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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Mal dumm gefragt

Mit vor Dümm­lich­keit strot­zen­den Fra­gen erschrecken uns Dep­pen. Neu­er­dings gibt es Leu­te, wel­che kraft Pan­de­mie ihre Gedan­ken und Gefüh­le nicht mehr ins Gleich­ge­wicht zu brin­gen imstan­de sind. Dage­gen erschei­nen als dumm deko­rier­te klu­ge Fra­ge­stel­lun­gen ganz anders – das haben sati­risch ange­hauch­te Gei­ster mit Erfolg erprobt.

Ver­su­chen wir es ein­mal zu aktu­el­len Bei­spie­len, so dumm und ein­fäl­tig, ja, so naiv wie mög­lich zu fra­gen. Natio­nal zu sein, war ein­mal in Deutsch­land eine heh­re Grö­ße. Ein Land muss sich natio­nal dra­pie­ren. Man rede­te von Natio­na­ler Front, von Natio­nal­preis­trä­gern und Natio­na­ler Volks­ar­mee. Da weiß alle Welt, wel­chem Teil-Land es da so beson­ders um die Nati­on ging. Für deren Ein­heit eine Revo­lu­ti­on gewagt – und gewon­nen wurde.

Dum­me Fra­gen: Wie­so war in dem Moment, als durch Got­tes und sei­nes unge­hö­ri­gen Die­ners (Schab­ow­ski) Fügung die Ein­heit als soge­nann­te Wie­der­ver­ei­ni­gung voll­zo­gen war, die­se Nati­on offen­bar über­flüs­sig gewor­den? War mit der Ein­heit schon wie­der Fei­er­abend, als ein Gut­teil der nun ledig­lich dem Bestehen­den »Ange­schlos­se­nen« nicht mehr ins Sche­ma des Muster­bür­gers pass­te? »System­nah« und »lini­en­treu«? Darf man so Wie­der­ver­ei­nig­te dis­qua­li­fi­zie­ren? Wie­so ist man mit gutem Recht gegen Aus­bür­ge­rung – bela­stet jedoch eine Ein­bür­ge­rung damit, dass alles und jedes bedin­gungs­los anzu­pas­sen ist?

Statt neu­er Gemein­sam­keit tauch­ten zuneh­mend von­ein­an­der drin­gend zu unter­schei­den­de Natio­nen auf. Bis­her güt­lich oder viel­leicht nur vor­sorg­lich zweck­mä­ßig ver­eint, wur­den nach der bür­ger­li­chen Revo­lu­ti­on von 1918 ent­stan­de­ne Län­der wie die Tsche­cho­slo­wa­kei und Jugo­sla­wi­en blitz­schnell zur Tren­nung gedrängt. Tsche­chi­en und die Slo­wa­kei hat­ten 1968 den Pra­ger Früh­ling gemein­sam mit­ein­an­der ver­sucht. Ihr Heil in der sam­te­nen Revo­lu­ti­on von 1989 bestand nun im Aus­ein­an­der­drif­ten. Ein ver­füh­re­risch sozia­li­sti­sche Son­der­we­ge ein­schla­gen­des Jugo­sla­wi­en zer­barst dage­gen gera­de­zu in plötz­lich maß­los zuge­spitz­ten Riva­li­tä­ten ver­schie­de­ner Teilrepubliken.

Dum­me Fra­gen: War­um ergab sich das im Stil eines Blitz­krie­ges so dra­stisch, dass uns Hören und Sehen ver­ging? Was der Kroa­te Tito in und mit Ser­bi­en und ande­ren Natio­na­li­tä­ten ganz im Stil der welt­of­fe­nen Habs­bur­ger Dyna­stie zusam­men­ge­bracht hat­te – wie­so zer­stob das plötz­lich in mör­de­ri­schen Mas­sa­kern? War vom sozia­li­sti­schen Gesell­schafts­mo­dell nichts mehr übrig? Hat man je wie­der etwas davon gehört oder gesehen?

Dass Natio­nen im Zeit­al­ter einer bei­spiel­lo­sen öko­no­mi­schen Total-Glo­ba­li­sie­rung das Recht ihrer Bevöl­ke­rung auf Selbst­be­stim­mung beto­nen, ist nach­voll­zieh­bar. Polen und Ungarn waren in Zei­ten des Real­so­zia­lis­mus unter sowje­ti­scher Kura­tel Vor­rei­ter selb­stän­di­ger Wege. Heu­te in star­ke wirt­schaft­li­che Abhän­gig­keit gebracht, haben ihre auto­ri­tär auf­tre­ten­den Regie­run­gen nicht zufäl­lig eine par­la­men­ta­ri­sche Mas­sen­ba­sis. Demo­kra­ti­sche Voten kön­nen jedoch spie­lend faschi­sto­id agie­ren­de Dik­ta­tu­ren hervorbringen.

Dum­me Fra­gen: Ja – was dann? Wenn Sachen auf den Index gesetzt oder miss­lie­bi­ge Per­so­nen ins Abseits manö­vriert oder sexu­el­le Ori­en­tie­run­gen ange­fein­det wer­den? Ist es ange­bracht, dann wie im Mit­tel­al­ter mit Straf­maß­nah­men zu ant­wor­ten? Sind Kür­zun­gen bereits zuge­sag­ter Hil­fe­lei­stun­gen der Über­gang zu Sank­tio­nen – ganz wie sonst gegen­über feind­lich taxier­ten Regierungen?

Reli­gi­on bestimmt die Welt. Mus­li­mi­sche Gläu­bi­ge beten und pre­di­gen so, und christ­li­che so. Ost­asia­ti­sche Reli­gio­nen sind von Bud­dha oder Krish­na oder Kon­fut­se bestimmt. Die jüdi­sche tri­um­phier­te in prä­gen­den Riten über alle Pogro­me. Die aufs Ver­gei­sti­gen aller Lebens­pro­zes­se zie­len­de Wir­kung des Reli­giö­sen, ja, das Ver­ewi­gen mora­li­scher Grund­sät­ze, macht es offen­bar unent­behr­lich fürs mensch­li­che Zusammenleben.

Dum­me Fra­gen: Kann man da »Athe­isten aller Län­der ver­ei­nigt euch« rufen? Kön­nen sich nicht alle ange­sichts des Kli­ma­wan­dels vor dem Altar einer wie auch immer gear­te­ten Natur­re­li­gi­on tref­fen? Wo sind die geist­li­chen Beschwö­rer einer »Fried­li­chen Revo­lu­ti­on« heu­te geblie­ben, wäh­rend krie­ge­risch auf­put­schen­de Hass­ge­sän­ge dominieren?

In der soge­nann­ten »Drit­ten Welt« gel­ten offen­bar ande­re Geset­ze als in der unse­ren. Es gilt dort eine ande­re Mathe­ma­tik, wenn es um die Zäh­lung von Opfern geht. Die »Befrei­ung« von Men­schen in den fal­schen Revo­lu­tio­nen der letz­ten Jah­re hat vie­le Mil­lio­nen Opfer geko­stet. Ägyp­ten. Liby­en. Irak. Syri­en. Jemen. Die Metho­den einer super­mo­der­nen Kriegs­füh­rung – inklu­si­ve Wirt­schafts­krieg mit Sank­tio­nen – gehen im Wesent­li­chen zwei­fels­frei auf Kosten der Zivilbevölkerung.

Dum­me Fra­gen: Was wer­den da nach wie vor für Rechen­ex­em­pel ange­stellt, um die wah­ren Opfer des Schieß­be­fehls an der Ber­li­ner Mau­er zu ermit­teln? Hat sich noch nicht her­um­ge­spro­chen, wel­cher Rekord an gerin­ger Opfer­zahl bei extrem mör­de­ri­scher Bedro­hung durch Block-Kon­fron­ta­ti­on auf deut­schem Boden dabei zu ver­zeich­nen war? Ist das jet­zi­ge Gemet­zel in der von Putin über­fal­le­nen Ukrai­ne nicht das über­zeu­gen­de Gegen­bei­spiel für ein ver­ant­wor­tungs­lo­ses Spiel mit Todes­op­fern ohne Ende?

Eine kata­stro­pha­le Geschichts­ver­ges­sen­heit bei gleich­zei­ti­gem stän­di­gem Zitie­ren histo­ri­scher Tat­sa­chen ist ein gegen­wär­ti­ges Para­do­xon. Die bei­den Welt­krie­ge im deut­schen Inter­es­se fast schon schön zu reden, kommt mäch­tig in Mode. Pech gehabt – die Hohen­zol­lern regier­ten und hat­ten einen ver­lo­re­nen Welt­krieg zu ver­ant­wor­ten. Sie waren es schließ­lich, die mit dem dilet­tan­ti­schen Heer­füh­rer namens Paul von Hin­den­burg den Scher­ben­hau­fen von 1918 hin­ter­las­sen haben. Sieg­rei­che Mon­ar­chen wie Groß­bri­tan­ni­ens Wind­sors dür­fen dage­gen noch heu­te Kron­ju­bi­lä­en und Demo­kra­tie­ge­win­ne gleich­zei­tig feiern.

Dum­me Fra­gen: Wenn nun mal 1989 der deut­schen Bun­des­re­pu­blik ein kom­for­ta­bler Sieg beschie­den war, war­um sind dann die besieg­ten Land­stri­che mit ihren Men­schen nach drei Jahr­zehn­ten kei­nes­wegs zufrie­den­stel­lend ent­wickelt? Woher dage­gen die­ser imma­nen­te Wahn der Ver­eh­rung der ange­stamm­ten Adelsklas­se unter Hint­an­set­zung der demo­kra­ti­schen Mehr­heit? Was hat es auf sich mit der kin­di­schen Ver­eh­rung der klei­nen und gro­ßen Leu­te für jeg­li­chen adlig gefärb­ten Edel-Plunder?

Las­sen wir es damit gut sein. Deutsch­land ist jen­seits des­sen hoch­gra­dig genug vom ame­ri­can way of life gezeich­net. Und der ist vom eben­falls erb­li­chen Geld­adel geprägt. Man muss kei­nen Fan­ta­sien von Ver­schwö­rungs­an­schlä­gen anhän­gen, um da gewis­se Befürch­tun­gen zu hegen. Ehe man dann dumm fragt, soll­te man sich schlau machen.