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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Der Querulant

Die größ­te Stadt in Sach­sen-Anhalt hat seit einem drei­vier­tel Jahr kei­nen Ober­bür­ger­mei­ster mehr. Was die Bür­ger erstaunt: Die Stadt­ver­wal­tung funk­tio­niert trotz­dem irgend­wie. Noch immer wird jeden Mitt­woch alle 14 Tage der Rest­müll abge­holt, und nach wie vor sind die Lei­tun­gen im Ord­nungs­amt besetzt. Fast könn­te man glau­ben, selbst eine Groß­stadt wie Hal­le braucht eigent­lich gar kein Stadt­ober­haupt. Und mal ehr­lich: Des­sen Gehalt wäre in der chro­nisch klam­men Stadt sicher auch an ande­rer Stel­le gut zu investieren.

Im April 2021 wur­de Bernd Wie­gand spek­ta­ku­lär sus­pen­diert. Ihm wur­de ver­bo­ten, sein Dienst­zim­mer im Rat­haus zu betre­ten, Dienst­lap­top und -han­dy muss­te er abge­ben. Da war dank Mar­kus Lanz bereits bun­des­weit bekannt, dass sich Wie­gand im Janu­ar 2021 bei der Imp­fung gegen Coro­na vor­ge­drän­gelt haben soll. Und mehr noch: Ihm wird vor­ge­wor­fen, im Stadt­rat und in der Stadt­ver­wal­tung ein Günst­lings­netz­werk in Sachen Impf­schutz orga­ni­siert zu haben.

Seit­dem beschäf­tigt die Cau­sa Wie­gand ver­schie­de­ne Gerich­te, aktu­ell das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt. Wenn sich Wie­gand nicht gera­de auf Twit­ter dar­über beklagt, dass hier eine Schmutz­kam­pa­gne gegen einen par­tei- und des­halb ver­meint­lich wehr­lo­sen Poli­ti­ker gefah­ren wird, übt er sich in neu­er Bür­ger­nä­he, bei­spiels­wei­se als Hilfs­she­riff im Stadtbad.

Die Hal­len­ser regt die­se Sache nun längst nicht mehr auf. Als sich Wie­gand vor zehn Jah­ren erst­mals um den Posten des Ober­bür­ger­mei­sters bewarb, schob ihn eine Wel­le der Eupho­rie ins Amt. End­lich Schluss mit den ewig glei­chen Gesich­tern, end­lich mehr Sach­ver­stand als Par­tei­li­nie. Aber Wie­gand ver­spiel­te die­sen Bonus schnell. Er ver­strick­te sich in klein­li­chen Debat­ten mit dem Stadt­rat, vie­le Ange­le­gen­hei­ten lan­de­ten vor Gerich­ten, vie­le wich­ti­ge The­men blie­ben auf hal­ber Strecke lie­gen, so dass Hal­le bei­spiels­wei­se bis heu­te kei­nen ver­nünf­ti­gen Hoch­was­ser­schutz hat. Das ist am Zusam­men­fluss von Wei­ßer Elster und Saa­le aber natür­lich nur ein rand­stän­di­ges Problem.

Nach zehn Jah­ren umgibt Wie­gand das Image eines recht­ha­be­ri­schen und klein­gei­sti­gen Que­ru­lan­ten. Dass er sei­ne Ver­trau­ten zu vor­fri­sti­gen Ter­mi­nen ver­hol­fen haben soll, muss nicht stim­men, passt aber zu dem Bild, das sich vie­le Bür­ger inzwi­schen von ihm gemacht haben.

Dass Wie­gand all das nicht wahr­neh­men kann oder immer noch glaubt, das Ruder rum­rei­ßen zu kön­nen, kann als hart­näckig bewun­dert wer­den. Man kann dar­in aber auch eine Form der Rea­li­täts­ver­wei­ge­rung sehen.

Im Stadt­rat hält noch eine schwei­gen­de Min­der­heit dem geschass­ten Ober­bür­ger­mei­ster die Nibe­lun­gen­treue. Beson­ders das Bünd­nis »Haupt­sa­che Hal­le« hat sich poli­tisch so sehr auf Wie­gand fest­ge­legt, dass die Abge­ord­ne­ten ohne ihn wohl kaum eine Zukunft im Stadt­rat haben werden.

Erst 2019 wur­de Wie­gand im Amt bestä­tigt. Die näch­ste Wahl zum Ober­bür­ger­mei­ster fin­det plan­mä­ßig erst 2026 statt. Ohne Fra­ge: Wie­gand wird die Gerich­te bis dahin locker beschäf­ti­gen kön­nen. Als geüb­ter Lang­strecken­läu­fer ver­fügt er über die nöti­ge Aus­dau­er. Die Stadt scheint bis dahin ohne ihren Ober­bür­ger­mei­ster nicht gänz­lich vor die Hun­de zu gehen. Ob der Fall Wie­gand am Ende eher zur Anek­do­te wird oder in das Schwarz­buch des Bun­des der Steu­er­zah­ler ein­geht, wird sich noch zeigen.