Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Kunstgenuss in Corona-Zeiten

Nach coro­nabe­ding­ter Absti­nenz ist es wie­der mög­lich, unter den bekann­ten Auf­la­gen Kunst­aus­stel­lun­gen zu besu­chen und lan­ge ver­miss­te Freun­de wie­der­zu­se­hen. So gab es ein uner­war­te­tes, freu­di­ges Tref­fen mit Ronald Paris im Schloss Bies­dorf. Dort kann man sei­ne Aus­stel­lung »Bil­der vom Sein« genie­ßen. Eine groß­zü­gi­ge Hän­gung erlaubt dem Besu­cher, die Kunst­wer­ke aus­gie­big zu betrach­ten. Arbei­ten aus sechs Jahr­zehn­ten umfasst die Aus­stel­lung die­ses her­aus­ra­gen­den Malers und Gra­phi­kers; sein Lebens­werk besteht aus Gemäl­den, Gra­phi­ken, Zeich­nun­gen, Glas­ma­le­rei­en und Gobe­lins sowie bau­ge­bun­de­ner Kunst; nur ein klei­ner Teil davon kann gezeigt werden.
Ronald Paris ist viel­sei­tig inter­es­siert. Im Mit­tel­punkt sei­nes Wer­kes steht der Mensch »mit sei­nen Taten, sei­nem Schrei, sei­nem Schmerz, dem Suchen und Hof­fen«, wie die Kunst­wis­sen­schaft­le­rin Ger­lin­de För­ster im Kata­log for­mu­lier­te. Fas­zi­nie­rend ist sein Erleb­nis der Land­schaft. Expres­siv, in kräf­ti­gen Far­ben gibt er sei­ne Ein­drücke wie­der. Zu sei­nen bevor­zug­ten Zie­len gehö­ren die Län­der im Mit­tel­meer­raum. Die in kal­ten Far­ben gehal­te­ne irlän­di­sche Land­schaft »Bere Island« steht den in war­men, kräf­ti­gen Far­ben gemal­ten Pay­sa­gen süd­län­di­scher Gebie­te gegen­über. Sein groß­for­ma­ti­ges Bild »Fla­men­co Anda­luz« über­trägt die Lei­den­schaft, das Tem­pe­ra­ment der Tän­zer auf den Betrach­ter. Sei­nen mei­ster­haf­ten Bild­nis­sen gin­gen vie­le Skiz­zen vor­aus, um das Wesen der Por­trä­tier­ten zu erfas­sen: Hanns Eis­ler, Hei­ner Mül­ler, Inge Kel­ler und andere.
Gestal­ten und Ereig­nis­se aus der Mytho­lo­gie sind für ihn zeit­los, von gro­ßer Aus­sa­ge­kraft auch für heu­te. »Die Schän­dung des Marsy­as« zeigt die unvor­stell­ba­re Grau­sam­keit, zu der Men­schen fähig sind. Ronald Paris mischt sich ein, bezieht Stel­lung – mit sei­nem Dipty­chon »Jüdi­sches Requi­em – zu Isaak Babel: Die drei Wel­ten«, mit sei­nem Gemäl­de »Cha­rons Boo­te«, das dem Flücht­lings­ster­ben auf dem Mit­tel­meer gewid­met ist, und ande­ren. Sehr bekannt sind sei­ne monu­men­ta­len Bil­der, dar­un­ter »Unser die Welt – trotz alle­dem«, gemalt für den abge­ris­se­nen Palast der Repu­blik (eine Vor­ar­beit für die­ses Werk ist in der Bies­dor­fer Aus­stel­lung zu sehen), oder sein gro­ßes Wand­bild »Tri­umph des Todes, Tri­umph des Lebens« im Foy­er des Thea­ters in Schwedt. Der Kunst­wis­sen­schaft­ler Peter H. Feist nann­te Paris »einen Bewah­rer und Ver­än­de­rer«. Der Besuch der Aus­stel­lung bestä­tigt die­se Erkenntnis.
Ins Café Mahls­dorf führ­te uns eine Aus­stel­lung mit Gemäl­den des Lets­chi­ner Malers Harald K. Schul­ze, eine klei­ne Werk­schau beson­de­rer Art. Er war in der DDR Mei­ster­schü­ler bei Wal­ter Womacka und hat­te gemein­sam mit dem Maler Cle­mens Grös­zer und dem Bild­hau­er Rolf Biebl die Grup­pe »Neon real« gegrün­det. Heu­te ist er Mit­glied der Künst­ler­ge­mein­schaft »Kg 849«, zu der elf Künst­ler vor­nehm­lich aus dem süd­öst­li­chen Bran­den­burg gehö­ren. Der klei­ne Raum des Cafés erlaubt nur sie­ben Gemäl­de. In zwei­en der Bil­der taucht ein Clown als Meta­pher auf, der Antoine Wat­te­aus Pier­rot »Gil­les« ent­lehnt ist: trau­rig, in star­rer Hal­tung. Sur­rea­li­sti­sche Mit­tel nutzt er auch in sei­ner Arbeit »Nacht­stadt II«. Die schö­ne Welt des Scheins wird bild­haft gemacht, alles glit­zert. Erschreckend wer­den die Bru­ta­li­tät und Ober­fläch­lich­keit ver­gnü­gungs- und dro­gen­süch­ti­ger Nacht­schwär­mer dar­ge­stellt. Ein Girl, gemalt als lebens­gro­ße, blank­po­lier­te, exakt geschmink­te, hüb­sche Pup­pe auf einer Har­ley David­son, posiert auf dem Gemäl­de »Har­ley-Braut«. Harald K. Schul­ze beherrscht sein male­ri­sches Hand­werk bril­lant; sei­ne Kunst ist kri­tisch und vol­ler Iro­nie. Wie vor veri­sti­schen Bil­dern von Otto Dix wird der Betrach­ter zwi­schen Bewun­de­rung und Ableh­nung hin- und her­ge­ris­sen. Zum Kunst­ge­nuss kann in die­sem Café auch ein kuli­na­ri­scher Genuss kommen.
Ein beson­de­res Erleb­nis bie­tet die Expo­si­ti­on mit Gemäl­den des Malers Johan­nes Hei­sig auf Schloss Rib­beck im Havel­land. Ein »Selbst­por­trät als Maler« emp­fängt den Besu­cher am Ein­gang, ein Bild vol­ler kri­ti­scher Selbst­be­fra­gung, der Kopf mehr­fach gespie­gelt im Hin­ter­grund. Ab 1980 hat­te Johan­nes Hei­sig an der Hoch­schu­le für Bil­den­de Kün­ste in Dres­den gelehrt und wur­de schließ­lich als 27-Jäh­ri­ger der jüng­ste Rek­tor der tra­di­ti­ons­rei­chen Ein­rich­tung. Die bedrücken­de Atmo­sphä­re nach der »Wen­de«, die für vie­le kata­stro­pha­le Ver­än­de­run­gen brach­te, ver­an­lass­te ihn, 1991 sein Amt nie­der­zu­le­gen. Seit­dem ist er frei­schaf­fend, lehrt jedoch nach wie vor an ande­ren Insti­tu­tio­nen und lebt heu­te in Teetz bei Kyritz.
Sei­ne Lie­be zur Natur zeigt sich in präch­ti­gen Still­le­ben und ein­fühl­sam gemal­ten Land­schaf­ten. Ein Teil der Aus­stel­lung hängt lei­der in einem schlecht beleuch­te­ten Flur. Den­noch strah­len die Bil­der ihre Kraft aus; sie sind furi­os gemalt. Sein Gemäl­de »Herbst­feu­er« fällt beson­ders auf. Es stellt den Künst­ler mit sei­ner Lebens­ge­fähr­tin dar. Beschüt­zend hal­ten sie sich an den Hän­den; im Hin­ter­grund ein lodern­des, alles über­strah­len­des Herbst­feu­er: ein dop­pel­deu­ti­ges Werk. Klein­for­ma­ti­ge, scho­nungs­los gemal­te »Selbst­be­trach­tun­gen« ver­wei­sen auf das Suchen nach Selbst­er­kennt­nis. 2020 ent­stand sei­ne Arbeit »Oster­lauf«; ein Mäd­chen mit Kopf­hö­rern läuft durch einen früh­lings­haf­ten, licht­durch­flu­te­ten Wald.
Fra­gen nach Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart, Erin­ne­run­gen und das Auf­spü­ren von Lösun­gen bestim­men vie­le Bild­ideen. Der Betrach­ter wird gefor­dert, das simul­tan Dar­ge­stell­te zu ergrün­den. In sei­nem groß­ar­ti­gen Gemäl­de »Water­loo Sun­set« herr­schen Cha­os und Unter­gang, sehr kon­kret bezo­gen auf die Welt, in der wir jetzt leben; der Him­mel brennt, eine schrei­en­de Frau fällt auf – und man ent­deckt ein sen­si­bel, bei­na­he roman­tisch erfass­tes Lie­bes­paar als ein Zei­chen für die Bewah­rung von Mensch­lich­keit in einer wir­ren Zeit. Die­ses und ande­re Bil­der sind Wer­ke eines Künst­lers, der sich nicht zufrie­den­gibt, der nicht müde wird, Miss­stän­de auf­zu­decken, der dem Meer von Belie­big­kei­ten und Dilet­tan­tis­men in der aktu­el­len Kunst­sze­ne mei­ster­haf­tes Kön­nen und gei­sti­gen Anspruch entgegensetzt.

Ronald Paris: »Bil­der vom Sein. Arbei­ten aus sechs Jahr­zehn­ten«, bis 14.8.2020, Schloss Bies­dorf, Alt-Bies­dorf 55, 12683 Ber­lin, geöff­net 10-18 Uhr, frei­tags 12-21 Uhr, diens­tags geschlos­sen. Café Mahls­dorf: Bil­der von Harald K. Schul­ze, bis 31.7.2020, Hönower Stra­ße 65, 12623 Ber­lin, don­ners­tags bis sonn­tags 10-17 Uhr. Johan­nes Hei­sig, Male­rei, bis 22.8.2020, Schloss­ga­le­rie, Schloss Rib­beck GmbH, Theo­dor-Fon­ta­ne-Stra­ße 10, 14641 Nau­en OT Rib­beck, mitt­wochs bis sonn­tags 11-17 Uhr. Bei allen drei Aus­stel­lun­gen ist der Ein­tritt frei.