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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Für und über den Sozialismus schreiben

»Die 60er Jah­re waren poli­tisch, die 80er Jah­re ästhe­tisch die auf­re­gend­sten.« Das war das Fazit, das die drei Autoren Isa­bel­le Lehn, Sascha Macht und Kat­ja Stop­ka im Janu­ar auf der Burg Bees­kow bei der Vor­stel­lung ihres im vori­gen Jahr erschie­ne­nen Buches »Schrei­ben ler­nen im Sozia­lis­mus. Das Insti­tut für Lite­ra­tur ›Johan­nes R. Becher‹« zogen. 1965 zum Bei­spiel fand das 11. Ple­num des ZK der SED statt, in des­sen Fol­ge es vor dem Hin­ter­grund des spä­te­ren Pra­ger Früh­lings im Insti­tut (IfL) zahl­rei­che Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren und Exma­tri­ku­la­tio­nen gab. Nach der Bier­mann-Aus­bür­ge­rung 1976 »woll­te man sich vom poli­ti­schen Auf­trag abgren­zen«, erklär­te Isa­bel­le Lehn. »Ein Kli­ma des Expe­ri­men­tie­rens ent­stand.« Das konn­te auch Ange­li­ka Weiß­bach für die bil­den­de Kunst bestä­ti­gen. Sie arbei­tet an der wis­sen­schaft­li­chen Inven­tur des Kunst­ar­chivs Bees­kow, das Auf­trags­kunst der DDR beherbergt.

Die Auf­ga­be des 1954 durch das Mini­ste­ri­um für Kul­tur gegrün­de­ten IfL war, wie es im Vor­wort heißt, »Schrift­stel­ler dahin­ge­hend aus­zu­bil­den, für und über den Sozia­lis­mus zu schrei­ben«. 1955 nahm das Insti­tut sei­nen Betrieb auf, 1958 erhielt es den Sta­tus Kunst­hoch­schu­le und 1959 den Namen Johan­nes R. Becher. In Bees­kow berich­ten die Buch­au­to­ren, dass es ihnen dar­um ging zu erkun­den, »wie­viel Frei­hei­ten hat man sich her­aus­ge­nom­men bezie­hungs­wei­se her­aus­neh­men kön­nen«. Das arbei­te­ten sie im Buch sowohl chro­no­lo­gisch als auch the­ma­tisch ab. Die Fra­ge­stel­lung fließt ein in die Por­träts bedeu­ten­der Leh­rer, dar­un­ter Georg Mau­rer, und bekannt gewor­de­ner Stu­den­ten: Heinz Czechow­ski, Sarah und Rai­ner Kirsch, Andre­as Rei­mann, Karl Mickel und der pro­le­ta­ri­sche Schrift­stel­ler Wer­ner Bräu­nig, der unter poli­ti­schen Druck geriet und nach stei­lem Auf­stieg jäh fiel. Als Direk­to­ren wer­den der wider­sprüch­li­che Alfred Kurel­la und Max Wal­ter Schulz vorgestellt.

Das IfL, in dem zeit­wei­se so mar­kan­te Dozen­ten wie Hans May­er, Ernst Bloch, Vic­tor Klem­pe­rer, Wie­land Herz­fel­de und eben Georg Mau­rer lehr­ten, ist in Ost und West in lite­ra­tur­ge­schicht­li­chen Hand­bü­chern allen­falls am Ran­de erwähnt. Das mit För­der­gel­dern des Frei­staa­tes Sach­sen und der Deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft ent­stan­de­ne Buch ist also eine erste Ana­ly­se der kul­tur­po­li­ti­schen Ein­flüs­se, der Bestim­mung der ästhe­ti­schen Qua­li­tät, der gesell­schaft­li­chen Rele­vanz und der Ein­ord­nung des Insti­tuts in die DDR-Lite­ra­tur­land­schaft. Das IfL wird gern abwer­tend als Kader­schmie­de des Sozia­lis­mus bezeich­net, war aber lan­ge Zeit die ein­zi­ge hoch­schul­ar­ti­ge Ein­rich­tung im deutsch­spra­chi­gen Raum über­haupt, die sich der Erlern­bar­keit des lite­ra­ri­schen Schrei­bens widmete.

Ohne ideo­lo­gi­sche Wer­tungs­ab­sich­ten wird in den Stu­di­en dar­ge­stellt, wie man mit den schrei­ben­den Arbei­tern zurecht­kam, für die es ab der 1. Bit­ter­fel­der Kon­fe­renz 1959 eine Auf­nah­me­quo­te gab, und wie man sich durch das IfL eine geziel­te Ein­fluss­nah­me auf die DDR-Lite­ra­tur erhoff­te im Kampf gegen For­ma­lis­mus und für rea­li­sti­sches und volks­ver­bun­de­nes Volks­schaf­fen nach dem Vor­bild der Sowjet­uni­on. Aber die Wirk­lich­keit sah anders aus. Zwar gab es vie­le Stu­die­ren­de, deren Namen man heu­te nicht mehr kennt, die ihren »volks­päd­ago­gi­schen Auf­trag als Sprach­roh­re des Staa­tes« gehor­sam erfüll­ten. Jedoch ent­spra­chen bei wei­tem nicht alle Stu­die­ren­den dem Ide­al­bild, den­ken wir an Hel­ga M. Novak und Kat­ja Lan­ge-Mül­ler zum Bei­spiel. So droh­te bereits in den spä­ten 1960ern die Schlie­ßung wegen des Ver­dachts der »kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­ren Grup­pen­bil­dung«. Zu den pro­mi­nen­ten Stu­den­ten bereits des ersten Jahr­gangs zähl­ten sol­che auf­müp­fig-kri­ti­schen Schrift­stel­ler wie Adolf End­ler, Erich Loest, der aus West­deutsch­land gekom­me­ne Ralph Giord­a­no und der Öster­rei­cher Fred Wan­der. In den undog­ma­ti­schen 80er Jah­ren setz­ten sich durch Freund­schaf­ten und Netz­wer­ke die Stu­den­ten mit der Leip­zi­ger Off-Lite­ra­tur-Sze­ne in Ver­bin­dung. Sol­che Leu­te wie Tho­mas Rosen­lö­cher, Sascha Ander­son, Tho­mas Böh­me, Ste­fan Döring, Uwe Kol­be und Bert Papen­fuß tra­ten auf den Plan und trie­ben die Umbrü­che in der Lite­ra­tur­land­schaft der DDR voran.

Mit dem IfL war eine sozia­li­sti­sche Kader­schmie­de beab­sich­tigt, aber das Ergeb­nis muss letzt­end­lich wesent­lich dif­fe­ren­zier­ter betrach­tet wer­den, was die­ses Buch auch lei­stet. Nach der Abwick­lung, die am 12. Dezem­ber 1990 durch die Säch­si­sche Lan­des­re­gie­rung in Dres­den beschlos­sen wur­de, äußern sich vie­le Absol­ven­ten durch­aus posi­tiv zu ihrer Stu­di­en­zeit. Nach 32 Jah­ren hielt bei­spiels­wei­se Kat­ja Lan­ge-Mül­ler fest, dass sie am IfL »die Befä­hi­gung zu einem pro­duk­ti­ons­äs­the­ti­schen, ana­ly­ti­schen Zugriff auf lite­ra­ri­sche Tex­te« gelernt habe. Für Heinz Czechow­ski waren die Semi­na­re, wel­che von der »Licht­ge­stalt« Georg Mau­rer von 1955 bis 1970 gehal­ten wur­den, eine »Stern­stun­de«. Hel­mut Bai­erl schätz­te, dass man »guten Rat, Wis­sen und Hand­werk« bekam, und Till Sai­ler, der 1979/​80 einen Son­der­kurs absol­viert hat­te, erfuhr als Schrift­stel­ler: »Eine Aus­bil­dung am Becher-Insti­tut bedeu­te­te einen Sta­tus­ge­winn – galt sie doch als Tal­ent­nach­weis und Sie­gel soli­der lite­ra­ri­scher Fähigkeiten.«

Obwohl die Autoren zuge­ben, dass Lehr­ver­fah­ren und Aus­bil­dungs­zie­le durch­aus mit der heu­ti­gen Pra­xis ver­gleich­bar und aus dem IfL bedeu­ten­de Schrift­stel­ler her­vor­ge­gan­gen sind, erken­nen sie die Berech­ti­gung der Schlie­ßung des Insti­tuts für Lite­ra­tur »Johan­nes R. Becher« an. Als Begrün­dung wird mit feh­len­der Bereit­schaft, sich mit der eige­nen Geschich­te aus­ein­an­der­zu­set­zen und nen­nens­wer­te Refor­men am Haus durch­zu­füh­ren, argu­men­tiert. Das ist viel­leicht am Ende der anson­sten ver­dienst­vol­len Arbeit, die für die heu­ti­ge Lehr­pra­xis »nach­ge­nutzt« wer­den und zu Anschluss­un­ter­su­chun­gen anre­gen soll, doch ein biss­chen zu eng gedacht. Die Neu­grün­dung erfolg­te 1995 als Deut­sches Lite­ra­tur­in­sti­tut Leipzig.

Isa­bell Lehn/​Sascha Macht/​Kaja Stop­ka: »Schrei­ben ler­nen im Sozia­lis­mus. Das Insti­tut für Lite­ra­tur ›Johan­nes R. Becher‹«, Wall­stein Ver­lag, 600 Sei­ten, 34,90 €