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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Eine Rede, die FAZ und ein Minister

»Hin­ter die­ser Zei­tung steckt immer ein klu­ger Kopf.« Mit dem Slo­gan wirbt die FAZ, die Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung, seit 1965. Ergän­zend muss man lei­der fest­stel­len: In der Redak­ti­on die­ser all­ge­mei­nen Zei­tung stecken immer wie­der auch Brun­nen­ver­gif­ter und Scharf­ma­cher. In einer Zeit, in der sich der NATO-Über­fall auf Jugo­sla­wi­en zum zwan­zig­sten Mal jährt, sei an einen von ihnen erin­nert, den dama­li­gen Mit­her­aus­ge­ber des Blat­tes Johann Georg Reiß­mül­ler. Er hat­te gro­ße Ver­dien­ste an der Dämo­ni­sie­rung der Ser­ben und damit an der media­len Vor­be­rei­tung der Aggres­si­on. Nach sei­ner Über­zeu­gung waren die Ursa­che allen Übels in Jugo­sla­wi­en die Kom­mu­ni­sten und die Ser­ben. Bereits vor den Unab­hän­gig­keits­er­klä­run­gen Kroa­ti­ens und Slo­we­ni­ens hat­te er sich auf die Jugo­sla­wi­sche Volks­ar­mee ein­ge­schos­sen, sie als »ser­bi­sche Streit­macht« dekla­riert und ihren Bei­trag zum Sieg der Anti­hit­ler­ko­ali­ti­on auf sei­ne Wei­se gewür­digt: »Das jugo­sla­wi­sche Mili­tär … hat­te sich auch in frü­he­ren Zei­ten kei­ne Ver­dien­ste um Jugo­sla­wi­en erwor­ben. Das Par­ti­sa­nen­heer Titos, aus dem die Armee her­vor­ge­gan­gen ist, hat schon im Zwei­ten Welt­krieg mehr wehr­lo­se Zivi­li­sten aus der Bevöl­ke­rung getö­tet als bewaff­ne­te Okku­pan­ten. Nach Kriegs­en­de führ­te es rie­si­ge geno­zid­haf­te Mord­ak­tio­nen durch, vor allem gegen das kroa­ti­sche und das slo­we­ni­sche Volk sowie gegen die deut­sche und alba­ni­sche Min­der­heit.« Bei solch gei­sti­ger Ver­wir­rung war es denn auch kein Wun­der, dass Reiß­mül­ler im Novem­ber 1992, als die Flam­men des Bür­ger­kriegs längst Bos­ni­en-Her­ze­go­wi­na erfasst hat­ten, einen Hass­ge­sang anstimm­te, der nur mit den »Wer­ken« anti­ser­bi­scher Kari­ka­tu­ri­sten in den bun­des­deut­schen Medi­en zu ver­glei­chen war. Er schrieb: »Die Welt habe zu lan­ge zu viel Geduld mit Ser­bi­en gehabt, sag­te Gen­scher unlängst. Tat­säch­lich, was konn­te Ser­bi­en nicht alles unge­hin­dert und unge­straft tun. Es hat die Alba­ner auf dem Amsel­feld unter ein bru­ta­les Kolo­ni­al­re­gime gezwun­gen, Slo­we­ni­en (erfolg­los) über­fal­len, einen gro­ßen Teil Kroa­ti­ens ver­wü­stet, erobert und aus­ge­raubt, Zehn­tau­sen­de Kroa­ten getö­tet; nun ergeht es Bos­ni­en eben­so. Gegen die Ver­bre­chen Ser­bi­ens seit dem Früh­jahr 1991 wie­gen die gering, wel­che die zivi­li­sier­te Welt jetzt Liby­en vor­wirft. Der Irak bleibt mit sei­ner bei der Aggres­si­on gegen Kuweit ent­fal­te­ten kri­mi­nel­len Ener­gie hin­ter Ser­bi­en zurück.« Was die Kari­ka­tu­ri­sten anbe­langt, so zeich­ne­ten sie die Ser­ben als sich wäl­zen­de Schwei­ne, mutier­te Stie­re, rei­ßen­de Wöl­fe, blut­s­aufen­de Sau­ri­er, dop­pel­zün­gi­ge Schlan­gen, aas­fres­sen­de Gei­er, hung­ri­ge Hyä­nen und bul­li­ge Kampf­hun­de. Kurz gesagt: Die Ser­ben waren Unmen­schen, Mon­ster. Auch dazu hat­te Reiß­mül­ler sei­nen Bei­trag geleistet.

Doch ob sei­ner Tira­den wol­len wir die FAZ-Redak­ti­on nicht all­zu sehr beschimp­fen, denn immer­hin war sie die ein­zi­ge bun­des­deut­sche Tages­zei­tung, die den Wort­laut der Rede abdruck­te, die der dama­li­ge Vor­sit­zen­de des Prä­si­di­ums der Sozia­li­sti­schen Repu­blik Ser­bi­en, Slo­bo­dan Miloše­vić, am 28. Juni 1989 aus Anlass des 600. Jah­res­ta­ges der Schlacht auf dem Amsel­feld am histo­ri­schen Ort vor einer Mil­li­on Ser­ben und ande­ren Bür­gern Jugo­sla­wi­ens gehal­ten hat­te. (In der Schlacht unter­la­gen die ver­ei­nig­ten Hee­re Ser­bi­ens, Bos­ni­ens und Maze­do­ni­ens den tür­ki­schen Heer­scha­ren, womit der Bal­kan für Jahr­hun­der­te unter osma­ni­sche Fremd­herr­schaft fiel.) Lei­der hat­te der Abdruck der Rede in der FAZ zwei klei­ne Makel:

Erstens, die Ver­öf­fent­li­chung erfolg­te etwas spät, am 28. Juni 1999, exakt zehn Jah­re nach der Groß­kund­ge­bung und weni­ge Tage nach der Been­di­gung der NATO-Luft­an­grif­fe auf Jugo­sla­wi­en. Und die gewähl­te Über­schrift mit Vor­spann – »›Die Zeit der Ernied­ri­gung Ser­bi­ens ist abge­lau­fen‹. Mit einer von Chau­vi­nis­mus durch­wirk­ten Rede hat Miloše­vić vor zehn Jah­ren im Koso­vo eine für den Bal­kan ver­häng­nis­vol­le Ent­wick­lung in Gang gesetzt« – ver­rät ein wenig zu offen­sicht­lich die mit der Ver­öf­fent­li­chung ver­folg­te Absicht der Redaktion.

Der Grund für den ver­spä­te­ten Nach­druck der Rede liegt auf der Hand, schließ­lich ist die 600 Jah­re nach der histo­ri­schen Schlacht gehal­te­ne Anspra­che des dama­li­gen ser­bi­schen Prä­si­den­ten ein Schlüs­sel­do­ku­ment sowohl für die Bemü­hun­gen um den Erhalt der jugo­sla­wi­schen Föde­ra­ti­on als auch für die Hetz­kam­pa­gnen gegen Ser­bi­en und Milošević.

Zwei­tens, der Rede­text ist bedau­er­li­cher­wei­se an zahl­rei­chen Stel­len durch fal­sche Über­set­zung und Aus­las­sun­gen ver­fälscht. Immer­hin macht es ja zum Bei­spiel einen Unter­schied, ob man das ser­bo­kroa­ti­sche Wort »bit­ka« mit »Krieg« oder rich­tig mit »Schlacht« oder »Kampf« über­setzt, denn Krieg ist ein­deu­tig, aber Schlach­ten, Kämp­fe, von denen der Red­ner sprach, gibt es vie­le, zumin­dest im dama­li­gen sozia­li­sti­schen Sprach­ge­brauch: Auf­bau­schlach­ten, Ern­te­schlach­ten, Pro­duk­ti­ons­schlach­ten oder Kämp­fe für die Stei­ge­rung der Arbeits­pro­duk­ti­vi­tät, für den Aus­bau der Demo­kra­tie, für die Erhö­hung der Ern­te­er­trä­ge und selbst­ver­ständ­lich für den Frie­den und so wei­ter und so fort. So, wie es nicht uner­heb­lich ist, ob der Prä­si­dent sag­te: »Sechs Jahr­hun­der­te spä­ter befin­den wir uns wie­der in Krie­gen« oder »sechs Jahr­hun­der­te spä­ter befin­den wir uns wie­der in Kämp­fen«, beto­nend, dass es sich nicht um bewaff­ne­te han­delt, die er aller­dings nicht aus­schlie­ßen konn­te – wer kann das schon? So ist es auch nicht unwe­sent­lich, um nur noch ein Bei­spiel ziem­lich frei­er Über­set­zer­kunst zu nen­nen, ob die Men­schen in die Ster­ne blicken und »für den Sieg bit­ten«, wie es wört­lich in der FAZ hieß und was präch­tig zu den her­bei­ge­deutsch­ten »Krie­gen« pass­te, oder ob sie nach den Ster­nen schau­en, »erwar­tend, daß sie sie erobern«, wie der Red­ner etwas blu­men­reich formulierte.

Auf­fäl­lig an dem von der FAZ ver­öf­fent­lich­ten »Wort­laut« sind die vie­len Aus­las­sungs­pünkt­chen. Ein Ver­gleich mit dem von der Bel­gra­der Poli­ti­ka am 29. Juni 1989 publi­zier­ten Ori­gi­nal­text der Rede zeigt, dass es sich nicht um die Aus­las­sung eini­ger neben­säch­li­cher Sät­ze han­delt. Weg­ge­las­sen wur­den Wör­ter und Sät­ze, die nicht in das Dif­fa­mie­rungs­kon­zept der Ser­ben­has­ser pas­sen. Zwei Bei­spie­le spre­chen für sich. Weg­ge­las­sen wur­de nach­ste­hen­de Aus­sa­ge: »Die Kri­se, in die Jugo­sla­wi­en gera­ten ist, führ­te zu natio­na­len, aber auch zu sozia­len, kul­tu­rel­len, reli­giö­sen und vie­len ande­ren min­der wich­ti­gen Spal­tun­gen. Unter all die­sen Spal­tun­gen erwie­sen sich die natio­na­len als die dra­ma­tisch­sten. Ihre Über­win­dung wird die Besei­ti­gung der ande­ren Spal­tun­gen erleich­tern und die Fol­gen lin­dern, die die ande­ren Tei­lun­gen her­vor­ge­ru­fen haben.« Laut FAZ-»Wort­laut« ende­te die Rede mit dem Aus­ruf: »Lang lebe Ser­bi­en! Lang lebe Jugo­sla­wi­en!« Der dar­auf fol­gen­de Schluss­satz: »Es lebe der Frie­den und die Brü­der­lich­keit zwi­schen den Völ­kern!« wur­de gestri­chen. Er war ja auch nicht wich­tig. In Abwand­lung der Wor­te des Alt­mei­sters Goe­the: »So fühlt man Absicht, und man ist ver­stimmt« kann man dazu nur fest­stel­len: Man kennt die Absicht, und man ist nicht überrascht.

Den Lügen­re­kord, den der dama­li­ge deut­sche Bun­des­ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster, Rudolf Schar­ping, bereits 1999 auf­ge­stellt hat­te, stell­te die FAZ aller­dings nicht ein. Hat­te die­ser doch wort­wört­lich behaup­tet: »An die­sem Tag sprach Miloše­vić von ›Groß-Ser­bi­en‹ und davon, dass die­ses Land ein eth­nisch rei­nes sein sol­le.« Kein Wort davon ist wahr, es ist eine Lüge, eine voll­ge­fres­se­ne, aber lei­der sehr langlebige.