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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Gemeinschaft – als Falle?

CDU-Ver­tre­ter und ande­re kon­ser­va­ti­ve Krei­se dis­ku­tie­ren wie­der eine Dienst­pflicht für alle, um dem Wort Wehr­pflicht zu ent­ge­hen und gleich­zei­tig auch Frau­en mit ein­be­zie­hen zu kön­nen. Man darf dar­auf hin­wei­sen, dass eine sol­che Dienst­pflicht eine Form der Zwangs­ar­beit dar­stellt. Es mag ja sein, dass der eine oder ande­re dar­in Erleb­nis­se fin­det, die ihm eine Sinn­erfül­lung geben kön­nen, was aber an dem grund­sätz­li­chen Cha­rak­ter des Zwan­ges wenig ändert.

Der Gemein­schafts­ge­dan­ke ist in die­sem Deutsch­land hoch bela­stet. Sol­len Kon­flik­te über­tüncht und Ver­wei­ge­rungs­hal­tun­gen nega­tiv begut­ach­tet wer­den, zieht man im poli­ti­schen Spiel gern die Kar­te Gemein­schaft, um die wahr­ge­nom­me­nen oder ver­mu­te­ten Wider­stän­de glatt zu bügeln. Wer sich sodann nicht für die Gemein­schaft und den damit ver­bun­de­nen poli­ti­schen For­de­run­gen aus­spricht, läuft Gefahr, aus­ge­son­dert zu werden.

Nach den lei­di­gen Radi­ka­len­er­las­sen gegen lin­kes Den­ken und lin­ke Orga­ni­sa­tio­nen sei­tens der alt­ehr­wür­di­gen SPD vor 50 Jah­ren fällt es schwer, an eine Revi­ta­li­sie­rung sol­cher Maß­nah­men zu glau­ben. Es reich­ten damals bereits Wor­te oder Wort­wah­len in Form von Sät­zen aus, um die Wucht der Aus­son­de­rungs­prak­ti­ken in Gang zu set­zen. Wenn heu­te rech­te Krei­se der CDU und der ande­ren Par­tei­en die­ses Ver­fah­ren in einem Kampf gegen rechts ein­bau­en zu müs­sen glau­ben, bleibt die Ver­mu­tung nicht aus, es soll­ten Kon­kur­ren­ten um Pfrün­de aus­ge­schlos­sen wer­den. Viel­leicht mer­ken eini­ge Poli­ti­ker auch nicht, wie sie instru­men­ta­li­siert wer­den. Übri­gens lässt sich für die fer­ne Ver­gan­gen­heit sagen, dass auch vor 1970 geschlos­se­ne prä­fa­schi­sti­sche Gesin­nun­gen in einem hohen Pro­zent­satz vor­han­den waren.

Wer in die­sem Umfeld und in unse­rer Kul­tur wie­der an eine Gemein­schaft appel­liert, soll­te sich gute Bei­spie­le für gelin­gen­de oder gelun­ge­ne Gemein­schaf­ten aus­su­chen. Das alte Genos­sen­schafts­we­sen leb­te von die­sen Vor­stel­lun­gen, ob in Agrar­ge­nos­sen­schaf­ten oder im genos­sen­schaft­li­chen Bank­we­sen. Erin­nern möch­te ich an die Kon­sum­ge­nos­sen­schaf­ten, in denen bedau­er­li­cher­wei­se die Kon­troll­me­cha­nis­men schwach ent­wickelt waren und so Tür und Tor für ein­sa­me und wirt­schaft­lich schäd­li­che Ent­schei­dun­gen öff­ne­ten. Die Neue Hei­mat ist vor Jahr­zehn­ten gegen die Wand gefah­ren wor­den, obwohl sie heu­te im Woh­nungs­markt eine her­vor­ra­gen­de Rol­le spie­len könnte.

Das Ver­eins­le­ben ist in Deutsch­land so intakt, dass es fast mehr Ver­ei­ne als Mit­glie­der zu geben scheint. In ihnen fin­den sich Gemein­schaf­ten zusam­men, die einen begrenz­ten Zweck erfül­len wol­len, der sich ab und an aller­dings in Rege­lungs­wut ergeht, wenn man die Vor­schrif­ten für Klein­gar­ten­ver­ei­ne als Bei­spiel her­an­zieht. Neben den frei­wil­li­gen Gemein­schaf­ten gibt es jetzt eine Unzahl von Zwangs­ge­mein­schaf­ten etwa von Woh­nungs­ei­gen­tü­mern. In ihnen kann ein Tum­mel­platz von aller­lei aggres­si­ven For­men des Umgangs mit­ein­an­der beob­ach­tet werden.

Lin­ke Par­tei­en waren eben­falls kein Hort des freund­li­chen Umgangs, wenn z. B. in einer Grup­pe ein her­aus­ra­gen­der Gläu­bi­ge den Ton ange­ben woll­te, um die weni­ger Gläu­bi­gen oder noch Zwei­feln­den auf die rich­ti­ge Schie­ne zu brin­gen. In der Ver­gan­gen­heit setz­te sich in ihnen schnell der Spalt­pilz fest, so dass es schließ­lich eine Men­ge von K-Grup­pen gab. Dies auf nur die dama­li­ge Situa­ti­on zurück­zu­füh­ren, wäre all­zu bil­lig. Wenn man Marx nur als Stein­bruch für For­meln benutzt, sind den Spal­tun­gen fast kei­ne Gren­zen gesetzt. Die­se paar Sät­ze soll­ten min­de­stens zu Skep­sis bei­tra­gen, denn wer sich nicht erin­nert, wird sich mit immer den­sel­ben Feh­lern befas­sen müssen.

Skep­sis soll hier zu mehr Distanz bei­tra­gen und hel­fen, wie­der ein dia­lek­ti­sches Den­ken zu beför­dern, wel­ches sich dem ein­fa­chen Ent­we­der-Oder ent­ge­gen­stel­len kann. In den alten Tex­ten der mar­xi­sti­schen Phi­lo­so­phie hat­te man auf die Dia­lek­tik zwi­schen Indi­vi­du­um und Gemein­schaft inten­siv hin­ge­wie­sen, denn selbst in einem durch­ge­plan­ten Pro­duk­ti­ons­sy­stem bedarf es der Neue­rer­be­we­gung, die sich gegen zu star­ke behar­ren­de Kräf­te durch­set­zen soll­te. Aber genug der lin­ken Nabel­schau. Der Vor­schlag, sich auf die UN-Char­ta für eine Samm­lung lin­ker Kräf­te zu beru­fen, ist sym­pa­thisch, aber nicht trag­fä­hig. Höch­ste Wer­te, auch in der Form hoch­an­ge­se­he­ner Rechts­grund­sät­ze zwin­gen den Streit her­auf, weil, wie in jedem Gerichts­ver­fah­ren, Situa­tio­nen und Kon­tex­te zual­ler­erst inter­pre­tiert wer­den müs­sen, um sie mit den Rechts­sät­zen in Ver­bin­dung brin­gen zu kön­nen. Recht ist als Ori­en­tie­rungs­ge­ber erst in der Fol­ge von rich­ter­li­chen Ent­schei­dun­gen wirk­sam, in denen Ein­zel­fäl­le beur­teilt wer­den. Rechts­sät­ze all­ge­mein­ster Form sagen nichts dar­über, wie im Ein­zel­fall zu ent­schei­den ist. Wie man in der Bun­des­re­pu­blik erle­ben kann, wer­den Geset­ze, soweit ver­ständ­lich für die poli­ti­sche Gemein­schaft, gern über das Ver­fas­sungs­ge­richt kon­kre­ti­siert. Aber das ist nur die erste Stu­fe. Das Geran­gel um die rich­ti­ge Inter­pre­ta­ti­on geht dann auf wei­te­re Stu­fen über. Rechts­sät­ze tei­len hier das Schick­sal der hohen Wer­te, die über kon­kre­te Ent­schei­dun­gen in Kon­flikt­la­gen nichts aus­sa­gen und es dem rhe­to­ri­schen und poli­ti­schen Geschick über­las­sen, wie man sie mit Inhal­ten füllt. Wir erle­ben zur­zeit gera­de wie­der, wie mit Sät­zen und ein­sei­ti­gen Beschrei­bun­gen, mit Ver­mu­tun­gen und Lügen gear­bei­tet wird, um Ent­schei­dun­gen größ­ter Trag­wei­te zu fällen.

Gänz­lich in krie­ge­ri­schen Zei­ten, wo eine gan­ze Gesell­schaft samt Gesund­heits­sy­stem auf Kriegs­tüch­tig­keit getrimmt wer­den soll, wo ein Ope­ra­ti­ons­plan für Deutsch­land ent­steht, mög­li­cher­wei­se auch Listen für unlieb­sa­me Bür­ger geschrie­ben wer­den, denn Prä­ven­tiv­haft ist zumin­dest in Bay­ern bereits eine Mög­lich­keit, ist ein Appell an die Gemein­schaft nur mit Vor­be­halt zu genie­ßen. Denn die Herr­schen­den haben mehr Batail­lo­ne auf ihrer Sei­te, kön­nen auf die Defi­ni­ti­ons­macht der Medi­en ver­trau­en, so dass sie selbst den Papst pro­pa­gan­di­stisch in die Ecke stel­len kön­nen. Der Papst schafft es nicht mehr, die Gemein­schaft der Gläu­bi­gen hin­ter sich zu brin­gen. Poli­ti­ker mit reli­giö­sem Back­ground wie Fried­rich Merz oder Frau Strack-Zim­mer­mann distan­zie­ren sich als gläu­bi­ge Katho­li­ken vom Appell des Pap­stes, der ihre Sicht der Ver­hält­nis­se nicht teilt und dies öffent­lich sagt. Eine Glau­bens­ge­mein­schaft, in der der Gemein­schafts­ge­dan­ke einen hohen Wert dar­stellt, ist momen­tan dabei, zu zer­fal­len. Unse­re demo­kra­ti­schen Par­tei­en sind auf dem Wege, den Krieg zu ver­selb­stän­di­gen, Ver­hält­nis­se umzu­keh­ren, Rüstungs­ko­sten her­auf­zu­schrau­ben und, damit das auch Früch­te trägt, eine Dienst­pflicht zu instal­lie­ren, Bun­ker zu bau­en, eine Hei­mat­schutz­trup­pe patrouil­lie­ren zu las­sen. Aus einer Bun­ker­men­ta­li­tät her­aus, aus einem ver­stei­ner­ten auti­sti­schen Den­ken (Seng­haas) erwächst kei­ne Friedenshoffnung.

Eine Lin­ke muss sich des­halb orga­ni­sie­ren und selbst wie­der ler­nen, eine poli­ti­sche Lage in eige­ne Wor­te zu fas­sen und nicht im Nar­ziss­mus der klein­sten Dif­fe­renz steckenzubleiben.