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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Kriminell günstig shoppen

In der Fahr­rad­stadt Leip­zig gibt es einen neu­en Anbie­ter auf dem Markt. Wer gün­sti­ge Gebraucht­rä­der kau­fen möch­te (wie neu!), kann das bei ver­schie­de­nen gemein­nüt­zi­gen Ver­ei­nen tun. Noch preis­wer­ter ist es, die­se Zwi­schen­händ­ler zu umge­hen und direkt beim größ­ten Ein­zel­händ­ler der Stadt vor­stel­lig zu wer­den: bei der Leip­zi­ger Polizei.

Nun ist die­se Adres­se längst kein Geheim­tipp mehr. Seit 2019 weiß auch der Gene­ral­staats­an­walt in Dres­den von den Geschäfts­prak­ti­ken der Poli­zi­sten. In etwa 200 Fäl­len wird ermit­telt, weil die Poli­zi­sten ihre Ware angeb­lich aus der Asser­va­ten­kam­mer bezie­hen. Aber nach inzwi­schen rund 50 Frei­sprü­chen darf man davon aus­ge­hen, dass auch die här­te­sten Rich­ter an gün­sti­gen Fahr­rä­dern ihren Gefal­len gefun­den haben. Die Ver­kehrs­wen­de, sie läuft.

Ganz offi­zi­ell ist die Geschich­te natür­lich nicht. Die Poli­zei ist immer­hin nicht als Gewer­be­trei­ben­der regi­striert. Des­halb kann sie ja so unschlag­bar gün­stig sein. Aller­dings gibt es ein paar Knif­fe zu beach­ten, wenn man bei den Beam­ten ein Fahr­rad kau­fen möch­te. Zunächst bit­tet man tele­fo­nisch um einen Ter­min. Dafür soll­te man nicht die Not­ruf­num­mer nut­zen – am Ende kommt man in Zwickau raus! –, son­dern die Direkt­durch­wahl einer städ­ti­schen Wache. So weit, so behördlich.

Mit dem Beam­ten, der den Fall bear­bei­tet, wird nun ein Vor-Ort-Ter­min ver­ein­bart. Treff­punkt ist in der Regel die Asser­va­ten­kam­mer am Saa­le-Leip­zig-Kanal im Westen der Stadt. Hier kön­nen sich Inter­es­sen­ten einen Über­blick über das Ver­kaufs­an­ge­bot ver­schaf­fen. Die Leip­zi­ger Poli­zei lagert hier, am Lin­de­nau­er Hafen, rund 4000 Räder. Sie alle wur­den ganz legal beschlag­nahmt, ihre Vor­be­sit­zer lie­ßen sich trotz inten­siv­ster Ermitt­lungs­ar­beit nicht ermitteln.

Aus die­sem breit gefä­cher­ten Sor­ti­ment kann der Kun­de sein neu­es Fahr­rad aus­wäh­len und steu­er­frei direkt bezah­len. Wich­tig zu wis­sen: Die Beam­ten akzep­tie­ren nur Bar­geld. Auch ist es ihnen nicht mög­lich, eine Rech­nung auszustellen.

Die­se klei­nen Ein­schrän­kun­gen kön­nen aber nicht über die Vor­tei­le des Händ­lers hin­weg­täu­schen. Die Fahr­rä­der sind nicht nur nach amt­li­chen Vor­ga­ben gepflegt und ver­kehrs­tüch­tig in Schuss gebracht wor­den. Ein­mal poli­zei­lich regi­striert, kön­nen sie nach jedem Dieb­stahl pro­blem­los wie­der auf­ge­spürt wer­den. Ein bei der Poli­zei erwor­be­nes Fahr­rad ist somit eine auch lang­fri­stig loh­nen­de Investition.

Für beson­ders wäh­le­ri­sche Kun­den bie­tet die Leip­zi­ger Poli­zei einen zusätz­li­chen Ser­vice an. Wer in der Asser­va­ten­kam­mer nicht das Rich­ti­ge fin­det, kann mit einem Kol­le­gen vom Strei­fen­dienst eine klei­ne Stadt­rund­fahrt unter­neh­men. Dabei kön­nen Fahr­rä­der im Real Life besich­tigt und aus­ge­wählt wer­den. Bei Inter­es­se kann das betref­fen­de Objekt meist schon weni­ge Wochen spä­ter in der Asser­va­ten­kam­mer abge­holt wer­den. Die­ser Ser­vice schlägt sich aller­dings – wenn auch gering­fü­gig – auf den Ver­kaufs­preis nieder

Wer nun glaubt, dass die­se Form der Gebraucht­wa­ren­be­schaf­fung ris­kant sein könn­te, irrt sich. Immer­hin ist Leip­zig mit mehr als 9000 abhan­den­kom­men­den Fahr­rä­dern pro Jahr die Hoch­burg der Fahr­rad­die­be. Hier ver­schwin­den mehr Räder als in Hal­le und Mün­ster – die nach­plat­zier­ten Städ­te im Ran­king – zusam­men. Die ein oder ande­re zusätz­li­che Ent­wen­dung fällt somit kaum ins Gewicht.

Und noch ein Tipp: Bei einer Füh­rung durch die Asser­va­ten­kam­mer kann auch Inter­es­se an ande­ren Objek­ten geäu­ßert wer­den. Hier fin­det sich ein brei­tes Ange­bot von aus­ge­stopf­ten Tie­ren über Kin­der­wa­gen und geheim­nis­vol­le Kof­fer bis hin zu ori­gi­nal tsche­chi­schem Cry­stal Meth. Gern kön­nen bei dem zustän­di­gen Beam­ten erste Gebo­te plat­ziert wer­den. Der Bezahl­vor­gang kann denk­bar dis­kret abge­wickelt wer­den. Denn nicht ein­mal die fin­di­gen Juri­sten in Dres­den sind bis­her auf die Idee gekom­men, dass in Leip­zig mehr als nur Fahr­rä­der aus der poli­zei­li­chen Obhut ver­schwin­den könnten.