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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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»Boga njet« – Gott gibt’s nicht

Aus­ge­rech­net in einem monu­men­ta­len Sakral­bau, in der Ber­li­ner Tho­mas­kir­che am Betha­ni­en­damm, wur­de am Sams­tag eine Schau eröff­net mit dem Titel: »Es gibt kei­nen Gott!« Anti­kle­ri­ka­le und anti­re­li­giö­se Pla­ka­te aus der Sowjetunion.

Der Rund­gang durchs Kir­chen­schiff ist amü­sant und lehr­reich. Die gezeig­ten Expo­na­te, drei­ßig an der Zahl, stam­men aus dem Bestand des Staat­li­chen Muse­ums für Reli­gi­ons­ge­schich­te St. Peters­burg (vor­mals: Muse­um für die Geschich­te der Reli­gi­on und des Athe­is­mus). Zur Ein­stim­mung begeg­net dem Betrach­ter ein ziem­lich bekann­tes Poster. Juri Gaga­rin grüßt freund­lich lächelnd aus dem Welt­raum, hin­ter sich den Ster­nen­him­mel und die Umris­se des Raum­schiffs Wostok-1, tief unten Kir­che und Moschee, dazwi­schen die Wor­te BOGA NJET. Wobei man hier zwei Moti­ve ver­mischt hat; denn der erste frei im All schwe­ben­de Kos­mo­naut war Leo­now, doch Gaga­rin ist nun mal der berühm­te­re. Die­ses Pla­kat ist eines der spä­ten Wer­ke aus dem Jahr 1975. Die älte­sten Stücke datie­ren vom Anfang der 1920er Jahre.

Zu die­ser Zeit for­mier­te sich eine Grup­pe von Künst­lern mit eige­nem Stil und dem Anspruch, die Revo­lu­ti­on pro­pa­gan­di­stisch zu unter­stüt­zen. (In Deutsch­land ent­stand gleich­zei­tig John Heart­fields dada­istisch gepräg­te Col­la­ge-Bild­kunst. Die umfang­rei­che poli­ti­sche Pla­kat­kul­tur der Räte­re­pu­blik Ungarns gehör­te bereits der Ver­gan­gen­heit an.) Es war kurz nach dem Bür­ger­krieg, im Fokus stand der inne­re Feind, ver­sinn­bild­licht durch den Zaren, die Rei­chen und den Popen. Der Pope steht für die Rus­sisch-Ortho­do­xe Kir­che als Stüt­ze des Adels, als Hort der Reak­ti­on, ihm gilt die geball­te Wut und Ver­ach­tung. Zu spä­te­rer Zeit wei­tet sich das Feind­bild auf die jüdi­sche und die mos­le­mi­sche Reli­gi­on sowie auf die »Sek­tan­ten« (Sek­tie­rer, d. h. Bap­ti­sten und Frei­kirch­ler) aus. Dann wer­den neben dem Popen auch der Imam und der Rab­bi gezeigt. Die reli­giö­se Pra­xis wird als pri­mi­tiv, wun­der­gläu­big, teil­wei­se schäd­lich gemalt. Über­schrif­ten dazu lau­ten »Reli­gi­on ist ein Werk­zeug zur Unter­jo­chung der Werk­tä­ti­gen«, »Alle hin­ein in den Bund der kämp­fe­ri­schen Gottlosen!«.

Im Lau­fe der 20er Jah­re meh­ren sich die Attacken gegen den äuße­ren Feind: gegen das inter­na­tio­na­le Kapi­tal, die anti­bol­sche­wi­sti­sche Exil­ge­mein­de, den ita­lie­ni­schen Faschis­mus und den Papst als Kriegs­trei­ber. Die Enzy­kli­ka des Pap­stes Pius XI. hat­te 1931 den Sozia­lis­mus in Pra­xis und Theo­rie als »für immer unver­ein­bar« mit der christ­li­chen Bot­schaft ver­dammt. Ein Bild zeigt den dicken harm­lo­sen Tou­ri­sten, unter des­sen Ornat der wach­sa­me Zöll­ner die ein­ge­schmug­gel­te reli­giö­se Lite­ra­tur fin­det – gefähr­li­ches Mate­ri­al zur Unter­mi­nie­rung der sozia­li­sti­schen Ord­nung. Man fragt sich: War­um ist das eigent­lich so gefähr­lich? Ist die leuch­tend hel­le neue Ord­nung wirk­lich so wack­lig, dass ein paar Trak­ta­te und Bibeln sie gefährden?

Den Kon­trast zwi­schen dem dunk­len Ver­gan­ge­nen und der leuch­ten­den Zukunft ver­an­schau­lich­ten die Pla­kat­künst­ler gern mit einem schlich­ten Hell-Dun­kel-Sche­ma. Der Quack­sal­ber, der Wun­der­hei­ler, der Pope ste­hen für die Ver­gan­gen­heit. Zur dunk­len Sei­te gehört auch der trunk­süch­ti­ge Geist­li­che sowie der Gläu­bi­ge, der sich an Fei­er­ta­gen maß­los betrinkt und blau macht, somit den Erfolg des »Fünf­jahr­plans« gefähr­dend. Den hel­len Fort­schritt ver­kör­pern indes­sen das Mikro­skop und das Buch, der (Tier-)Arzt im Kol­chos und der Trak­tor. Und nicht zuletzt das Raum­schiff Wostok-1 als Sym­bol des Sie­ges der Wis­sen­schaft. Sowjet­bür­ger Juri ist die sym­pa­thisch freund­li­che Ver­kör­pe­rung des Fort­schritts. Der neue homo sovie­ti­cus geht statt in die Kir­che in den »Klub«, ist gebil­det, urban, eman­zi­piert. Und die Frau­en spie­len bild­lich schon eine wich­ti­ge Rol­le: als gleich­be­rech­tig­te Arbei­te­rin­nen, als Stu­den­tin­nen, als Teil­neh­me­rin­nen des ört­li­chen Trak­to­ri­sten­kur­ses. Die Fort­schritts­ge­wiss­heit jener Zeit berührt schmerz­lich, wis­sen wir doch, dass sich das Rad der Geschich­te auch zurück­dre­hen lässt.

Jedem Pla­kat sind Erläu­te­run­gen bei­gege­ben, erfreu­lich sach­lich und instruk­tiv. Sie stam­men aus der Feder von Ange­hö­ri­gen des Leip­zi­ger Reli­gi­ons­wis­sen­schaft­li­chen Insti­tuts unter Lei­tung des Pro­fes­sors Horst Jung­in­ger, des Kura­tors der Aus­stel­lung und mut­maß­li­chen Spi­ri­tus Rek­tor des Ganzen.

Die Aus­stel­lung ist vom 5. Febru­ar bis zum 5. März 2022 zu sehen, Betha­ni­en­damm 25, 10997 Ber­lin (zugleich Sitz des Ber­li­ner Insti­tuts für Staat-Kirche-Forschung).