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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Nase

Dem Kol­le­gi­en-Asses­sor Major Pla­ton Kowal­jow, der sich an einem fünf­und­zwan­zig­sten März, Anfang der 1830er Jah­re, in Peters­burg auf merk­wür­di­ge Wei­se um sei­ne Nase gebracht sah, kam die­ser Umstand äußerst unge­le­gen. Schmerz­los im Schlaf muss es gesche­hen sein. Kowal­jow erwach­te und bemerk­te das Feh­len sei­ner Nase aber erst beim Blick in den Spie­gel, nur weil er nach einem am Abend unan­ge­nehm ent­spros­se­nen Pickel an der Nase schau­en woll­te, des­sen Exi­stenz ihn beun­ru­hig­te, da sah er, dass ledig­lich eine glat­te Stel­le, befühl­bar, wo vor Stun­den noch eine präch­ti­ge Nase aus sei­nem Gesichts­ge­län­de her­vor­rag­te, wenn auch mit einem unan­sehn­li­chen Pickel bestückt. Ein teuf­li­scher Akt. Den auf­stre­ben­den Kol­le­gi­en-Asses­sor aus dem Kau­ka­sus ergriff Panik. Ohne Nase konn­te er sich in der Peters­bur­ger Gesell­schaft nicht sehen las­sen, einem Hai­fisch­becken der Posten­jä­ger für den groß­rus­si­schen Beam­ten­ap­pa­rat. Die Nase, die feh­len­de, stand nun sei­ner erhoff­ten Kar­rie­re, der Ernen­nung zum Vize­gou­ver­neur eines der zahl­lo­sen Depar­te­ments oder zumin­dest zu einem dor­ti­gen Exe­ku­tor im Wege.

Ach, die Geschich­te steckt vol­ler Unge­reimt­hei­ten, das wuss­te der Autor und fragt sel­ber: »Wo gäbe es kei­ne Ungereimtheiten?«

Die­se Novel­le kam mir im Febru­ar 2021 wie­der in den Sinn, als Men­schen auf den Stra­ßen mit Atem­schutz­mas­ken, den ver­ord­ne­ten wei­ßen oder far­bi­gen Mund-Nase-Bedeckun­gen her­um­lie­fen. »Die Nase«, rus­sisch »Hoc-Nos«, aus Gogols »Peters­bur­ger Novel­len«, ist eine mei­ner Lieb­lings­er­zäh­lun­gen, die ich von Zeit zu Zeit aus dem Regal zie­he und erneut auf einen Rutsch lese. Der eit­le Major Kowal­jow könn­te sich heu­te, ganz ein­fach mit einer FFP2 Halb­mas­ke auf den News­kij-Pro­spekt unter Leu­te wagen, müss­te nicht pein­sam-ver­schämt sein Taschen­tuch vors Gesicht halten.

Aber gut, nur so viel: Pla­ton erhält genau zwei Wochen spä­ter, am sieb­ten April, sei­ne Nase auf eben­so merk­wür­di­ge Wei­se zurück, wie er sie ver­lo­ren hat. Das ist trotz aller Absur­di­tä­ten gera­de­zu zu erwar­ten, aber da sind schon die böse­sten Pas­sa­gen, der eigent­lich schö­ne Nutz­ge­winn des Lesens, längst durch. Wir fol­gen ver­gnügt der rasan­ten Kutsch­fahrt ins Hochnotpeinliche.

Nicht aus­zu­den­ken, der Autor hät­te am Schluss der Peters­bur­ger Grand Tour dem Asses­sor die Nase nicht zurück­er­zählt, die­se sogar vom Makel des Pickels befreit, der die gan­ze Nase­rei als Geschich­te über­haupt aus­ge­löst haben mag. Der Autor kommt so aus dem schö­nen Irr­sinn wie­der heraus.

Ich habe, Ken­ner wer­den es anmah­nen, Iwan noch nicht erwähnt, den Bar­bier und sei­ne Frau Pras­ko­wja Ossi­pow­na, mit denen die gan­ze Geschich­te erst ihren Ver­lauf nimmt, aber doch nicht ganz aus­er­zählt wird. Es ist zu ahnen, dass der arme Kerl maß­geb­lich in die Geschich­te ver­strickt und ver­wickelt ist. Davon hier nichts wei­ter, doch auf den viel­leicht unvoll­stän­di­gen Namen des Man­nes, Iwan Jakow­le­witsch, muss ich zu spre­chen kommen.

Der Name sprang mich beim ersten Lesen – im schma­len Bänd­chen der Piper-Büche­rei mit Zeich­nun­gen von Hans Fro­ni­us – im Okto­ber 1969 förm­lich an. Jako­le­witsch, der Name ähnelt dem mei­nes leib­li­chen Vaters, den ich nur nament­lich, nur vom gele­gent­li­chen Erzäh­len ken­ne und der Jato­le­witsch gehei­ßen haben soll, Kazi­mierz Jato­le­witsch. Der Name kön­ne, so ver­mu­te­te der Lyri­ker Ales Rasa­n­au, wir spra­chen dar­über im Win­ter 2002 in Minsk, aus dem Pol­ni­schen stam­men, der Gegend in Rich­tung Weiß­russ­land.                     

Ales Rasa­n­au gewid­met, der sei­ne Gedich­te auf schma­len Papier­strei­fen notiert.

Niko­lai Gogol: Die Nase. Deutsch von Hans Ruoff. Piper Ver­lag, Mün­chen 1954.

Ales Rasa­n­au: Han­no­ver­sche Punk­tie­run­gen (zwei­spra­chig). Nach­dich­tung aus dem Weiß­rus­si­schen ins Deut­sche von Oskar Ansull und Nan­de Röhl­mann, erschie­nen im Revon­nah Ver­lag, Han­no­ver 2002