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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Italienische Impressionen

Im son­ni­gen Süden sind Tem­pe­ra­tu­ren um 30 Grad und mehr nichts Unge­wöhn­li­ches. Aber auch in Ita­li­en ist es in die­sem Som­mer hei­ßer als üblich. Eine grö­ße­re Bewe­gung gegen die dro­hen­de Kli­ma­ka­ta­stro­phe wie Fri­days for Future ist aber noch nicht in Sicht. Das hängt damit zusam­men, dass die mei­sten hier, auch gera­de die Jun­gen, viel zu sehr damit beschäf­tigt sind, ihre Exi­stenz zu sichern, sagt unse­re Freun­din in Pisa. Und damit, dass die das poli­ti­sche Feld domi­nie­ren­de rechts­po­pu­li­sti­sche Lega des Innen­mi­ni­sters Matteo Sal­vi­ni die Kli­ma­kri­se zwar nicht leug­net, aber mit ande­ren The­men über­deckt, ergänzt ihr Part­ner. Nicht nur mit dem The­ma Flücht­lin­ge, son­dern neu­er­dings mit dem Plan einer Pau­schal­steu­er, die angeb­lich die unte­ren Schich­ten ent­la­sten soll.

Sal­vi­ni hat von sei­nen Medi­en­be­ra­tern den Spitz- oder Kampf­na­men il capi­ta­no, der Kapi­tän, ver­passt bekom­men. Als er die Kapi­tä­nin des deut­schen See­not­ret­tungs­schiffs Sea-Watch 3 nicht nur dar­an hin­dern woll­te, den Hafen von Lam­pe­du­sa anzu­lau­fen, um geret­te­te Flücht­lin­ge an Land zu brin­gen, son­dern sie, nach­dem sie sich über sein Ver­bot hin­weg­ge­setzt hat­te, aufs Übel­ste beschimpf­te, brach­te die links­li­be­ra­le Wochen­zei­tung L’Es­pres­so Sal­vi­ni und Caro­la Racke­te zusam­men aufs Titel­blatt mit der Schlag­zei­le: »Capi­ta­no e no« – sinn­ge­mäß über­setzt: Kapi­tän und kein Kapitän.

Inzwi­schen ist die hoch­sym­bo­li­sche Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen einem rech­ten Macho und Macht­ha­ber und einer jun­gen Frau, die sich für das Men­schen­recht auf Leben ein­setzt, in den ita­lie­ni­schen Medi­en schon wie­der etwas in den Hin­ter­grund gerückt wor­den durch die neue­ste Affä­re um die anschei­nend ver­such­te Finan­zie­rung der Lega aus dubio­sen rus­si­schen Quel­len. Sal­vi­ni weiß selbst­ver­ständ­lich von nichts und strebt nun ange­sichts bester Umfra­ge­wer­te Neu­wah­len an.

Wird die Rechts­ent­wick­lung in Ita­li­en auf­zu­hal­ten sein? Unse­re Freun­de sind skep­tisch. Am Bahn­hofs­ki­osk in Ostia kau­fen wir uns die Zeit­schrift Cul­tu­ra Iden­ti­tà. Sie ent­hält alle Namen und Stich­wor­te, die für die Neue Rech­te wich­tig und cha­rak­te­ri­stisch sind. Es geht um ein neu­es Rina­sci­men­to, eine »natio­na­le Wie­der­ge­burt« als Gegen­be­we­gung gegen die angeb­li­che kul­tu­rel­le Hege­mo­nie der Lin­ken. Dafür wird sogar Pier Pao­lo Paso­li­nis radi­ka­le Kri­tik am Kon­su­mis­mus ins Feld geführt. Es geht gegen den soge­nann­ten mon­dia­lis­mo tec­no­ca­pi­ta­li­sti­co – ein typi­scher Kunst­be­griff, der eine anti­ka­pi­ta­li­sti­sche Ten­denz sug­ge­riert, sich in Wirk­lich­keit aber nur gegen Phä­no­me­ne wie »Glo­ba­lis­mus«, Tra­di­ti­ons­ver­lust und welt­wei­te Migra­ti­ons­be­we­gun­gen richtet.

Das Titel­bild zeigt einen dem Meer ent­stei­gen­den nack­ten Jüng­ling mit rotem Helm, aus dem ein star­ker Licht­strahl in die Zukunft weist. Faschi­sto­ide Ästhe­tik mit Zügen von Pop – aber das kennt man ja auch von eini­gen Musik­bands bei uns. Hier ist es offen­bar ganz ernst gemeint.

Nach Ostia sind wir auch gekom­men, um die Gedenk­stät­te für Paso­li­ni zu besu­chen, der 1975 in die­sem »tri­sten Strand­ort« – wie der Spie­gel damals schrieb – ermor­det wur­de. Der angeb­li­che Ein­zel­tä­ter wider­rief nach der Gefäng­nis­stra­fe sein Geständ­nis, sprach von einer Grup­pe von Schlä­gern und deu­te­te poli­ti­sche Moti­ve an. Eine spä­te Wie­der­auf­nah­me des Ver­fah­rens brach­te kei­ne Klä­rung mehr. Paso­li­ni war als Homo­se­xu­el­ler, Kom­mu­nist und schar­fer Kri­ti­ker der Ver­hält­nis­se in Ita­li­en bei der Rech­ten verhasst.

Mit Mühe und mehr­fa­chem Nach­fra­gen bei Pas­san­ten fin­den wir den klei­nen Park, der nach Paso­li­ni benannt ist. Er liegt am Rand eines Vogel­schutz­ge­biets. Kei­ne Weg­wei­ser füh­ren da hin. Das Denk­mal, das die Stadt Rom 2005 errich­tet hat, zeigt eine Tau­be oder Möwe mit erho­be­nen Flü­geln, dazwi­schen eine run­de Schei­be – Sym­bol für die Erde oder die Son­ne. Dar­un­ter ein Vers von Paso­li­ni. Ande­re Zita­te sind rings­her­um auf Tafeln verteilt.

Eine ein­sa­me Gegend. In der Nähe, ver­steckt im Gebüsch, offen­bar ein Nacht­la­ger von Obdach­lo­sen oder Sin­ti und Roma. Innen­mi­ni­ster Sal­vi­ni lässt die­se gera­de im gan­zen Land zäh­len, was immer­hin zu star­kem Pro­test in der Öffent­lich­keit geführt hat.

Etwas wei­ter ent­fernt steht der von Michel­an­ge­lo ent­wor­fe­ne Tor San Miche­le, ein ein­drucks­vol­les Bau­werk der Renais­sance. Den Blick auf den Turm stört ein gro­ßer Müll­hau­fen. Der Ein­gang ist ver­schlos­sen, kein Hin­weis auf Öff­nungs­zei­ten. Wenn sich die­je­ni­gen, die heu­te Sal­vi­ni und sei­nes­glei­chen nach­lau­fen, dar­um küm­mern wür­den, wie mit einem sol­chen Zeug­nis ita­lie­ni­scher Bau­kul­tur umge­gan­gen wird, könn­te man ihnen wenig­stens ihre Sor­ge um die Bewah­rung der ita­li­e­ni­tà abnehmen.