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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wut, die nicht vergeht

»Nicht wei­nen. Eine poli­ti­sche Gefan­ge­ne weint nicht.« In ihrer ersten Nacht im Knast wie­der­holt Ingrid Strobl die­se Sät­ze wie ein Man­tra. Hin­ter ihr liegt da die Ver­haf­tung in ihrer Köl­ner Woh­nung durch bis unter die Zäh­ne bewaff­ne­te SEK-Leu­te, eine Nacht in einer Poli­zei­wa­che, ein Hub­schrau­ber­flug nach Karls­ru­he, eine hals­bre­che­ri­sche Auto­fahrt im Kon­voi – und vor ihr jetzt Iso­la­ti­ons­haft im Kel­ler der Justiz­voll­zugs­an­stalt Mün­chen-Neu­deck. Alles nach Para­graf 129a des Straf­ge­setz­bu­ches. Es ist der 21. Dezem­ber 1987, und Ingrid Strobl wird vor­ge­wor­fen, einen Wecker gekauft zu haben.

Laut Bun­des­kri­mi­nal­amt (BKA) wur­de die­ser bei einem Spreng­stoff­an­schlag auf das Ver­wal­tungs­ge­bäu­de der Luft­han­sa in Köln genutzt, der erfolg­te nachts, es ent­stand gerin­ger Sach­scha­den, Men­schen wur­den nicht verletzt.

Strobl wird fest­ge­nom­men unter dem Ver­dacht der Mit­glied­schaft in der ter­ro­ri­sti­schen Ver­ei­ni­gung Revo­lu­tio­nä­re Zel­len, RZ, und Bei­hil­fe zu deren Spreng­stoff­an­schlag. Der eigens für die Bekämp­fung der Roten Armee Frak­ti­on geschaf­fe­ne Para­graf 129a kommt zur Anwen­dung – und damit grei­fen alle Son­der­be­fug­nis­se der Bun­des­an­walt­schaft, die mit 129a-Ermitt­lun­gen auto­ma­tisch betraut wird, und all das, was sich ein Staat aus­denkt, um Men­schen im Knast end­gül­tig zu bre­chen: Unter­brin­gung von Unter­su­chungs­ge­fan­ge­nen in iso­lier­ten Ein­zel­zel­len, Zensur/​Einbehalten der Post, redu­zier­te Besuchs­zei­ten auf zwei Stun­den pro Monat, Besu­che nur unter stren­gen Sicher­heits­auf­la­gen und im Bei­sein von Beam­ten des BKA und vie­les mehr.

Am 9. Juni 1989, nach 17 Mona­ten Unter­su­chungs­haft, wird Ingrid Strobl zu fünf Jah­ren Haft ver­ur­teilt, am 8. Mai 1990 hebt der Bun­des­ge­richts­hof in einem Revi­si­ons­ver­fah­ren das Urteil auf, das Ober­lan­des­ge­richt Düs­sel­dorf befin­det schließ­lich auf drei Jah­re Haft, die bis dahin nicht ver­büß­te Stra­fe wird zur Bewäh­rung aus­ge­setzt. Es ist die erste über­haupt zuge­las­se­ne Revi­si­on zu einem 129a-Verfahren.

Drei­ßig Jah­re nach ihrer Haft­ent­las­sung legt Ingrid Strobl mit »Ver­mes­se­ne Zeit: Der Wecker, der Knast und ich« eine sehr reflek­tier­te Erin­ne­rung an ihre Knast­zeit vor.

Selbst­ver­ständ­lich hat sie gewusst, wofür der Wecker gedacht war, den sie gekauft und einem Bekann­ten über­ge­ben hat. Ein Anschlag auf die Luft­han­sa, die einer­seits Men­schen in das Elend zurück­fliegt, aus dem sie geflo­hen sind, und ande­rer­seits in den »Bums­bom­bern« deut­sche Män­ner zum Ficken nach Thai­land bringt. Zutiefst nach­voll­zieh­bar schil­dert Strobl, wie es ihr nicht mehr aus­reich­te, gegen all dies ein­fach nur anzu­schrei­ben. »Nicht mehr nur eine Frau des Wor­tes sein, son­dern eine der Tat.« Heu­te ist ihr klar: »Gebracht hat der Anschlag nichts. Es wur­de danach kein Flücht­ling weni­ger abgeschoben.«

Im Knast ist Strobl mit Armut und Leid kon­fron­tiert: Jun­kies, (Zwangs-)Prostituierte, eine Mit­ge­fan­ge­ne hat sich gegen ihren gewalt­tä­ti­gen Mann erst gewehrt, als die Toch­ter ihr anver­trau­te, dass er sie miss­brau­che. Da hat sie ihn umgebracht.

Strobl ver­sucht im Knast vor allem eins: nicht wahn­sin­nig zu wer­den. Das 23-Stun­den-am-Tag-allein-Sein, der Lärm, der Dreck, das Feh­len von Intim­sphä­re – das alles macht ihr zu schaf­fen, schnell merkt sie, dass ihr bei den sel­te­nen Besu­chen die Wor­te feh­len. Durch die Iso­la­ti­on ist Spre­chen schwer geworden.

Ihr hel­fen Bücher. Sie setzt sich inten­siv mit Peter Weiss‘ »Ästhe­tik des Wider­stands« aus­ein­an­der, ver­schlingt Elsa Moran­tes »La Sto­ria« und ent­flieht der Knast-Tri­stesse mit Doris Gerckes wun­der­ba­rer Bel­la Block.

Gehol­fen hat ihr auch die Soli­da­ri­tät. Da spielt eine Kapel­le vor dem Knast ein Weih­nachts­kon­zert für sie, von dem sie sogar ein wenig hören kann; wild­frem­de Frau­en schicken ihr Decken (die sie aller­dings nicht aus­ge­hän­digt bekommt), und Men­schen schrei­ben ihr. Ein­fach so. Aus Soli­da­ri­tät. Unter ihnen beein­druckt sie beson­ders ein Kom­mu­nist. Hät­te sie, die »Undog­ma­ti­sche«, ihm in den Knast geschrie­ben? Damals sicher nicht. Heu­te sähe das womög­lich anders aus.

Vor allem aber hat Ingrid Strobl die Arbeit gehol­fen. Die ehe­ma­li­ge Redak­teu­rin der Emma hat­te bereits vor ihrer Ver­haf­tung ein Buch über Frau­en im Wider­stand begon­nen. »Sag nie, du gehst den letz­ten Weg. Frau­en im Wider­stand gegen Faschis­mus und deut­sche Besat­zung« erscheint im Novem­ber 1989 und wird ein Erfolg. Über die Arbeit an dem Buch und sei­nem Nach­fol­ge­band erfährt man viel in »Ver­mes­se­ne Zeit«. Über die star­ken Frau­en, mit denen Strobl Inter­views führ­te, und deren Moti­va­ti­on, in den Wider­stand zu gehen. Als sie aus der Haft ent­las­sen wird, führt sie die Arbeit an dem The­ma weiter.

Auch wenn Ingrid Strobl in der Rück­schau den Sinn der mili­tan­ten Aktio­nen anzwei­felt, so stellt sie doch nie­mals deren Zweck in Fra­ge. Sie ist immer noch wütend, fin­det die Ver­hält­nis­se so uner­träg­lich wie damals. Davon zeugt ihr Buch. Und davon, was für eine Schwei­ne­rei der Para­graf 129a ist.

Ingrid Strobl: »Ver­mes­se­ne Zeit. Der Wecker, der Knast und ich«, Edi­ti­on Nau­ti­lus, 192 Sei­ten, 18 . Melina Dey­mann ist Redak­teu­rin bei der sozia­li­sti­schen Wochen­zei­tung Unse­re Zeit.