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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Monatsrückblick: Zittern mit Merkel

Frau Mer­kel muss zit­tern – nicht um ihre Stel­lung, nur mit Armen und Bei­nen. Und die Medi­en zit­tern mit: Schafft sie es, durch­zu­hal­ten? Ist sie schwer krank? Nein, sagt sie. Die Nati­on ist beru­higt. Aber nun ist Frau Mer­kel erst mal im Urlaub und hat in Finanz­mi­ni­ster Scholz eine Ver­tre­tung gefun­den, der sie ver­trau­en kann. Schwar­ze Null und kei­ne Expe­ri­men­te – die Linie führt Herr Scholz unbe­zwei­fel­bar fort, ohne auch nur zu zit­tern. Und wenn die USA nun for­dern, Deutsch­land sol­le mit Trup­pen in den Per­si­schen Golf zie­hen, dann stört das Mer­kels Urlaub nicht. »Deutsch­land wird sich nicht an einer US-Mis­si­on betei­li­gen«, sagt der außen­po­li­ti­sche Spre­cher der SPD-Frak­ti­on Nils Schmid. Aber in Abstim­mung mit Groß­bri­tan­ni­en viel­leicht doch? Denn ein eng koor­di­nier­tes Vor­ge­hen der Euro­pä­er hat für die Bun­des­re­gie­rung Prio­ri­tät. Und Boris John­son setzt auf mili­tä­ri­schen »Druck« gegen den Iran, nicht auf Dees­ka­la­ti­on wie die rus­si­sche Regie­rung. Die hat jetzt ein Kon­zept für Sicher­heit und Zusam­men­ar­beit in der gan­zen vor­der­asia­ti­schen Regi­on vor­ge­legt – die Ein­mi­schung ande­rer Staa­ten soll aus­ge­schlos­sen wer­den. Wird sich die deut­sche Regie­rung dem anschlie­ßen? Oder erzit­tert Mer­kel vor Trump und Boris Johnson?

Man­che auf­rech­ten Nazi-Geg­ner muss­ten und müs­sen zit­tern. Die rechts­ter­ro­ri­sti­sche Grup­pe »Nord­kreuz« in Meck­len­burg-Vor­pom­mern hat laut Zei­tungs­be­rich­ten vom 6. Juli 25.000 poli­ti­sche Geg­ner auf einer Todes­li­ste auf­ge­führt. Der ermor­de­te Regie­rungs­prä­si­dent Lübcke soll auf der Liste gestan­den haben. Erschreckend? Nein. Man muss das im Ver­gleich sehen. »Im Ver­gleich zum isla­mi­sti­schen Ter­ror und auch im Ver­gleich zum links­extre­mi­sti­schen Ter­ror ist poli­tisch gese­hen in Deutsch­land der rechts­extre­mi­sti­sche Ter­ror ein Vogel­schiss«, sag­te Wolf­gang Gede­on (AfD), frak­ti­ons­lo­ser Land­tags­ab­ge­ord­ne­ter in Baden-Würt­tem­berg, am 27. Juni im Land­tag in Stutt­gart. Hat ihm eine Möwe ins Gehirn geschissen?

Den Gut­ach­tern der Ber­tels­mann Stif­tung scheint das jeden­falls wider­fah­ren zu sein. Die Hälf­te aller Kran­ken­häu­ser sol­le schlie­ßen, for­dern sie. Dann kön­ne die ande­re Hälf­te mehr Per­so­nal ein­stel­len, bes­se­re Gerä­te anschaf­fen und genü­gend Fall­zah­len pro Ope­ra­ti­on vor­wei­sen. Wäre damit den Pati­en­ten gehol­fen? Quatsch, wer redet denn von Pati­en­ten! Der Pro­fit muss gesi­chert werden!

Sicher­heit pro­fes­sio­nell betreibt das Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz (BfV). Es sucht neue Mit­ar­bei­ter. Und schickt den Bewer­bern eine Ein­la­dung zum Gespräch per Rund­mail mit allen Adres­sa­ten in der Kopf­zei­le. Und damit es auch jeder kapiert, wird in einer zwei­ten Mail die erste zwar »zurück­ge­ru­fen« – aber wie­der mit offe­ner Adres­sa­ten­li­ste, berich­tet Spie­gel Online. Von einer »Blind­ko­pie« (BCC, eng­lisch »blind car­bon copy«) haben die Per­so­nal­sach­be­ar­bei­ter des BfV offen­bar noch nichts gehört. Blind sind sie nur auf dem rech­ten Auge.

Anne­gret Kramp-Kar­ren­bau­er wird zu Kampf-Knar­ren­bau­er, äh, Ver­zei­hung, zur Mini­ste­rin für Auf­rü­stung und Mili­tär-Ein­sät­ze als Nach­fol­ge­rin von Flin­ten-Uschi, die jetzt als Che­fin der EU-Kom­mis­si­on ihren Bera­ter-Spe­zis Mil­lio­nen­auf­trä­ge zukom­men las­sen kann. Die SPD ist not amu­sed und stimmt im EU-Par­la­ment gegen die erste deut­sche Frau als Kom­mis­si­ons­prä­si­den­tin. Und rühmt sich durch den Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten Fritz Fel­gen­treu (SPD), seit 2013 mit­zu­re­gie­ren, also auch ver­ant­wort­lich zu sein dafür, dass die Bun­des­wehr seit damals 40 Pro­zent mehr Mit­tel im Haus­halt erhält, im letz­ten Jahr allein zwölf Pro­zent Etat­er­hö­hung bekam. Die von Kramp-Kar­ren­bau­er ange­streb­ten zwei Pro­zent des BIP hielt SPD-Über­gangs­vor­sit­zen­der Ralf Müt­zenich aber dann doch für zu viel des Guten. Außer­dem sei Sicher­heit nicht allein mili­tä­risch zu gewin­nen: Die SPD stre­be ein euro­päi­sches Sicher­heits­sy­stem unter Ein­schluss Russ­lands an.

Eng­land erzit­tert unter einem »Gemet­zel« (The Times), einem »Blut­bad« (Dai­ly Mir­ror), einem »Höl­len­ka­bi­nett« (Schot­ti­sche Natio­nal­par­tei): Der neue Pre­mier­mi­ni­ster Boris John­son stell­te sein neu­es Kabi­nett vor – alles Brexit-Hard­li­ner. Die Innen­mi­ni­ste­rin befür­wor­tet die Todes­stra­fe, der neue Außen­mi­ni­ster schlug im Mai vor, das Unter­haus zu sus­pen­die­ren, um den Brexit durch­zu­be­kom­men. Lea­der of the Hou­se wird Jacob Rees-Mogg, Mit­be­sit­zer eines Hedge­fonds, der zwei Fonds sei­ner Fir­ma bereits nach Irland ver­legt hat, um laut The Irish Times even­tu­el­len Schä­den nach dem Brexit zuvor­zu­kom­men und die Ver­bin­dung nach Euro­pa zu hal­ten. Das rich­ti­ge Hor­ror­ka­bi­nett zum Aus­tritt Groß­bri­tan­ni­ens an Hal­lo­ween. Über­haupt: »Wir machen aus die­sem Land das groß­ar­tig­ste der Erde«, sag­te Boris John­son in sei­ner Antritts­re­de vor dem Unter­haus am 25. Juli. Was sagt denn Donald Trump dazu, dass Groß­bri­tan­ni­en sei­ne ehe­ma­li­ge Kolo­nie an Groß­ar­tig­keit über­flü­geln will? Wird Groß­bri­tan­ni­en dem­nächst auch als »Rat­ten­nest« beschimpft? Wie die Hei­mat­stadt des Kon­gress­ab­ge­ord­ne­ten Eli­jah Cum­mings. Trump hat­te den poli­ti­schen Geg­ner in meh­re­ren Tweets attackiert und gleich die gan­ze Stadt Bal­ti­more als Rat­ten­nest bezeich­net, in dem kein Mensch leben wol­le. Damit löste er eine Gegen­wel­le von Beschimp­fun­gen aus, die von »Ras­sist« bis »sel­ber Rat­te« rei­chen. »Es ist bes­ser, ein paar Rat­ten zu haben, als eine zu sein«, schrieb Peter Jen­sen, Redak­teur der Bal­ti­more Sun (zitiert nach MAZ, 1.8.19). Gleich­zei­tig stell­te Trump sei­nen Schwie­ger­sohn und per­sön­li­chen Bera­ter, Jared Kush­ner, bloß. Dem gehö­ren näm­lich eini­ge Immo­bi­li­en im Slum von Bal­ti­more, und die Stadt­ver­wal­tung dort beklagt, dass der Eigen­tü­mer die Häu­ser ver­fal­len lässt. Peinlich!

In Hong­kong ver­sucht sich der­weil eine neue »bun­te Revo­lu­ti­on« an der Rol­le rück­wärts heim ins Reich – nach Groß­bri­tan­ni­en?!? Jeden­falls nicht in die Volks­re­pu­blik Chi­na, beschwö­ren die Akteu­re und unse­re Medi­en. Dass aus Hong­kong kein Ver­bre­cher aus­ge­lie­fert wird – eben nicht nur in der VR Chi­na poli­tisch Ver­folg­te! –, das wird vor­nehm ver­schwie­gen. Hong­kong ist ein Para­dies für alle poli­zei­lich oder gericht­lich Ver­folg­ten. Und das gilt wei­ter­hin, denn das neue Aus­lie­fe­rungs­ge­setz, das die Regie­rung von Hong­kong for­mu­liert hat­te, ist durch Demon­stra­tio­nen und Gewalt­ak­te ver­hin­dert wor­den. Die Ver­wü­stung des Gebäu­des des städ­ti­schen Exe­ku­tiv­ra­tes durch – wie es in unse­ren Medi­en heißt – fried­li­che Demon­stran­ten und ein Angriff auf die Ver­tre­tung der VR Chi­na in Hong­kong wird hier­zu­lan­de mit freund­li­chen Augen gese­hen. Peking hat dage­gen alle Ein­woh­ner der Stadt auf­ge­ru­fen, der Gewalt zu wider­ste­hen und fried­lich mit­ein­an­der umzu­ge­hen. Eine neue Per­fi­die der »gel­ben Gefahr«, natürlich!

Seit dem 29. Juli, dem »Erd­über­la­stungs­tag« leben wir Men­schen wie­der auf Pump. Laut Glo­bal Foot­print Net­work waren an dem Tag alle in einem Jahr nach­wach­sen­den Res­sour­cen für 2019 auf­ge­braucht. Aber Mar­kus Söder hat eine neue Res­sour­ce auf­ge­tan: Mensch­li­che Blöd­heit und Ver­gess­lich­keit will er offen­bar anzap­fen, damit die CSU als kli­ma­freund­li­che Par­tei erscheint. Glaubt er wirk­lich, die Leu­te ver­ges­sen um ein paar schö­ner grü­ner Wor­te wil­len die schwar­ze Ver­gan­gen­heit der CSU? Wackers­dorf, Rhein-Main-Donau-Kanal? Ver­hin­de­rung von fast allen Geset­zes­vor­la­gen der Umwelt­mi­ni­ste­rin? »Zwei Din­ge sind unend­lich: das Uni­ver­sum und die mensch­li­che Dumm­heit. Beim Uni­ver­sum bin ich mir noch nicht ganz sicher«, sprach Ein­stein. Mini­ster­prä­si­dent Söder kann sicher sein und muss nicht zittern.