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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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»Dirty Old Man« wird 100

»Die Lyrik geht auf die Stra­ße, in die Puffs, in den Him­mel, den Pick­nick­korb, die Whis­key­fla­sche«, schrieb einst der ame­ri­ka­ni­sche Schrift­stel­ler Charles Bukow­ski. Das war gleich­zei­tig Anspruch an sein eige­nes Werk, mit dem er die über­kom­me­nen poe­ti­schen Tra­di­tio­nen spreng­te: »Reform­kost genügt nicht mehr.« Vom Geheim­tipp des Under­grounds in den 1960er Jah­ren wur­de er spä­ter ein berüch­tig­ter Kult­au­tor, und heu­te ist er ein moder­ner Klas­si­ker, der sei­nen Platz in der ame­ri­ka­ni­schen Lite­ra­tur­ge­schich­te gefun­den hat. Doch wie kein ande­rer ent­zog sich Bukow­ski allen Klas­si­fi­zie­run­gen, viel­mehr schrieb er gegen jede Anfein­dung der eta­blier­ten Kri­ti­ker an. Es gab wohl kei­nen Autor, der so pola­ri­sier­te wie er. Sei­ne direk­ten und har­ten Tex­te sind zumeist auto­bio­gra­fisch, sie han­deln von Alko­hol, Dro­gen, Pfer­de­wet­ten, Sex, Pro­sti­tu­ti­on und der Bru­ta­li­tät des Lebens. Fast jeder kennt ihn, auch Lite­ra­tur­muf­fel haben sei­nen Namen schon ein­mal gehört. Sein Name ist immer noch ein Mythos. Doch wer ver­barg sich dahinter?

Charles Bukow­ski wur­de am 16. August 1920 in Ander­nach am Rhein als Sohn des in Deutsch­land sta­tio­nier­ten US-ame­ri­ka­ni­schen Sol­da­ten Hen­ry Charles Bukow­ski sr. und der deut­schen Nähe­rin Katha­ri­na Bukow­ski (geb. Fett) gebo­ren. Knapp drei Jah­re spä­ter kehr­te der GI mit sei­ner jun­gen Fami­lie in die USA nach Los Ange­les zurück. Der sol­da­ti­sche Vater war gewalt­tä­tig, prü­gel­te den Sohn fast regel­mä­ßig. In die Puber­tät gekom­men, litt Bukow­ski außer­dem an extre­mer Akne mit Pusteln am gan­zen Kör­per, wes­halb er wie ein Aus­sät­zi­ger in der Schu­le gemie­den wur­de und sogar ein Schul­jahr aus­set­zen muss­te. In sei­nem spä­te­ren Roman »Ham on Rye« (1982, deutsch »Das Schlimm­ste kommt noch oder Fast eine Jugend«) schil­der­te er die schmerz­li­chen Kindheitserlebnisse.

Nach der Schu­le stu­dier­te Bukow­ski zunächst Jour­na­lis­mus am Los Ange­les City Col­lege, brach das Stu­di­um aber ab und ver­such­te sich als Schrift­stel­ler mit Gedich­ten für Under­ground-Gazet­ten. Sei­nen Lebens­un­ter­halt muss­te er jedoch mit Gele­gen­heits­jobs als Ern­te­hel­fer, Tank­wart, Lei­chen­wä­scher oder Brief­sor­tie­rer bestrei­ten. Nach einem ern­sten Kran­ken­haus­auf­ent­halt (schwe­re Magen­blu­tung) ver­such­te er sein Leben halb­wegs in den Griff zu bekom­men; er begann wie­der zu schrei­ben und wand­te sich vor­ran­gig der Lyrik zu. Er ent­wickel­te einen har­ten lyri­schen Rea­lis­mus; sei­ne Gedich­te waren wie kom­pri­mier­te Kurz­ge­schich­ten. Dabei bedien­te er sich einer ein­fa­chen und direk­ten Spra­che, mit der er die Lyrik gewis­ser­ma­ßen ent­poe­ti­sier­te. Schon früh expe­ri­men­tier­te er mit sti­li­sti­schen Mit­teln wie Zei­len­sprün­gen oder Schrift­bild­lich­keit. Oft illu­strier­te er sei­ne Tex­te auch. 1963 erschien sein erster gro­ßer Gedicht­band »It Cat­ches My Heart in Its Hand« und 1969 eine Kurz­ge­schich­ten­samm­lung unter dem Titel »Notes of a Dir­ty Old Man«. Bis 1970 arbei­te­te Bukow­ski im Innen­dienst des U.S. Postal Ser­vice. Sei­ne Erleb­nis­se ver­ar­bei­te­te er in sei­nem ersten Roman »Post Office« (1971, deutsch »Der Mann mit der Leder­ta­sche«). Erst danach konn­te er eini­ger­ma­ßen von sei­ner schrift­stel­le­ri­schen Tätig­keit leben.

Umso ful­mi­nan­ter war sein Erfolg ab Mit­te der 1970er Jah­re, wo er einer der auf­la­gen­stärk­sten Autoren wur­de, der die dunk­le Sei­te der USA beleuch­te­te. Sei­nen Under­ground­sta­tus hat­te er dabei nie ver­lo­ren. Durch die Über­set­zun­gen des Schrift­stel­lers Carl Weiss­ner, der mit Bukow­ski befreun­det und Her­aus­ge­ber eines Groß­teils der deut­schen Bukow­ski-Aus­ga­ben war, wur­den die Gedich­te und Sto­rys des »Außen­sei­ters Bukow­ski« auch in Deutsch­land schnell popu­lär – vor allem mit den dtv-Taschen­buch­aus­ga­ben. Wer up to date sein woll­te, muss­te Bukow­ski gele­sen haben. Erin­nert sei hier an die Lyrik­bän­de »Gedich­te die einer schrieb bevor er im 8. Stock­werk aus dem Fen­ster sprang«, »Gedich­te vom süd­li­chen Ende der Couch« oder »Western Ave­nue«, an die Kurz­ge­schich­ten­bän­de »Hot Water Music« oder »Jeder zahlt drauf« sowie an den Roman »Das Lie­bes­le­ben der Hyä­ne«. Zwi­schen 1960 und den frü­hen 1990er Jah­ren ver­öf­fent­lich­te Bukow­ski weit über vier­zig Bücher mit Gedich­ten und Prosa.

1978 unter­nahm Bukow­ski eine Deutsch­land-Tour­nee. Wäh­rend die­ser »Och­sen­tour« (so der Titel sei­nes Rei­se­be­rich­tes) wur­de er in weni­gen Tagen von Stadt zu Stadt gereicht. Dabei besuch­te er auch sein Geburts­haus in Ander­nach und Carl Weiss­ner in Mann­heim. Über­all Inter­views und Auto­gramm­wün­sche. Legen­där sei­ne Lesung in der aus­ver­kauf­ten Ham­bur­ger Markt­hal­le. Bukow­ski war von sei­ner Popu­la­ri­tät in Deutsch­land überrascht.

Pri­vat führ­te Bukow­ski ein unste­tes Leben. Über­mä­ßi­ger Alko­hol­kon­sum bela­ste­te immer wie­der die Bezie­hun­gen zu sei­nen Lebens­ge­fähr­tin­nen. So dau­er­te die Ehe mit der Schrift­stel­le­rin Bar­ba­ra Frye nur drei Jah­re. 1977 lern­te er Lin­da Lee Beigh­le, die Besit­ze­rin eines Bio­la­dens, auf einer Lesung ken­nen. Mit eini­gen Unter­bre­chun­gen leb­ten die bei­den bis zu sei­nem Tod zusam­men (Hei­rat 1985). Es war kei­nes­falls eine kon­flikt­freie Bezie­hung, doch mit ihr wur­de er sess­haft und sie brach­te eine gewis­se Sta­bi­li­tät in sei­ne Lebens­ver­hält­nis­se. Am 9. März 1994 starb Charles Bukow­ski im Alter von 73 Jah­ren in sei­ner Wahl­hei­mat San Pedro, Kali­for­ni­en, an Leukämie.

Bukow­ski war eine rebel­li­sche, ja anar­chi­sti­sche Dich­ter­per­sön­lich­keit, die nicht nur in den 1960er Jah­ren das anti­bür­ger­li­che Lebens­ge­fühl der jun­gen Gene­ra­ti­on traf. Mit dem Schrei­ben ver­such­te Charles Bukow­ski sein rui­nier­tes Leben zu ver­ar­bei­ten, so besteht sein Werk zum Groß­teil aus All­tags­be­wäl­ti­gun­gen und Selbst­be­ob­ach­tun­gen (sein lite­ra­ri­sches Alter Ego ist dabei die Roman­fi­gur Hen­ry Chin­an­ski). Als Schrift­stel­ler war Bukow­ski ein Außen­sei­ter, ein Ein­zel­gän­ger, der bis heu­te wider­sprüch­lich bewer­tet wird. Da sind die scho­nungs­lo­se Spra­che – häu­fig als Fäkal­spra­che abge­tan – und die lite­ra­ri­schen Grenz­über­schrei­tun­gen bis hin zum Chau­vi­nis­mus und Sexis­mus. Man muss ihn halt mögen, die­sen pro­vo­ka­ti­ven Buk – so sein Nickname.

Zum 100. Geburts­tag des Phä­no­mens Bukow­ski erschien zunächst – inzwi­schen sind wei­te­re Bücher auf dem Markt – eine schma­le Aus­ga­be mit Kat­zen­por­träts. Hier zeigt sich der wei­che Kern unter der rau­en Ober­flä­che des »Dir­ty Old Man«, der von sich behaup­te­te: »Ich mag Hun­de lie­ber als Men­schen. Und Kat­zen lie­ber als Hun­de.« Es sind kur­ze Pro­sa­tex­te oder mit­un­ter nur weni­ge Gedicht­zei­len über die »klei­nen Tiger«, dar­un­ter auch bis­lang unbe­kann­te Fas­sun­gen. Wäh­rend Bukow­ski sei­ne Lieb­lin­ge Big Sam, Ting oder Bee­ker beob­ach­tet, sin­niert er gleich­zei­tig über die Wid­rig­kei­ten des mensch­li­chen Daseins …, und so resü­miert er am Ende: »ich stu­die­re die­se Wesen. /​ sie sind mei­ne Leh­rer«. Kom­plet­tiert wird das klein­for­ma­ti­ge Bänd­chen durch eini­ge Bukow­ski-Zeich­nun­gen und Fotos, die den Schrift­stel­ler bezie­hungs­wei­se sei­ne Ehe­frau mit den Kat­zen zeigen.

 

Charles Bukow­ski: »Kat­zen«, Über­set­zung von Jan Schön­herr, Kie­pen­heu­er & Witsch, 144 Sei­ten, 14,90 . Anfangs­zi­tat aus Charles Bukow­ski: »Held außer Betrieb – Sto­ries und Essays 1946 – 1992« in der Über­set­zung von Mal­te Krutzsch, Fischer Klas­sik, 2014. Eine foto­gra­fi­sche Annä­he­rung unter dem Titel »The Shoo­ting – Bukow­ski« (Hirm­er Ver­lag) prä­sen­tiert zumeist bis­lang unver­öf­fent­lich­te Fotos des US-ame­ri­ka­ni­schen Foto­gra­fen Abe Fra­jnd­lich, der das Ver­trau­en des Dich­ters gefun­den hat­te. Im Ver­lag Zwei­tau­send­eins ist die Doku­men­ta­ti­on »Notes on a Dir­ty Old Man. Charles Bukow­ski von A bis Z« von Frank Schä­fer erschie­nen, gewis­ser­ma­ßen eine »Bukow­ski­pe­dia« unter ande­rem mit vie­len bio­gra­fi­schen Fakten.