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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wortgeschichten: Gymnasium

Ein selt­sa­mer, opa­ker Begriff. Noch viel selt­sa­mer ist, wie selbst­ver­ständ­lich und wider­spruchs­los wir ihn ver­wen­den – in unse­rer sprach-hygie­nisch doch so all­zu stren­gen Zeit. Ja, das Wort ist, obschon von dunk­ler Her­kunft, über­aus posi­tiv besetzt. Es steht für die »höhe­re Bil­dung«. Die mei­sten Eltern sähen ihre Kin­der gern auf sol­cher Schu­le, deren erfolg­rei­cher Abschluss, so heißt es allent­hal­ben, alle beruf­li­chen Türen öffnet.

Was aber bedeu­tet das Wort? Ja, es ist grie­chi­scher Her­kunft – so viel ist rich­tig –, aber es bezeich­net, merk­wür­di­ger­wei­se, wört­lich einen »Ort, an dem man nackt ist« (gym­nos = nackt). Und das ist durch­aus buch­stäb­lich zu ver­ste­hen: Am grie­chi­schen Gym­na­si­um gab sich eine nack­te Kna­ben­schar unter Anlei­tung älte­rer Her­ren ver­schie­de­nen Lei­bes­übun­gen hin. Das dien­te in erster Linie natür­lich nicht der Lust, son­dern der »Ertüch­ti­gung«. Die männ­li­chen Zög­lin­ge soll­ten zu gleich­be­rech­tig­ten Bür­gern und zu guten Sol­da­ten aus­ge­bil­det wer­den. Und da die Letz­te­ren, die soge­nann­ten Hopli­ten, nicht in einer gestaf­fel­ten Befehls­ket­te stan­den, son­dern »wie ein Mann« han­deln soll­ten, war es wesent­lich, eine Art Corps­geist her­aus­zu­bil­den, der die Näch­sten­lie­be, den Schutz des Neben­man­nes, mit­hin »die Mann­schaft« über alles stellt – und damit gewis­ser­ma­ßen ein »demo­kra­ti­sches« Ethos her­vor­brach­te, das den Zusam­men­halt der Gemein­schaft gewährleistet.

Unter­halb die­ses »Über­baus« ging es aber in zwei­ter Linie auch um ganz gewöhn­li­che Gelü­ste. Tat­säch­lich war die Kna­ben­lie­be schon bei den im 12. Jahr­hun­dert v. Chr. nach Grie­chen­land ein­wan­dern­den Dorern eine Insti­tu­ti­on und stand in der gesam­ten grie­chi­schen Anti­ke in hohem Anse­hen, so dass der Phi­lo­soph Scho­pen­hau­er ein­mal bemerk­te, wenn Sokra­tes über die Lie­be spre­che, kön­ne man mei­nen, es gebe gar kei­ne Wei­ber (Ver­zei­hung! Der her­ab­las­sen­de Sam­mel­be­griff »Wei­ber« stammt von Scho­pen­hau­er, nicht von mir; da müss­te man bei Neu­auf­la­gen wohl noch­mal gründ­lich ran …).

Noch im 4. Jahr­hun­dert v. Chr. gab es in Grie­chen­land ein Eli­te-Heer, das aus 150 homo­se­xu­el­len Paa­ren bestand. In die­ser Hei­li­gen Schar lie­gen sozu­sa­gen die Wur­zeln unse­res Gym­na­si­ums. Wenn also zuwei­len vom »päd­ago­gi­schen Eros« die Rede ist, wäre die­ser Unter­bau mit­zu­den­ken. In heu­ti­ge Begriff­lich­keit über­setzt ist der Ursprung unse­res Gym­na­si­ums ein gesell­schaft­lich akzep­tier­tes Insti­tut der Päderastie.