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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Fallada im Hans Otto Theater

Hans Fal­la­da zu dra­ma­ti­sie­ren, sei­ne Roma­ne für Thea­ter oder Film zu adap­tie­ren ist eine dank­ba­re Auf­ga­be, denn er hat sei­ne Dia­lo­ge schon selbst geschrie­ben. Man muss nur die Beschrei­bun­gen und Erzähl­se­quen­zen in Bil­der umset­zen. Fal­la­da selbst sah alle Bücher als Fil­me vor sei­nem gei­sti­gen Auge, das ist überliefert.

Der Stoff »Jeder stirbt für sich allein« gibt schon die Auf­tei­lung in Akte eines grie­chi­schen Dra­mas vor. Aus­gangs­punkt ist der Tod eines Soh­nes, der im Krieg, den er nie woll­te, starb. Dar­aus ent­wickelt sich alles Wei­te­re: Die Eltern wer­den von bie­de­ren unpo­li­ti­schen Duld­ern zu heim­lich Wider­stand Lei­sten­den. Dann Hoch­ge­fühl, Absturz, Rei­fung durch Erkennt­nis­se und Tod durch Hin­rich­tung. Das Publi­kum wird zum Den­ken gebracht durch die Wider­sprü­che, in die sich die Prot­ago­ni­sten ver­wickeln, was am Bei­spiel des Kom­mis­sars, »des Ein­zi­gen, den die Kar­ten der Quan­gels über­zeugt haben«, wie er kurz vor sei­nem Selbst­mord kon­sta­tiert, deut­lich wird.

Das Hans Otto Thea­ter gibt das Stück kon­zen­triert und nüch­tern, kei­ne Vide­os, kein Blut, kein Schlamm, in dem sich wer wälzt, kein Feu­er, kei­ne Bom­ben, kein Hit­ler­ge­brüll. Nur ein sich je nach Bedarf lang­sam dre­hen­der brei­ter Klotz aus Holz, in dem Woh­nun­gen über­ein­an­der Häu­ser skiz­zie­ren, eine lan­ge, graue Mau­er Stra­ße vor­stellt, ein Zim­mer Arbeit zeigt, dazu Trep­pen­häu­ser. Fer­tig. Alles ande­re bleibt der Phan­ta­sie des Zuschau­ers überlassen.

Zu Beginn lau­fen und schlen­dern alle Mit­wir­ken­den mehr­fach durchs Bild, Stra­ßen­stim­mung dar­stel­lend. Die Brief­trä­ge­rin Klu­ge, mit der das Buch beginnt, führt auch hier ein, sie wird durch Nadi­ne Nollau besetzt, die eine bestimm­te Eigen­schaft Fallada‘scher Frau­en­fi­gu­ren sehr schön zeigt, das Selbst­be­wusst-Klu­ge gepaart mit einer star­ken Müt­ter­lich­keit. Die Brief­trä­ge­rin sieht, wohin es in der Gesell­schaft geht, und wan­dert aufs Land aus, wo man unab­hän­gi­ger leben kann, wie sie sagt.

Das Ehe­paar Quan­gel ist glän­zend und pas­send besetzt, Jon-Kaa­re Kop­pe ist zwar nicht so groß, wie man sich Quan­gel immer vor­ge­stellt hat, aber sei­ne star­re Stur­heit, sei­ne sub­de­pres­si­ve Stim­mung, die Trau­er nicht raus­lässt, sei­ne Kör­per­hal­tung, sei­ne in einem lan­gen Leben erwor­be­ne Klug­heit, sei­ne bered­te Schweig­sam­keit, all das bringt er unge­heu­er gut. Auch Kat­ja Zins­mei­ster, viel­leicht etwas zu jung für die­se Rol­le, mei­stert ihre Auf­ga­be gut, über­zeu­gend ist sie beson­ders in dem scho­nungs­lo­sen Kampf, den sie zu Beginn mit ihrem Mann führt, aus­ge­löst durch den Satz: »Du und dein Füh­rer …«, der geschickt auf etwas hin­weist, näm­lich auf die bereits vor Län­ge­rem erfolg­te Bestechung zumin­dest der Arbei­ter­ari­sto­kra­tie durch die Ver­spre­chun­gen der Nazis – Quan­gel ist Werk­mei­ster. Komis­sar Esche­rich, eine Schlüs­sel­fi­gur, wird von Arne Lenk sehr gut gespielt, sei­ne Anpas­sung an die Nazis, weicht mit einem Schlag, als er die Wider­lich­keit sei­ner Obe­ren in Gän­ze erkannt hat. Die Ent­wick­lun­gen sei­ner Figur mei­stert Lenk unprä­ten­ti­ös, fast unauf­fäl­lig, sehr gut, dass er sie nicht so hochspielt.

Die Mach­art des Stückes ist modern, im Sin­ne von Brecht, Boal, Dario Fo, es wech­seln die Spie­ler suk­zes­si­ve ins Erzäh­len­de, tre­ten wahl­wei­se aus ihren Rol­len her­aus, distan­zie­ren sich von ihrer Figur, wäh­len die per­so­nel­le Erzähl­wei­se und schlüp­fen danach wie­der in ihre Rol­len hin­ein. Das Gan­ze fast unbe­merkt. Es gefällt mir, dass hier kein Schnick­schnack ein­ge­baut ist. Das ist nicht nötig, der Stoff ist auch so span­nend, man wür­de ihn nur zerfasern.

Bra­vo an die Regis­seu­rin Annet­te Pul­len und ihr Team. Eine gute Insze­nie­rung, lohnt sich!