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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Helmuth und Greta

Vor mei­nem Bücher­re­gal hängt eine Stoff­ta­sche mit der eigen­wil­li­gen Auf­schrift »hel­MUTh hÜBE­Ner – Wir den­ken dar­an«. In der Sofa­ecke befin­det sich ein Kis­sen mit dem Text »What would Hel­muth do?« Bei­des sind Geschen­ke der Stadt­teil­schu­le Hel­muth Hübe­ner in Ham­burg-Barm­bek. Es sind Anfer­ti­gun­gen im Rah­men eines Wett­be­werbs der Schü­le­rin­nen und Schü­ler. Der Wett­be­werb wird alle zwei Jah­re ver­an­stal­tet, seit die Schu­le sich den Namen des jun­gen Wider­stands­kämp­fers gege­ben hat. An der Aus­wahl des Namens durf­te ich teil­neh­men, und das kam so: Einer Leh­re­rin im Schwan­ger­schafts­ur­laub hat­te man gesagt: Du hast Zeit, nun suche mal einen Namen für unse­re Schu­le, die bis­her schlicht Ben­zen­berg­weg-Schu­le hieß. Man dach­te so an eine Art Geschwi­ster-Scholl-Schu­le, aber die­sen guten Namen gibt es oft. Jedoch jun­ger Wider­stand soll­te es sein. So wur­den im Inter­net Karl Heinz Jahn­kes und mei­ne For­schun­gen zu dem The­ma gefun­den, und ich schlug den Namen Hel­muth-Hübe­ner-Schu­le vor. Die Schul­kon­fe­renz stimm­te zu.

Hel­muth Hübe­ner wur­de 17-jäh­rig zum Tode ver­ur­teilt und am 27. Okto­ber 1942 in Ber­lin-Plöt­zen­see ermor­det. Er war ein Ver­wal­tungs­lehr­ling aus Ham­burg, der jüng­ste vom Volks­ge­richts­hof zum Tode Ver­ur­teil­te. Im Radio hat­te er über­ra­schen­de auf­klä­ren­de BBC-Sen­dun­gen gehört und ihre Inhal­te zu Flug­blät­tern ver­ar­bei­tet, die er gemein­sam mit drei Freun­den ver­teil­te. Man­che Flug­blät­ter befass­ten sich mit dem von Nazi­deutsch­land gestar­te­ten Bom­ben­krieg. Hübe­ner warn­te: Die­ser Krieg wird auch über uns kom­men. Und tat­säch­lich: Die eif­ri­gen Nach­barn, die da in Ham­mer­brook Hüben­ers Flug­blät­ter nicht beach­te­ten, aber gehor­sam zur Gesta­po tru­gen, sie kamen ver­mut­lich alle im Gomor­rha-Feu­er­sturm 1943 ums Leben. Wer heu­te durch die Stadt­tei­le Ham­mer­brook, Hamm und Horn geht, sieht an den Haus­ein­gän­gen hun­dert­fach die Inschrift; »Zer­stört 1943 – Wie­der­auf­ge­baut 195..«. Unter den Toten waren auch Hel­muth Hüben­ers Groß­el­tern und sei­ne Mut­ter. Er muss­te schon vor­her ster­ben, weil er die Wahr­heit ver­kün­det hatte.

Wie geschil­dert, schrei­ben die Schü­ler Hel­muth Hüben­ers Namen mit den Groß­buch­sta­ben dar­in: MUT ÜBEN. Und sie fra­gen: »What would Hel­muth do?« Was wür­de er tun?

Eine Ant­wort fin­de ich in der Schü­ler­zei­tung jener Schu­le. Es geht um Gre­ta Thun­berg in Ham­burg, »die jun­ge Rebel­lin« aus Schwe­den. Gre­ta ist so jung wie Hel­muth war, als er sei­ne ersten Flug­blät­ter ver­teil­te. Gre­ta war am 25. Janu­ar erst­mals in Ham­burg und wirk­te dort an der »Fri­days for Future«-Demo vor dem Ham­bur­ger Rat­haus mit. »Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr unse­re Zukunft klaut«, zitiert die Schü­ler­zei­tung die Demo-Teil­neh­me­rin­nen und -teil­neh­mer. »Wir sind die letz­te Gene­ra­ti­on, die den Kli­ma­wan­del auf­hal­ten kann, des­halb liegt es in unse­rer Ver­ant­wor­tung, dage­gen etwas zu tun.«

»What would Hel­muth do?« Er wäre sicher an Gre­tas Sei­te. Er schrieb einst in sei­nem Flug­blatt: »Es wird sich was ändern, wenn alles sich rührt, – und dann hat Hit­ler auskalkuliert.«

Die Schü­ler­zei­tungs­ma­cher schrei­ben: Die Schü­le­rin­nen und Schü­ler sehen sich »als Jugend­be­we­gung, orga­ni­sie­ren sich basis­de­mo­kra­tisch über Whats­App-Grup­pen in ganz Deutsch­land«. Hel­muth hat­te die­se Mög­lich­keit nicht; aber auch er nutz­te die damals neu­ste Tech­nik. Surf­te her­um und fand im Radio die BBC. Es gab sei­ner­zeit noch drei wei­te­re Grup­pen, die so ähn­lich han­del­ten wie Hel­muths Wider­stands­kreis: Aus­lands­ra­dio hören und das Gehör­te ver­brei­ten – ver­se­hen mit eige­nen Kom­men­ta­ren. In Mün­chen und Wien gin­gen die Grup­pen gar zum Bau eines Sen­ders über, und in Erfurt mach­te man es wie in Ham­burg. Alle Jugend­li­chen wur­den schwer bestraft, der jun­ge Münch­ner Wal­ter Klin­gen­beck starb eben­falls durch Henkershand.

Die­je­ni­gen, die sich mit dem Schick­sal der jun­gen Wider­stands­kämp­fe­rin­nen und -kämp­fer befass­ten, zie­hen die Leh­ren: Sie nut­zen die Mög­lich­keit zu han­deln, bevor der Wider­stand das Leben kosten kann. Aber es kann unser aller Leben kosten, wenn alles so wei­ter­läuft wie bis­her: Das Kli­ma geht kaputt, aber es kann vor­her noch mehr kaputt­ge­hen: durch Bom­ben und Krieg. Hel­muth wür­de es sicher tun: Die Fra­ge des Krie­ges in den Jugend­be­we­gun­gen thematisieren.

Die Schü­ler­zei­tung Der Papier­flie­ger sei noch­mals zitiert: »Gre­ta Thun­berg geht es nicht um Bekannt­heit, son­dern um eine Kli­ma­ge­rech­tig­keit und einen lebens­wer­ten Pla­ne­ten. Zur heu­ti­gen Zeit wol­len die Men­schen immer und immer mehr Geld ver­die­nen, dabei ist egal wie es der Natur scha­det. Unse­re Bio­sphä­re wird dabei geop­fert, wenn die Umwelt erst ein­mal zer­stört ist, dass das Kli­ma der Erde sich wan­delt, so dass die Erd­er­wär­mung die Pole schmel­zen wird, dann gibt es kein Zurück mehr.«

Auch Hel­muth Hübe­ner ging es nicht um Bekannt­heit, konn­te es nicht gehen. Dass jedoch die Gleich­alt­ri­gen ihn nach 1945 nicht bekannt gemacht haben, ist schon bedrückend. Die Kohl und Aug­stein, die Gleich­alt­ri­gen nah­men die Gna­de der spä­ten Geburt in Anspruch. Gün­ter Grass mach­te eine Aus­nah­me: Er zitier­te in »Ört­lich betäubt« einen Arti­kel von mir über die Jun­gen aus Hamburg.

Kürz­lich star­te­te die Bewe­gung »Par­ents for Future«. In den Unter­la­gen des Zucht­hau­ses Plöt­zen­see fand ich einen über­ra­schen­den Bezug zur Eltern­ge­nera­ti­on. Am Tag, da Hübe­ner hin­ge­rich­tet wur­de, muss­ten am sel­ben Ort auch Gustav Rich­ter und sein 22-jäh­ri­ger Sohn Rudolf ster­ben. In der Urteils­be­grün­dung hat­te es gehei­ßen: »Der Ange­klag­te Rudolf Rich­ter hat als Dienst­ver­pflich­te­ter in einem Rüstungs­be­trieb sei­ne Arbeits­ka­me­ra­den ange­reizt, durch Ver­min­de­rung der Rüstungs­er­zeu­gung zur Been­di­gung des Krie­ges bei­zu­tra­gen. Auch hat er mar­xi­sti­sche Bücher und zer­set­zen­de Auf­zeich­nun­gen ver­brei­tet […]« Dem kom­mu­ni­sti­schen Arbei­ter Gustav Rich­ter warf die Ankla­ge vor, dass er sei­nen Sohn nicht »anders erzo­gen« und ihn in sei­nem Wider­stand bestärkt habe.

Bestär­ken wir alle den Wider­stands­geist unse­rer Kin­der und Enkel – bevor es zu spät ist!