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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Torheiten der Politik

226 Jah­re sind ver­gan­gen, seit Imma­nu­el Kant 1795 sei­ne Pro­test­schrift »Zum ewi­gen Frie­den« wider den Inter­ven­ti­ons­krieg der Mon­ar­chien Öster­reichs und Preu­ßens gegen Frank­reichs nach­re­vo­lu­tio­nä­re bür­ger­li­che Ord­nung ver­öf­fent­lich­te. Kant zeigt in dem Trak­tat, dass der Frie­den eine mach­ba­re Auf­ga­be für die Poli­tik ist (Reclam Nr. 1501, Leip­zig). Poli­ti­ker haben Kants Alter­na­ti­ven bis heu­te jedoch mehr­heit­lich ignoriert.

Nach dem kata­stro­pha­len 2. Welt­krieg schuf die Welt­ge­mein­schaft, im Rah­men der UNO immer­hin einen Welt­si­cher­heits­rat mit 5 stän­di­gen Mit­glie­dern, aus­ge­stat­tet mit Veto­rech­ten, sowie wei­te­ren wech­seln­den Mit­glie­dern. Er ver­hin­der­te bis­her einen 3. Welt­krieg, ohne Ein­zel­krie­ge ver­mei­den zu kön­nen. Als Ziel­stel­lung des 3. Welt­krie­ges gilt seit der Ver­kün­dung der Tru­man-Dok­trin 1947 die Zurück­drän­gung einer neu­en Gesell­schafts­ord­nung – nament­lich des Sozia­lis­mus, der unver­min­dert die Gleich­heit und Brü­der­lich­keit auf sei­ne Fah­nen schreibt. Russ­land und die Volks­re­pu­blik Chi­na sind aller­dings stän­di­ge Mit­glie­der des Sicher­heits­rats. Und bei­de Län­der tre­ten für diplo­ma­ti­sche Lösun­gen von inter­na­tio­na­len Kon­flik­ten ein und ver­fol­gen eine Poli­tik der fried­li­chen Koexistenz.

2019 beklag­te der Ver­hal­tens­for­scher Diet­rich Dör­ner das anhal­ten­de törich­te Ver­hal­ten der Macht­po­li­ti­ker (Jah­res­ta­gung 2019 des Zen­trums für empi­ri­sche Eva­lua­ti­ons­for­schung am 10.5.2019 in Ber­lin). Tor­hei­ten, meint der For­scher, sind ver­meid­ba­re Dumm­hei­ten, die von der Poli­tik jedoch stän­dig wie­der­holt wer­den. Und die­se Feh­ler las­sen sich alle­samt »auf Grund­re­ak­tio­nen zurück­füh­ren«. Dazu zäh­len »Not­fall­re­ak­tio­nen« auf schein­ba­re Angrei­fer, »Mut­ma­cher«, um mög­li­che Gefah­ren abzu­weh­ren, »Selbst­über­schät­zung« und »Droh­ge­bär­den«, das »Aus­sit­zen«, das »Wunsch­den­ken« sowie die »Eitel­keit« (vom Typ Boris John­son und Anna­le­na Baer­bock). Es sind Ver­hal­tens­wei­sen, die auf die Bio­lo­gie zurück­ge­hen, wie Bar­ba­ra Tuch­mann in ihrem Buch »Die Tor­heit der Regie­ren­den. Von Tro­ja bis Viet­nam« zeigt.

Am 10.12.2021 brach­te die Ber­li­ner Zei­tung einen Bei­trag mit der Über­schrift: »Die dop­pel­te Gefahr der Selbst­ver­nich­tung«. Der Text beginnt mit einer wesent­li­chen Aus­sa­ge: »Krie­ge fal­len nicht vom Him­mel. Ihre Ursa­chen lie­gen in inter­na­tio­na­len Macht­ver­hält­nis­sen, wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen und expan­si­ven Ideologien.«

Die Koali­ti­ons­ver­ein­ba­rung der neu­en Ampel-Regie­rung bestä­tigt den Befund lei­der erneut. Wie kann es sein, dass die SPD nach den Erfah­run­gen zwei­er Welt­krie­ge nicht erkennt, wo der Kern der Kriegs­trei­be­rei liegt, wor­in der Sinn der Rüstungs­in­du­strie besteht?

Wie passt es zusam­men, dass die Natur lie­ben­den Grü­nen Men­schen in Chi­na oder Russ­land nicht für eben­so schüt­zens­wert erach­ten wie die eige­nen Bür­ger und der Nato Bei­fall klat­schen? Die Aus­sa­ge der neu­en Außen­mi­ni­ste­rin bei ihrem ersten offi­zi­el­len Besuch in Brüs­sel, Russ­land wür­de »einen hohen poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Preis für eine Ver­let­zung der ukrai­ni­schen Staat­lich­keit zah­len«, ist eine Droh­ge­bär­de und sicher­lich alles ande­re als klug.

Wie soll es bewer­tet wer­den, dass die FDP als selbst­er­nann­te Schutz­par­tei des Mit­tel­stan­des, abhän­gi­ge Hand­wer­ker, Klein­be­trie­be, Dienst­lei­ster einer Kriegs­ge­fahr aus­setzt und die Poli­tik der Nato unter­stützt? Ihr Glau­be an die groß­ar­ti­ge Frei­heit ist rich­tig, nur ver­ges­sen sie, dass das Grund­ge­setz die Frei­heit dort begrenzt, wo Drit­te durch all­zu freie Hand­lun­gen zu Scha­den kom­men. Die Frei­heit des wei­ßen Man­nes hat in den Ent­wick­lungs­län­dern und in den USA für die Urein­woh­ner über­wie­gend Nach­tei­le gebracht. Die Frei­heit der Wis­sen­schaft lässt die Ent­wick­lung und den Ein­satz ambi­va­len­ter Pro­duk­te zu – etwa Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen oder Glyphosat.

Die Koali­ti­ons­ver­ein­ba­rung der drei Par­tei­en setzt Schwer­punk­te, die eher auf ein Wei­ter-so gerich­tet sind: Die Poli­tik der Ein­krei­sung Russ­lands und Chi­nas wird im Wesent­li­chen wei­ter­ge­führt. Atom­waf­fen wer­den in Deutsch­land wei­ter­hin ein­satz­be­reit gela­gert. Dem Rüstungs­export wird nicht wirk­sam Ein­halt gebo­ten. Kli­ma­schutz macht an den Toren der Kaser­nen und der Mili­tär­flug­plät­ze halt.

»Mehr Fort­schritt wagen« ist ein gutes Mot­to für die Regie­rung des gespal­te­nen Lan­des, obwohl Fort­schritt und Wachs­tum ambi­va­lent für das Kli­ma, für die Welt­mee­re, für den Frie­den sind. »Mehr Frie­den wagen« wäre ein bes­se­res Mot­to gewe­sen. Fort­schritt kommt nur weni­gen zugu­te, Frie­den allen. Tho­mas Mann stell­te einst fest, dass es zu den Grund­tor­hei­ten der Zeit gehört, die Lin­ken, die Huma­ni­sten und Frie­dens­freun­de in die Ecke des Bösen zu stel­len. Die­se Tor­heit setzt sich bis heu­te fort.