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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ehrendoktorwürden und ihre Bürden

Es ist still gewor­den um ein The­ma, das vor einem Jahr wochen­lang die Göt­tin­ger regio­na­le Pres­se beschäf­tig­te und auch über­re­gio­nal ver­mel­det wur­de: die Ehren­dok­tor­wür­de, die im Jah­re 2005 von der Uni­ver­si­tät an den Alt-Kanz­ler Ger­hard Schrö­der ver­lie­hen wor­den war – damals mit gro­ßer Zustim­mung der Öffentlichkeit.
Zur Erin­ne­rung: Kaum ins Amt gekom­men und gestützt auf eine rot-grü­ne Koali­ti­on teil­te der Kanz­ler Schrö­der am 24. März 1999 über das Fern­se­hen mit, dass Deutsch­land am Krieg gegen Jugo­sla­wi­en, genannt »Koso­vo­krieg«, teil­neh­men wür­de, völ­ker­rechts­wid­rig, wie damals jeder wis­sen konn­te, weil es ein Angriffs­krieg war ohne UNO-Man­dat. Allein die­ser Völ­ker­rechts­bruch hät­te aus­rei­chen müs­sen, dem Ex-Kanz­ler spä­ter nie und nim­mer die Ehren­dok­tor­wür­de zu ver­lei­hen, trotz sei­ner stand­haf­ten Wei­ge­rung 2003, an einem ande­ren völ­ker­rechts­wid­ri­gen Angriffs­krieg, dem »Irak­krieg«, teil­zu­neh­men, den die unhei­li­ge Drei­ei­nig­keit, der US-Prä­si­dent Geor­ge W. Bush und sei­ne Mit­ver­ant­wort­li­chen Donald Rums­feld und Colin Powell, mit einer Lüge begon­nen hat­te, wodurch bis zu einer Mil­li­on ira­ki­sche Zivi­li­sten ermor­det wur­den und ein weit­ge­hend zer­stör­tes Land von die­sem mon­strö­sen US-Völ­ker­rechts­bruch bis heu­te Zeug­nis gibt.
Zurück zu Ger­hard Schrö­ders Ehren­dok­tor­wür­de: Sie ist für die Uni­ver­si­tät Göt­tin­gen längst zu einer schwe­ren Bür­de gewor­den. Und wei­te­re Fäl­le aus den Nach­kriegs­jah­ren könn­ten eben­falls noch sol­che »Bür­den« werden.
In Ossietzky 15/​2022 habe ich vier Namen von Ehren­dok­to­ren nach 1945 genannt, deren tief­brau­ne Trä­ger eng in das NS-Regime ver­strickt waren. Zu einem von ihnen, Johan­nes Wolff, der eine hohe Posi­ti­on in der Lan­des­kir­che hat­te, habe ich inzwi­schen eine Ein­ga­be an die Syn­ode, dem »Par­la­ment«, der Lan­des­kir­che Han­no­vers gemacht, zwecks Distan­zie­rung von die­sem Unwür­di­gen Die Ein­ga­be wur­de ange­nom­men. Zwei wei­te­re Ehren­dok­to­ren die­ser Art konn­te ich seit­dem noch ent­decken. Das war nicht ganz ein­fach, denn in der aktu­el­len offi­zi­el­len Liste (Stand 23.03.2023) der »Ehren­pro­mo­tio­nen der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Georg-August-Uni­ver­si­tät Göt­tin­gen« nach 1945 feh­len näm­lich unter den 32 Namen fünf der sechs von mir ermit­tel­ten Fälle.
War­um, konn­te ich nicht fest­stel­len, aber ein Ver­dacht kommt auf: Wur­den ihre Namen bewusst weg­ge­las­sen, um zu ver­schwei­gen, dass in jenen ersten Nach­kriegs­jah­ren mit­hil­fe eines theo­lo­gi­schen Ehren­dok­tors hoch­be­la­ste­te Mit­tä­ter im NS-Regime für eine wei­te­re Kar­rie­re »weiß­ge­wa­schen« wur­den? Das wäre dann auch eine Art kirch­lich-theo­lo­gi­schen Miss­brauchs. Ich weiß es nicht. Die Lan­des­kir­che und die theo­lo­gi­sche Fakul­tät sind auf­ge­for­dert, hier Aus­kunft zu geben.
Hier nun die bei­den wei­te­ren Ehren­dok­to­ren aus der Nachkriegszeit:
Karl Stal­mann (1877-1953), ein Enkel des in der Lan­des­kir­che Han­no­vers hoch­ver­ehr­ten Theo­lo­gen Ger­hard Uhl­horn, mach­te hier eben­falls Kar­rie­re. 1933-53 war er Ober­lan­des­kir­chen­rat und gab Anord­nun­gen für die Lan­des­kir­che her­aus. Dabei war er ein enger Mit­ar­bei­ter des Lan­des­bi­schofs Marah­rens, der selbst »ein gläu­bi­ger Anhän­ger Hit­lers« (so der Kir­chen­hi­sto­ri­ker Klaus Schol­der) war und der ihn, wo immer es ging, unter­stütz­te. In die­sem Sin­ne ord­ne­te Stal­mann wäh­rend des Krie­ges Dank- und Bitt­got­tes­dien­ste mit z. T. vor­fo­mu­lier­ten Tex­ten an, so am 6. Juni 1940 »unter dem über­wäl­ti­gen­den Ein­druck des Berichts aus dem Füh­rer­haupt­quar­tier über den ruhm­vol­len Abschluss des gro­ßen Kamp­fes in Flan­dern« mit »Dank gegen Gott, den Herrn der Welt­ge­schich­te« und »für den Füh­rer, der Wehr­macht und für unse­re Brü­der, die für ihr Volk die Waf­fen tra­gen«. Oder die Anord­nung am 26. Juni 1940 »anläss­lich des Waf­fen­still­stands­ab­schlus­ses mit Frank­reich«, wor­in es heißt: »Der Herr hat Gro­ßes uns getan, des sind wir fröh­lich«, und am Schluss: »Seg­ne den Füh­rer, sei­ne Rat­ge­ber und Heer­füh­rer und gib ihnen guten Rat und rech­te Tat.«. Oder am 21. Juni 1944, gemein­sam mit sei­nem Lan­des­bi­schof Marah­rens, der inzwi­schen auch in einem drei­köp­fi­gen Geist­li­chen Ver­trau­ens­rat für die gesam­te »Evan­ge­li­sche Kir­che des Rei­ches« sprach, die Anord­nung, in Kir­chen­ge­be­ten den »Dank für die Erret­tung des Füh­rers« aus­zu­spre­chen, etwa in fol­gen­der Form: »Hei­li­ger barm­her­zi­ger Gott! Von Grund unse­res Her­zens dan­ken wir dir, dass du unse­rem Füh­rer bei dem ver­bre­che­ri­schen Anschlag Leben und Gesund­heit bewahrt und ihm unserm Vol­ke in einer Stun­de höch­ster Gefahr erhal­ten hast. In dei­ne Hän­de befeh­len wir ihn. Nimm ihn in Dei­nen gnä­di­gen Schutz. Sei und blei­be Du sein star­ker Hel­fer und Ret­ter«. Aber­mil­lio­nen Men­schen haben die­ses Wort so oder ähn­lich gehört und muss­ten sich dann zum mör­de­ri­schen Wei­ter­kämp­fen auf­ru­fen las­sen: »Erhal­te unse­rem Vol­ke in unbe­irr­ter Treue, Mut und Opfersinn.«
Das war die Bot­schaft des Herrn Stal­mann 1944. Bald nach dem Krieg war er wei­ter­hin wie bis­her als Bevoll­mäch­tig­ter des Lan­des­kir­chen­am­tes tätig – unan­ge­foch­ten bis zu sei­nem Ruhe­stand im Mai 1953. Recht­zei­tig vor sei­nem Able­ben im Juli des­sel­ben Jah­res wur­de ihm von der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Uni­ver­si­tät Göt­tin­gen die Ehren­dok­tor­wür­de ver­lie­hen. Sei­ne Lan­des­kir­che bemerk­te dazu: »So hat der Heim­ge­gan­ge­ne in mehr als 40 Jah­ren der Kir­che mit der ihm eige­nen Treue und Gewis­sen­haf­tig­keit gedient und in ent­schei­dungs­vol­ler Zeit mit kla­rem Urteil die Geschicke unse­rer Lan­des­kir­che mitbestimmt.«
Christ­hard Mah­ren­holz (1900-1980), Musik­wis­sen­schaft­ler und Theo­lo­ge, 1930 Lan­des­kir­chen­rat, 1933 Ober­lan­des­kir­chen­rat, 1930-1946 Lehr­be­auf­trag­ter für Kir­chen­mu­sik der Uni Göt­tin­gen, dazu vie­le Ämter zur Kir­chen­mu­sik, so z. B. 1933 im Bei­rat des Reichs­am­tes für Kir­chen­mu­sik der Evan­ge­li­schen Kir­che des NS-Reichs­bi­schofs Lud­wig Mül­ler, Reichs­ob­mann Ver­band evan­ge­li­scher Kir­chen­chö­re, för­dern­des Mit­glied der SS.
Ein beson­de­res Anlie­gen war für ihn die Her­aus­ga­be von Kir­chen­ge­sang­bü­chern, so z. B. eine Neu­fas­sung des »Han­no­ver­schen Gesang­bu­ches von 1928«, das 1938 der neu­en Zeit ent­spre­chend ange­passt wur­de. Hieß es 1928 in einem Lied, das nach alter luthe­ri­scher Tra­di­ti­on die »Für­bit­te für die Obrig­keit« besang, noch: »Den König schüt­ze dei­ne Macht …« (was den Wunsch nach Rück­kehr der 1918 ver­trie­be­nen Herr­scher wider­spie­gel­te), so änder­te Mah­ren­holz den Text 1938 im Sin­ne der Hit­ler-Ver­eh­rung um. Im Anhang des Han­no­ver­schen Gesang­bu­ches fin­det sich unter der Nr. 521 das neue Mah­ren­holz-Lied, das nach der bekann­ten Melo­die »Herz­lich lieb hab ich dich, o Herr« gesun­gen wurde:
»Den Füh­rer schüt­ze dei­ne Macht! Er, der für uns­re Wohl­fahrt wacht, ist uns von dir gege­ben. Du, der in ihm so viel uns gibt, schenk ihm, der sein Volk treu­lich liebt, ein rei­ches, lan­ges Leben! Gott, lass auf ihm und sei­nem Tun den aller­be­sten Segen ruhn, lass sei­ner Räte Werk gedeihn, Recht Ord­nung, Treu das Land erfreun! Herr unser Gott, in dei­ner Hand ist unser Land, beglück es, seg­ne jeden Stand.«
In den Jah­ren von 1938 bis 1945 dürf­te die­ses Lied von Hun­dert­tau­sen­den, ja von Mil­lio­nen von Men­schen gesun­gen wor­den sein, etwa bei den ver­ord­ne­ten Dank­got­tes­dien­sten des Herrn Stal­mann – ein ech­ter NS-Hit!
Wie auch immer: 1948 erhielt der Herr Mah­ren­holz gemein­sam mit dem Herrn Wolff die theo­lo­gi­sche Ehren­dok­tor­wür­de der Uni­ver­si­tät Göttingen …