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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Maas und die Halbwahrheiten

Leicht hat er es nicht, unser Bun­des­au­ßen­mi­ni­ster Hei­ko Maas. Obwohl er sich von Anfang an abstram­pel­te, fan­den die Medi­en immer wie­der einen Grund, an ihm her­um­zu­mä­keln. Cha­rak­te­ri­stisch für die­se Beck­mes­se­rei ist ein Bei­trag, den der Ber­li­ner Tages­spie­gel unter der Schlag­zei­le ver­öf­fent­lich­te: »Hei­ko Maas, die uneman­zi­pier­te Hilfs­kraft. Gro­ße Zei­ten für die Außen­po­li­tik, aber der Außen­mi­ni­ster bleibt bis­her eigen­tüm­lich blass«. Die in dem Bei­trag geüb­te Kri­tik an Maas war harm­los im Ver­gleich zu der Schimpf­ka­no­na­de Hen­ryk M. Bro­ders, die die­ser unmit­tel­bar nach der Ernen­nung des frü­he­ren Justiz- zum Außen­mi­ni­ster vom Sta­pel gelas­sen hat­te. Eine maß­lo­se schmal­brü­sti­ge Eitel­keit strah­le Maas aus. Er sei ein­fach eine Kata­stro­phe in jeder Bezie­hung. Die­ses ver­druck­ste, ver­schüch­ter­te Auf­tre­ten, der Anzug zwei Num­mern zu klein, aber immer chic auf Tail­le geschnit­ten. Und dann vor allem die­se Phra­sen­haf­tig­keit sei­ner Äuße­run­gen. Es gebe von Maas kei­nen ein­zi­gen zitier­fä­hi­gen Satz mit einem ori­gi­nel­len Gedanken.

Nein, alles was Recht ist, eine sol­che Kri­tik hat Maas nicht ver­dient! Er ist eigent­lich ein Pracht­kerl, ein wah­rer außen­po­li­ti­scher Tau­send­sas­sa. Wie er schon unmit­tel­bar nach sei­nem Amts­an­tritt die Rus­sen abge­bür­stet hat, das war schon erste Sah­ne. (s. Ossietzky 8/​2018) Die Bür­ger der rus­si­schen Föde­ra­ti­on wer­den ihn schwer­lich einen Молодец nen­nen, aber deren Auf­fas­sung ist eh nicht so wich­tig. Viel bedeu­ten­der ist das Echo, das unser Hei­ko in Washing­ton findet.

Was er für ein tol­ler Bur­sche ist – kann man das über einen Außen­mi­ni­ster eigent­lich sagen? –, das hat er wäh­rend sei­ner Latein­ame­ri­ka-Rei­se Anfang Mai über­zeu­gend demon­striert. Rein zufäl­lig, so das Aus­wär­ti­ge Amt, fand die Rei­se zu einem Zeit­punkt statt, an dem der von Washing­ton gesteu­er­te Staats­streich­ver­such in Vene­zue­la noch in vol­lem Gan­ge war. In Bra­si­li­en, wo Maas übri­gens der erste EU-Außen­mi­ni­ster war, der dem ultra­rech­ten Prä­si­den­ten Jair Bol­so­n­a­ro sei­ne Auf­war­tung mach­te, sowie in Kolum­bi­en und Mexi­ko stell­te er sich erneut nach­drück­lich an die Sei­te des put­schen­den vene­zo­la­ni­schen »Inte­rims­prä­si­den­ten« Juan Guai­dó. Auch in die­ser Fra­ge beweist er, dass er, obwohl auf außen­po­li­ti­schem Gebiet noch immer ein Berufs­ein­stei­ger, ein pro­fun­der Ken­ner des Völ­ker­rechts ist. Hin­sicht­lich Vene­zue­la und Guai­dó lässt er sich von nie­man­dem beleh­ren. Selbst wenn Exper­ten des Wis­sen­schaft­li­chen Dien­stes des Bun­des­ta­ges ihm hilf­reich zur Sei­te sprin­gen wol­len, dann schert ihn das nicht. Bekannt­lich hat­te der Dienst die Aner­ken­nung des Oppo­si­ti­ons­po­li­ti­kers durch die Bun­des­re­gie­rung in Fra­ge gestellt. In einer zehn­sei­ti­gen Aus­ar­bei­tung waren die Rechts­wis­sen­schaft­ler zu dem Schluss gekom­men, es gebe »star­ke Grün­de« für die Annah­me, dass es sich bei der Aner­ken­nung Guai­dós um eine »Ein­mi­schung in inne­re Ange­le­gen­hei­ten« han­delt. Die Fra­ge, ob die Aner­ken­nung Guai­dós als unzu­läs­si­ge Inter­ven­ti­on zu bewer­ten ist, bezeich­ne­ten sie als »durch­aus berech­tigt«. Zu Recht mein­te Maas, was inter­es­siert mich das theo­re­ti­sche Geschwätz der Bun­des­tags­ju­ri­sten, ich muss prak­ti­sche Außen­po­li­tik betrei­ben und auch mor­gen noch mei­nen US-ame­ri­ka­ni­schen Kol­le­gen und Freun­den in die Augen sehen kön­nen. Schließ­lich hat­te er von Anfang an dafür gesorgt, dass sich die Bun­des­re­pu­blik gemein­sam mit ande­ren EU-Staa­ten ohne Zögern auf die Sei­te des Put­schi­sten Juan Guai­dó stell­te. Dem amtie­ren­den Prä­si­den­ten Nicolás Madu­ro stell­ten sie zur glei­chen Zeit ver­söh­nungs­be­reit ein klei­nes Ulti­ma­tum. Inner­halb von acht Tagen soll­te er Neu­wah­len aus­ru­fen, ande­ren­falls wür­den sie den selbst­er­nann­ten »Über­gangs­prä­si­den­ten« Juan Guai­dó aner­ken­nen. Ein­falls­reich berie­fen sie sich bei dem Erpres­sungs­ver­such auf Arti­kel 233 der vene­zo­la­ni­schen Ver­fas­sung, nach dem im Fal­le von Krank­heit oder Tod des Prä­si­den­ten Neu­wah­len ange­setzt wer­den müs­sen. Im Eifer des Gefechts hat­ten sie über­se­hen, dass Prä­si­dent Madu­ro noch gar nicht ver­stor­ben ist und sich recht guter Gesund­heit erfreut. Da sich die Regie­rung in Cara­cas nicht erpres­sen ließ, erkann­ten die geschei­ter­ten Erpres­ser das »Trump-Baby« an.

Aber wie soll der Aus­er­ko­re­ne an die Macht gebracht wer­den? Eine mili­tä­ri­sche Inter­ven­ti­on schließt der Latein­ame­ri­ka-Rei­sen­de Maas aus. Das erklär­te er nach einem Tref­fen mit sei­nem mexi­ka­ni­schen Kol­le­gen Mar­ce­lo Ebrard in Mexi­ko-Stadt. Wört­lich füg­te er hin­zu: »Wir stel­len an vie­len Plät­zen der Welt fest, dass mili­tä­risch gelö­ste Kon­flik­te in Wahr­heit kei­ne gelö­sten Kon­flik­te sind, son­dern nur ver­scho­be­ne Kon­flik­te.« Ja, wo er Recht hat er Recht, unser Mini­ster für Äußeres.

Wie er sich die Lösung vor­stellt, dar­über gibt sein Auf­ent­halt in Kolum­bi­en Auf­schluss. In Bogo­tá traf er mit einer Grup­pe vene­zo­la­ni­scher Oppo­si­tio­nel­ler, dar­un­ter der »Schat­ten-Außen­mi­ni­ster« Guai­dós, Julio Bor­ges, zusam­men. Ihnen sicher­te er die Unter­stüt­zung Deutsch­lands in der Aus­ein­an­der­set­zung mit Madu­ro zu: »An unse­rer Hal­tung hat sich nichts ver­än­dert: Für uns ist Juan Guai­dó der Über­gangs­prä­si­dent, der den Auf­trag hat, Neu­wah­len zu orga­ni­sie­ren. Das ist auch das Ziel, das wir wei­ter ver­fol­gen … Des­we­gen wer­den wir auch wei­ter Druck ausüben.«

Doch damit nicht genug. Maas, der nicht müde wird, das »uner­mess­li­che Leid des vene­zo­la­ni­schen Vol­kes« zu bekla­gen, sag­te den Geg­nern der vene­zo­la­ni­schen Regie­rung zu, sich für neue Sank­tio­nen ein­zu­set­zen; wohl wis­send, dass die­se nicht die ein­zi­ge, aber wohl die ent­schei­den­de Ursa­che für die mise­ra­ble Wirt­schafts­la­ge Vene­zue­las sind. Sank­tio­nen sei­en »ein The­ma, über das wir reden müs­sen in Euro­pa mit unse­ren euro­päi­schen Part­nern«. Bei die­sem Ver­spre­chen an die Anhän­ger Guai­dós war er sich wohl bewusst, dass bei wei­tem nicht alle EU-Staa­ten den Sank­ti­ons­kurs unter­stüt­zen. Doch dar­über ver­lor er in sei­nen öffent­li­chen Erklä­run­gen kein Wort. Wozu auch? Schließ­lich ist er dar­in ein Mei­ster, die hal­be für die gan­ze Wahr­heit aus­zu­ge­ben. Ein gelun­ge­nes Bei­spiel lie­fer­te er, als er in einem Inter­view in der Welt am 23. März behaup­te­te, Madu­ro ver­wei­ge­re in einer dra­ma­ti­schen Not­la­ge dem vene­zo­la­ni­schen Volk jeg­li­che Hil­fe von außen. Und empört füg­te er hin­zu: »Das fin­de ich infam.« Kei­nes­wegs infam war es jedoch, dass er bei die­ser Aus­sa­ge die erfolg­ten Hilfs­lie­fe­run­gen der UNO, des Roten Kreu­zes, Russ­lands, Kubas, Chi­nas und der pan­ame­ri­ka­ni­schen Gesund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on ver­schwieg. Der über­la­ste­te Mini­ster litt in die­sem Moment mög­li­cher­wei­se nur an einem zeit­wei­li­gen Blackout.

Aller­dings ver­birgt sich hin­ter der hal­ben Wahr­heit meist eine Lüge. Auch dafür hat der Mini­ster ein schö­nes Bei­spiel gelie­fert. Am 3. Okto­ber des ver­gan­ge­nen Jah­res eröff­ne­te er in den USA das unter dem Mot­to »Wun­der­bar tog­e­ther« statt­fin­den­de »Deutsch­land­jahr«. In sei­ner Eröff­nungs­re­de erfreu­te er das dank­ba­re Publi­kum mit einer histo­ri­schen Erkennt­nis der beson­de­ren Art, indem er fest­stell­te: »Die Ame­ri­ka­ner haben die deut­sche Ein­heit ermög­licht, das wer­den wir nie­mals ver­ges­sen.« Bei sol­cher ein­sei­ti­gen Geschichts­be­trach­tung kön­nen unse­re US-ame­ri­ka­ni­schen Freun­de schon jetzt auf den 75. Jah­res­tag eines denk­wür­di­gen welt­hi­sto­ri­schen Ereig­nis­ses hof­fen, wenn Außen­mi­ni­ster Maas erklä­ren wird: »Die Ame­ri­ka­ner haben das deut­sche Volk vom Hit­ler­fa­schis­mus befreit. Das wer­den wir nie­mals ver­ges­sen.« US-Ame­ri­ka­ner wer­den sich freu­en, die Rus­sen aber wer­den sich ein wenig wundern.