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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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»Heimatschutz« auf Italienisch

Ende März hat Feder­i­co Ram­pel­li, Abge­ord­ne­ter von Fra­tel­li d’Italia (der Par­tei, der die amtie­ren­de Regie­rungs­chefin Gior­gia Melo­ni ange­hört) und Vize­prä­si­dent der Came­ra dei Depu­ta­ti (einer der zwei ita­lie­ni­schen Par­la­ments­flü­gel) einen bemer­kens­wer­ten Gesetz­ent­wurf ein­ge­reicht. Es han­delt sich um ein Gesetz, das die Ver­wen­dung aus­län­di­scher Wor­te in staat­li­chen Behör­den und Betrie­ben Ita­li­ens künf­tig unter Stra­fe stel­len und mit Buß­gel­dern von 5.000 bis 100.000 Euro ahn­den soll. Damit soll die »Über­flu­tung« mit aus­län­di­schen (ins­be­son­de­re eng­li­schen) Begrif­fen im sprach­li­chen Umgang und der Zuwachs von Angli­zis­men in der ita­lie­ni­schen Spra­che ein­ge­dämmt und der »Hilf­lo­sig­keit« von vie­len Ita­lie­nern, die in ihrem eige­nen Land ohne Kom­pe­tenz im Eng­li­schen und in wei­te­ren Fremd­spra­chen nicht wei­ter­kom­men, ent­ge­gen­ge­wirkt wer­den. Auch Kur­se an Schu­len und Uni­ver­si­tä­ten, die in ande­ren Spra­chen als dem Ita­lie­ni­schen abge­hal­ten wer­den, sol­len künf­tig nicht mehr ange­bo­ten wer­den; ein­zi­ge Aus­nah­me sind Kur­se mit vie­len aus­län­di­schen Studenten.
Na, end­lich!, möch­te man als ita­lie­ni­sche Patrio­tin, als die sich Gior­gia Melo­ni gern bezeich­net, aus­ru­fen. Weg mit den Mana­gern, den Work­shops, den Lock­downs, der Work-Life-Balan­ce, dem Burn­out und dem Stress! Und haben nicht auch der Eng­lisch­un­ter­richt an den Schu­len, der (vor­erst) wei­ter­be­trie­ben wer­den soll, und erst recht das Inter­net einen gefähr­li­chen, die natio­na­le Iden­ti­tät zer­set­zen­den Ein­fluss? Wol­len wir das etwa wei­ter zulassen?
Natür­lich, wo geho­belt wird, fal­len Spä­ne, gibt es auch Ver­lu­ste. »Weekend« ist doch viel schö­ner als »fine set­ti­ma­na«. Und wie über­setzt man »work­shop«? »Nego­tio di lavoro«? Außer­dem fürch­ten Abge­ord­ne­te der Fünf-Ster­ne-Bewe­gung um das gera­de unter Melo­nis Füh­rung gegrün­de­te »Mini­ste­ro del Made in Ita­ly« (Mini­ste­ri­um für das Made in Ita­ly). Was soll nun mit der eng­li­schen Bezeich­nung werden?
Zwar wird über den Vor­schlag von »Fra­tel­li d’Italia« (der Par­tei, nicht der Regie­rung) von Links bis Rechts herz­haft gelacht, aber einen Scherz woll­ten die »Brü­der« sicher nicht machen, sie haben den »Schutz der Hei­mat« im Blick und fin­den dafür viel Zuspruch, sogar von eini­gen, die nach der Pan­de­mie auch wei­ter­hin im Home­of­fice arbei­ten wol­len. Da wer­den nun ita­lie­ni­sche Bezeich­nun­gen gesucht.
Wie ernst der Geset­zes­ent­wurf in einem Grün­dungs­land der Euro­päi­schen Uni­on (Grün­dung der Euro­päi­schen Wirt­schafts­ge­mein­schaft 1957) wirk­lich gemeint ist, bleibt min­de­stens frag­lich. Die Initia­ti­ve ist auch ein schö­nes Ablen­kungs­ma­nö­ver. Seit Mona­ten ste­hen vie­le wich­ti­ge und gra­vie­ren­de Pro­ble­me auf der Agen­da, die auf Lösun­gen war­ten. Aber Krieg, Infla­ti­on, die wie­der stei­gen­de Zahl an Mit­tel­meer-Flücht­lin­gen und der »Pia­no di ripre­sa e resi­li­en­za«, der Plan für die För­der­gel­der der EU, sind kom­pli­ziert. Sym­pa­thien sind hier kaum zu gewin­nen. Da ver­schafft ein Work­shop (Scu­sa!) über den Schutz der Hei­mat und den Erhalt der ita­lie­ni­schen Iden­ti­tät natür­lich ein biss­chen Luft.
Und wol­len wir nicht alle, dass es end­lich wie­der so wird, wie es nie war?