Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Energiewende? – Ja, aber nicht so!

Sie­ben Pro­fes­so­ren des West­fä­li­schen Ener­gie­in­sti­tuts an der West­fä­li­schen Hoch­schu­le haben ein aktua­li­sier­tes und erwei­ter­tes Posi­ti­ons­pa­pier unter dem Titel »Ener­gie- und Kli­ma­wen­de zwi­schen Anspruch, Wunsch­den­ken und Wirk­lich­keit – Umset­zungs­pfa­de« ver­fasst. Die Autoren, fünf Inge­nieu­re und Natur­wis­sen­schaft­ler und zwei Öko­no­men (einer davon ist der Ver­fas­ser des Arti­kels) set­zen sich dar­in aus tech­ni­scher, öko­no­mi­scher und gesell­schaft­li­cher Per­spek­ti­ve kri­tisch mit der Ener­gie­po­li­tik aus­ein­an­der. Dem aktu­el­len Ener­gie­wen­de-Kurs der Bun­des­re­gie­rung zur Lösung der anste­hen­den ener­gie­po­li­ti­schen Her­aus­for­de­run­gen stel­len die For­schen­den kein posi­ti­ves Zeug­nis aus. Bereits 2022 hat­ten die Pro­fes­so­ren in einer ersten Stel­lung­nah­me zur aktu­el­len Ent­wick­lung der sich welt­weit ver­schär­fen­den Kli­ma­kri­se die Her­aus­for­de­run­gen sowie poten­zi­el­le Lösungs­an­sät­ze dar­ge­stellt. »Die vor zwei Jah­ren prä­sen­tier­ten Eck­punk­te sind nach wie vor rele­vant«, erklä­ren die Autoren in der über­ar­bei­te­ten Stu­die. »Auf­grund ver­än­der­ter Rah­men­be­din­gun­gen, wie bei­spiels­wei­se dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts­ur­teil zur Schul­den­brem­se, gab es an ver­schie­de­nen Stel­len jedoch Aktua­li­sie­rungs­be­darf. Zudem haben wir neue tech­ni­sche Erkennt­nis­se ein­ge­ar­bei­tet und uns mit den Aus­wir­kun­gen der zwi­schen­zeit­lich ver­än­der­ten recht­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen beschäftigt.«

Die erste Stu­die hat­ten die Autoren mit einem Begleit­schrei­ben im Mai 2022 Bun­des­wirt­schafts- und Kli­ma­mi­ni­ster Robert Habeck (Bündnis90/​Die Grü­nen) zugäng­lich gemacht. Er hielt es aber in sei­ner Macht­ar­ro­ganz für nicht not­wen­dig, dar­auf zu ant­wor­ten. Auch die neue und über­ar­bei­te­te Stu­die ist ihm zuge­stellt wor­den. Die for­schen­den Pro­fes­so­ren fokus­sier­ten in ihrer Arbeit u. a. fol­gen­de Befun­de in der zwei­ten Auf­la­ge ihres Positionspapiers:

Erstens, um die deut­schen Kli­ma­zie­le bei Gewähr­lei­stung von Ver­sor­gungs­si­cher­heit ein­hal­ten zu kön­nen, müs­sen bis 2045 über 100 Tera­watt­stun­den (TWh) an Was­ser­stoff­spei­chern, mehr als 700 TWh an grü­nen Was­ser­stoff­im­por­ten sowie min­de­stens 100 Giga­watt (GW) an Back­up-Kraft­wer­ken rea­li­siert wer­den. Dies über­steigt die tech­ni­schen Vor­ga­ben der Bun­des­re­gie­rung um ein Viel­fa­ches. Es wird spä­te­stens 2030 eine erheb­li­che Strom-Lücke ent­ste­hen, die zu ernst­haf­ten Strom­un­ter­bre­chun­gen füh­ren wird und die damit eine drin­gend gebo­te­ne unein­ge­schränk­te Ver­sor­gungs­si­cher­heit in Fra­ge stellt. Hier kommt die Westen­en­er­gie-Che­fin, Kathe­ri­na Rei­che, zu einem ähn­li­chen Befund (»West­ener­gie-Che­fin befürch­tet ›Strom-Lücke‹« WAZ vom 13. März 2024). West­ener­gie ist das Toch­ter­un­ter­neh­men im Eon-Kon­zern, dass über 180.000 Kilo­me­ter Strom­lei­tun­gen und etwa 24.000 Kilo­me­ter Gas­pipe­lines in NRW, Rhein­land-Pfalz und Nie­der­sa­chen ver­fügt und außer­dem an vie­len kom­mu­na­len Stadt­wer­ken mit ihren Ver­tei­ler­net­zen betei­ligt ist. Auch der Bun­des­rech­nungs­hof kri­ti­siert die Bun­des­re­gie­rung scharf. Die Regie­rung ver­feh­le ihre selbst­ge­steck­ten Zie­le aktu­ell in allen Belan­gen: »Die siche­re Ver­sor­gung ist gefähr­det, der Strom teu­er, wäh­rend die Bun­des­re­gie­rung die Aus­wir­kun­gen der Ener­gie­wen­de auf Land­schaft, Natur und Umwelt nicht umfas­send bewer­ten kann«, so der Rech­nungs­hof­prä­si­dent Kay Schel­ler. Hier­zu äußer­te sich Habeck: »Den Bericht des Bun­des­rech­nungs­hofs habe ich zur Kennt­nis genom­men, mehr aber auch nicht.« Er kön­ne die Kri­tik nicht nach­voll­zie­hen. Die Erzeu­gungs­prei­se für Strom sei­en auf Vor­kriegs­ni­veau, der Aus­bau der Erneu­er­ba­ren neh­me Fahrt auf. »Ich sage nicht, dass wir durch sind. Aber zu sagen, die Bun­des­re­gie­rung tut nicht genug (…), ist eine erstaun­li­che Wahr­neh­mung, die nichts mit der Wirk­lich­keit zu tun hat.« Spä­ter beton­te Habeck noch ein­mal, die Ampel­ko­ali­ti­on habe die Pro­ble­me von den frü­he­ren Regie­run­gen geerbt. Der Netz­aus­bau sei wich­tig, um die Strom­prei­se zu sen­ken. Aber er koste jetzt erst ein­mal Geld. »Dafür hät­te ich nicht den Bericht des Bun­des­rech­nungs­hofs gebraucht. Jeder, der nach­den­ken kann, sieht, dass das ein Pro­blem ist.« Da habe der Rech­nungs­hof »einen Punkt«, so Habeck – und schob noch ein »Schö­nen Dank dafür« nach.

Es ist bezeich­nend, wie Habeck auf die Kri­tik des Bun­des­rech­nungs­ho­fes reagiert. Wie jemand, der den Über­blick über sein Tun und die damit ver­bun­de­nen Kon­se­quen­zen ver­lo­ren hat. Habeck, wie vie­len ande­ren auch, geht es aus­schließ­lich um eine ideo­lo­gi­sche Umset­zung der Ener­gie­wen­de, ohne fach­li­che Kom­pe­tenz. Man könn­te auch sagen, sie wis­sen nicht, was sie tun bzw. was sie an gesell­schaft­li­chem Scha­den anrich­ten. Bei aller Ein­sicht in die Not­wen­dig­keit, gegen jedes Zehn­tel­grad mehr bei der Erd­er­wär­mung zu kämp­fen, darf die Ratio­na­li­tät bei der Reduk­ti­on der CO2-Emis­sio­nen nicht auf der Strecke blei­ben. Deutsch­land hat hier eine hohe Ver­ant­wor­tung, aber allein wird Deutsch­land das Welt-Kli­ma nicht ret­ten können.

Zwei­tens stellt das West­fä­li­sche Ener­gie­in­sti­tut fest: Auch aus öko­no­mi­scher Sicht erweist sich die Ener­gie­po­li­tik der Bun­des­re­gie­rung als zu kurz gedacht. Die Hoff­nung, allein die Märk­te in Ver­bin­dung mit einer CO2-Beprei­sung wür­den zu einer effi­zi­en­ten Orga­ni­sa­ti­on der Ener­gie­wen­de füh­ren, ist naiv. Eine markt­wirt­schaft­lich inhä­ren­te Lösung funk­tio­niert nicht. Sie führt nur zu sub­op­ti­ma­len Ergeb­nis­sen. Staat­li­che Inter­ven­tio­nen sind hier drin­gend gebo­ten. Es bedarf hier der Ergän­zung um Indu­strie­strom­prei­se, Dif­fe­renz­ver­trä­ge und grü­ne Leit­märk­te – aller­dings in sehr restrik­ti­ver Hand­ha­bung, um asym­me­tri­sche Vor­teil­nah­men aus­zu­schlie­ßen. Zugleich soll­te das Ener­gie­ef­fi­zi­enz­ge­setz tat­säch­lich auf eine erhöh­te Ener­gie­ef­fi­zi­enz und nicht auf einen von der Kli­ma­neu­tra­li­tät der Ener­gie unab­hän­gi­gen ver­rin­ger­ten Ener­gie­ver­brauch abstel­len. Dies funk­tio­niert in der Pra­xis nicht.

Drit­tens kon­sta­tie­ren die Pro­fes­so­ren: Die Ener­gie­wen­de erfor­dert immense pri­va­te und staat­li­che Inve­sti­tio­nen (ca. 90 Mrd. € p.a.), die für sich genom­men zwar durch­aus stemm­bar sind. Die­se kon­kur­rie­ren aber mit vie­len unter­in­ve­stier­ten Berei­chen wie der öffent­li­chen Infra­struk­tur, dem Woh­nungs­bau sowie Bil­dung, Gesund­heit und Digi­ta­li­sie­rung (zusätz­lich min­de­stens 250 Mrd. € p.a.). Die Hoff­nung auf eine Finan­zie­rung durch ein »grü­nes« Wirt­schafts­wachs­tum ist dabei ein rei­nes Wunsch­den­ken. In Sum­me stößt Deutsch­land auch vor dem Hin­ter­grund der Alte­rung in der Bevöl­ke­rung und einer nach wie vor hohen Arbeits­lo­sig­keit sowie einer Armuts­quo­te von mitt­ler­wei­le fast 17 Pro­zent an die Gren­zen des Mach­ba­ren – trotz einer hohen gesamt­wirt­schaft­li­chen Spar­sum­me von jähr­lich rund 300 bis 350 Mil­li­ar­den Euro. Davon wer­den aber um die 200 bis 250 Mil­li­ar­den zur Finan­zie­rung der Außen­wirt­schafts­über­schüs­se benö­tigt, die von der herr­schen­den neo­li­be­ra­len Poli­tik und ihren Cla­queu­ren nicht in Fra­ge gestellt wer­den. Das heißt, es sind Finan­zie­rung-Prio­ri­sie­run­gen unaus­weich­lich. Die Poli­tik bie­tet dazu aber kei­ne ganz­heit­li­chen Lösungs­kon­zep­te an.

Vier­tens, selbst wenn die Finan­zie­rung gesamt­wirt­schaft­lich dar­stell­bar wäre, so ist sie es jeden­falls nicht, ist mit Blick auf die Lasten­ver­tei­lung der Ener­gie­wen­de bei einem »wei­ter so« der sozia­le Frie­den hoch­gra­dig gefähr­det. Dies hat bereits heu­te poli­ti­sche Impli­ka­tio­nen und demo­kra­tie­ge­fähr­den­de Aus­wir­kun­gen. Um die unte­ren Ein­kom­mens­grup­pen durch die Ener­gie­wen­de nicht zu über­for­dern, bedarf es drin­gend einer dra­sti­schen Umver­tei­lung des Ein­kom­mens und des Ver­mö­gens sowie der Auf­nah­me von staat­li­chen Schul­den, ent­we­der durch die Auf­la­ge eines Son­der­ver­mö­gens oder durch die Abschaf­fung der jet­zi­gen Schul­den­brem­se. Die Ener­gie­wen­de wird ohne eine Umver­tei­lung beim Ein­kom­men und Ver­mö­gen nicht funk­tio­nie­ren. Dies ver­schweigt die amtie­ren­de Regie­rung völ­lig. Es wird höch­ste Zeit, dass Rea­lis­mus und Ehr­lich­keit bei allem poli­ti­schen Wunsch­den­ken stär­ke­re Berück­sich­ti­gung bei der Ener­gie­wen­de fin­den. Ein zwin­gend not­wen­di­ger Master­plan der Bun­des­re­gie­rung ist der­zeit aber nicht ein­mal im Ansatz erkenn­bar. So schlin­gern wir in eine Ener­gie­wen­de, die gesell­schaft­lich und wirt­schaft­lich Stück­werk ist und bleibt.

Die Zusam­men­fas­sung und die Lang­fas­sung der Stu­die fin­den sich auf der Web­site des West­fä­li­schen Energieinstituts