruck­ten Satz, ein­zel­ne Wor­te, einen Buch­sta­ben oder eine Zahl ein, fand einen Titel, der den Betrach­ter zum Nach­den­ken anre­gen soll­te, oder ließ die Arbeit ganz titel­los. Fan­ta­sie und Zufall waren sei­ne wich­tig­sten Gestal­tungs­fak­to­ren. Lust­voll setz­te er auch auf Para­do­xes. Mit sei­nen spie­le­ri­schen Bild­ex­pe­ri­men­ten wur­de so eine neue Wirk­lich­keit erzeugt. Es ent­stand eine augen­zwin­kern­de Kom­mu­ni­ka­ti­on mit dem Betrach­ter. Die Bild-Erzäh­ler­re­de hüpft von Ein­fall zu Ein­fall und spielt auch schon ein­mal mit Wort, Sil­be oder Klang des Titels. Unver­se­hens ent­deckt der Betrach­ter den mal komi­schen, mal ernst­haf­ten Wider­spruch zwi­schen der Bana­li­tät der Kom­po­si­ti­ons­ele­men­te und der bild­ne­ri­schen Idee des Ganzen.

Mit sei­nen Arbei­ten ist Ronald Paris immer noch unter­wegs – zu uns, unter uns.