Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Kunstbetrieb im Demogriff

Noch ist es nicht soweit. Es ist erst ein alar­mie­ren­der Ruf aus den bekannt pro­fun­den Tie­fen der Staat­li­chen Kunst­samm­lun­gen Dres­den erschallt. »Demo­kra­ti­sie­rung des Kunstbetriebs?«

So fra­gen sie kess. Und wol­len »Trans­for­ma­ti­ons­pro­zes­se zwi­schen Ost und West 1960 bis 1990« aus­lo­ten. Im »Call for papers« wird die Leit­fra­ge einer für den 10. und 11. Okto­ber ange­setz­ten Tagung for­mu­liert, »wie und wann unter ver­schie­de­nen System­be­din­gun­gen die Umset­zung demo­kra­ti­scher Prin­zi­pi­en im Bereich der bil­den­den Kunst errun­gen wer­den soll­te«. Na gra­tu­lie­re! Ist da etwa ein Gro­schen (oder zum min­de­sten ein Cent) gefal­len? System­ver­gleich und Prin­zi­pi­en – da ist der Tri­umph des einen Systems über das ande­re sicher. Aber nun konkret?

Demo­kra­tie ist nicht nur eine gege­be­ne Insti­tu­ti­on. Demo­kra­tie ver­wirk­licht sich im Han­deln. Noch so viel gewähl­te Volks­ver­tre­ter­schaft garan­tiert nicht, dass Demo­kra­tie Gutes bewirkt. Die­se wirkt nur da, wo öko­no­misch herr­schen­de Macht sie gewäh­ren lässt. Nun also das Feld der Kunst? Kunst, die nicht gebraucht wird, ist genau­so wir­kungs­los wie die, wel­che nicht erlaubt ist. Fel­der, wo das Wort Zen­sur mit Recht ein Fremd­wort blieb, kön­nen trotz­dem künst­le­risch ver­öden. Kein Zufall: Wo All­tag völ­lig kunst­los bleibt, wuchern zuerst poli­ti­sche Gewalt­fan­ta­sien. Demo­kra­tie steht rat­los dane­ben. Gut abge­stimmt, schlecht gelau­fen. Oft genug hat sie selbst mit Stim­men­mehr­heit künst­le­risch Geform­tes besei­tigt, wenn es aus ver­pön­ter Zeit stamm­te. Im Abriss wur­den Mil­lio­nen­wer­te geop­fert – Ersatz dage­gen durch Spar­vor­ga­ben erschwert oder ver­hin­dert. Wüste Kon­tra­ste: Spe­ku­la­ti­ons­ge­win­ne in Kunst peit­schen neue Ido­le hoch. Da gehen leicht alle vor­he­ri­gen Maß­stä­be flöten.

Die da aus der schö­nen Elb­me­tro­po­le rufen, sind erst nach der letz­ten Elbe­flut aus der bekannt übli­chen Him­mels­rich­tung dort­hin gekom­men. Unbe­netzt von näs­sen­der Natur­ka­ta­stro­phe agie­ren sie auf ideo­lo­gisch hin­rei­chend stand­si­cher beto­nier­tem Boden. Was­ser­mas­sen spül­ten eini­ges durch, aber die Kunst blieb unbe­schä­digt: Ent­we­der sicht­bar oder im noch bes­ser aus­ge­bau­ten Depot unsicht­bar. Je nach poli­ti­scher Belie­big­keit oder Miss­lie­big­keit. Lei­der ist das so. Die Zuge­rei­sten leben mit­ge­brach­te Vor­lie­ben unge­hemmt aus – ohne das Ein­hei­mi­sche lan­ge zu erkun­den oder etwa die Ein­hei­mi­schen lan­ge zu fra­gen. Sie haben eine im wohl­wol­len­den Abnicken ihrer Pro­jek­te inzwi­schen geüb­te Mini­ste­rin im Rücken. Und bei Abstim­mun­gen im Par­la­ment gewinnt Kul­tur sel­ten Mehrheiten.

Nun leben sie mit uns in einer weit­hin sicht-, fühl- und hör­bar demo­kra­ti­schen Gesell­schaft. Da kann es schon mal gehar­nisch­te Kri­tik geben. Oder zumin­dest unan­ge­neh­me Nach­fra­gen. Ob Ost­kunst über­haupt jen­seits von Unter­drückung und Bevor­mun­dung etwas Nen­nens­wer­tes dar­stel­len konn­te, war lan­ge vakant. Jetzt ist es »durch«. Ja, das hat ja oft genug etwas durch­aus Bedeu­ten­des, raunt man halb­laut. Und ist den­noch von Ein­ord­nung in deut­sche Kunst­ge­schich­te weit ent­fernt. Die Demo­kra­tie hat da offen­bar nicht so recht funk­tio­niert, als die Mehr­heit der gesamt­deutsch Ein­ge­mein­de­ten in und um Dres­den her­um gar nicht gefragt war, was sie von »ihrer« Kunst hielt. Tagun­gen, spek­ta­ku­lär auf­ge­motzt und super­klug gar­niert, gera­ten da leicht zu Show­ver­an­stal­tun­gen mit Westdrall.

Oder ver­ken­ne ich da einen Sin­nes­wan­del? So schön als Para­dig­men­wech­sel zu bezeich­nen ist die­se Ein­la­dung wohl noch nicht. Bis 21. April konn­ten »Bei­trä­ge aus unter­schied­li­chen wis­sen­schaft­li­chen Dis­zi­pli­nen« bei Nor­ma Lade­wig und Mar­tin Har­tung ein­ge­reicht wer­den. Da kann man nur hof­fen, dass Wis­sen­schaft kri­tisch ana­ly­sie­rend prak­ti­ziert wird. Tat­sa­chen statt Mut­ma­ßun­gen sind gefragt. The­men­feld eins regt bereits durch­aus dazu an: Das »Ide­al der Teil­ha­be an Kunst­kon­sum, Kunst­pra­xis und kunst­po­li­ti­schen Ent­schei­dun­gen« wird da genannt. Da taucht der viel­fach miss­brauch­te, weil eli­tä­re Begriff der »Avant­gar­de« auf. Die docu­men­ta-Aus­stel­lun­gen sind ein Muster für einen dif­fus unde­mo­kra­ti­schen Begriff von »Welt­kunst«. Impul­se für künst­le­ri­sche Inno­va­ti­on haben es schwer. Medi­al ein­mal hoch­ge­puscht, ver­schwin­den sie im Nu.

The­men­feld zwei macht das deut­li­cher. Da zitiert der Text Eric Hobs­bawm mit der klu­gen Ein­sicht von dem ele­men­ta­ren Gebraucht­wer­den der Kunst in den ost­eu­ro­päi­schen Län­dern. Dik­ta­to­risch mar­kiert, war gera­de die Kunst unter der Hand in viel­fäl­tig­ster Form das Instru­ment zur Durch­set­zung demo­kra­ti­scher Prin­zi­pi­en. In der bil­den­den Kunst hat­te sich das demo­kra­ti­sche Prin­zip des Jurie­rens (statt des heu­te vor­herr­schen­den Kura­tie­rens) gehal­ten. Offi­zi­ell war Kunst­übung und Kunst­kon­sum eben Pflicht­fach im Bil­dungs­sy­stem. Es ist leicht, auto­ri­tä­re Regime pau­schal zum Schreck­ge­spenst zu machen. Kunst­för­de­rung gab es – und sie hat­te auch dort durch­aus künst­le­ri­sche Selbst­be­stim­mung zur Fol­ge. Wie stark die Kunst­sze­ne jener Län­der ein­mal natio­nal und sozi­al geprägt war, davon kann man heu­te nur noch träumen.

The­men­feld drei wird noch kon­kre­ter im For­mu­lie­ren von Fra­gen zum Plu­ra­lis­mus. Der Kunst­markt gau­kelt ihn vor und besei­tigt ihn gleich­zei­tig wie­der durch Will­kür. Eine Mas­se von künst­le­ri­schen Ego­ma­nen bleibt eine Mas­se – kaum zu dif­fe­ren­zie­ren, wenn markante

Cha­rak­te­re und Talen­te trotz­dem nicht so recht nam­haft wer­den. Kunst­aka­de­mien leh­ren inzwi­schen mehr Tricks fürs Markt­gän­gi­ge als exak­te Fer­tig­kei­ten. Staa­ten las­sen sich bei Auf­trags­ver­ga­be und Ankäu­fen von den Lob­by­isten des Kom­mer­zes »bera­ten«. Wohl­ge­merkt: Die Kunst ver­de­mo­kra­ti­sie­ren – das kann kei­ner wol­len. Ein Kon­zert­di­ri­gent und ein Thea­ter­re­gis­seur müs­sen Auto­ri­tä­ten sein dür­fen. Wie­so aber häu­fen sich gera­de jetzt die Fäl­le von Macht­miss­brauch im Kunst­be­trieb? Die­se Ten­denz zum Ent­de­mo­kra­ti­sie­ren ist doch fatal. Der Umgang mit Stof­fen von Welt­li­te­ra­tur und Welt­kunst­ge­schich­te ist so rabi­at gewor­den – da tau­gen Genies nur noch als Stich­wort­ge­ber. Der Dienst an der Kunst könn­te ja aus Ver­se­hen als Hom­mage an die Mensch­lich­keit ver­stan­den werden …