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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Keine Systemlösung

Immer mehr schä­di­gen Men­schen die Umwelt, die gleich­sam eine »Gra­tis­pro­duk­tiv­kraft« (Karl Marx) ist. Die Ursa­che: ein unbe­grenz­tes Wirt­schafts­wachs­tum. Dabei sind die »Gren­zen des Wachs­tums« (Club of Rom) lan­ge bekannt. Sie wer­den aber nicht zuletzt auch durch eine Bevöl­ke­rungs­explo­si­on ange­heizt. 1950 war die Erde mit 2,53 Mil­li­ar­den Men­schen gera­de­zu »leer«. Heu­te sind es 7,72 Mil­li­ar­den. Das ent­spricht einer Wachs­tums­ra­te von 205 Pro­zent. Dabei sind weder Wirt­schafts- und Bevöl­ke­rungs­wachs­tum noch der Raub­bau an der Natur über die 196 Län­der der Erde gleich­ver­teilt. Rei­che Län­der wach­sen heu­te weni­ger als arme Län­der, und trotz­dem ver­brau­chen die rei­chen Län­der pro Kopf mehr Roh­stof­fe, mehr Pri­mär­ener­gie und pro­du­zie­ren dadurch eine wesent­lich grö­ße­re Men­ge an Koh­len­di­oxid-Emis­sio­nen (eben durch den Ver­brauch nicht-rege­ne­ra­ti­ver fos­si­ler Brenn­stof­fe). Dies pro­vo­ziert Natio­na­lis­men wie u. a. »Ame­ri­ca first«.

Die welt­wei­te Ungleich­ver­tei­lung rückt die Ver­tei­lungs­fra­ge (immer mehr) in den Mit­tel­punkt. Wer hat die Gewalt (Macht) über die Ver­tei­lung von Res­sour­cen, Ein­kom­men und Ver­mö­gen? Die Ant­wort ist in einer heu­te fast aus­nahms­los kapi­ta­li­stisch gewor­de­nen glo­ba­len und krie­ge­ri­schen Welt ein­fach. Es sind die welt­wei­ten Kapi­tal­ei­gen­tü­mer, das »per­so­ni­fi­zier­te Kapi­tal« (Karl Marx). Sie set­zen auf eine pro­fit­ge­trie­be­ne erwei­ter­te Kapi­tal­ak­ku­mu­la­ti­on – unter­stützt von den poli­ti­schen Eli­ten in den ein­zel­nen Staa­ten. Der tie­fe Ant­ago­nis­mus der Ord­nung, zwi­schen abhän­gig ver­rich­te­ter und von Kapi­ta­li­sten aus­ge­beu­te­ter Arbeit, denen die ent­schei­den­den Pro­duk­ti­ons­mit­tel gehö­ren und die damit ein­sei­tig die Ent­schei­dungs­macht über Men­schen und Natur haben, aber auch über die poli­ti­schen Erfül­lungs­ge­hil­fen im staat­li­chen Über­bau, ver­hin­dert am Ende eine kon­struk­ti­ve und holi­sti­sche Lösung für die Mensch­heit als Ganzes.

Im Ergeb­nis geht es des­halb auch nicht nur um die Umwelt­pro­ble­ma­tik, son­dern min­de­stens genau­so um Armuts­be­kämp­fung. »Dafür müs­sen«, so der Post­wachs­tums­theo­re­ti­ker Ulrich Brand, »demo­kra­ti­sche Struk­tu­ren und Pro­zes­se, das Poli­ti­sche und der Staat der­art ver­än­dert wer­den, dass die öffent­li­chen Ange­le­gen­hei­ten kol­lek­tiv und ohne Dis­kri­mi­nie­rung orga­ni­siert wer­den. Das sind Kern­ele­men­te eines öko-sozia­li­sti­schen Pro­jekts.« Und das Gan­ze müs­se in einem inter­na­tio­na­len Kon­text gese­hen und gelöst wer­den, vor allen Din­gen wegen einer »impe­ria­len Pro­duk­ti­ons- und Lebens­wei­se« der mate­ri­ell rei­chen Län­der der Erde. Und dann lässt er uns mit sei­ner nor­ma­ti­ven For­de­rung allein zurück. Wie das welt­weit umge­setzt wer­den soll, die Ant­wort bleibt Brand schul­dig. Aber zumin­dest erkennt er: »Ein gutes Leben für alle ist eine inter­na­tio­na­le und inter­na­tio­na­li­sti­sche Auf­ga­be, die unter kapi­ta­li­sti­schen Bedin­gun­gen nicht zu bewäl­ti­gen ist.«

In der Tat, Kapi­ta­li­sten akzep­tie­ren bei der Befrie­di­gung ihrer ein­sei­ti­gen maxi­ma­len Pro­fit­in­ter­es­sen kei­nen Still­stand. Sie set­zen auf Wachs­tum, ja, sie müs­sen syste­misch-inhä­rent auf Wachs­tum set­zen. Auch ein umwelt­ori­en­tier­tes »grü­nes« Wachs­tum, das wegen kon­tra­fak­ti­schen Rebound-Effek­ten nicht die wirk­li­che Lösung ist, ver­langt unter kapi­ta­li­sti­schen Bedin­gun­gen nach einer Mehr­wert­pro­duk­ti­on und damit einer wei­te­ren Aus­beu­tung der Arbeits­kräf­te. Bir­git Mahn­kopf spricht in den Blät­tern für deut­sche und inter­na­tio­na­le Poli­tik (Heft 6/​2021) zu Recht von einer »Nebel­ker­ze«: »Green New Deal – Die lee­ren Ver­spre­chun­gen eines ›grü­nen Kapitalismus‹«.

Für die system­im­ma­nen­te Logik der kapi­ta­li­sti­schen Ord­nung und die Logik ihrer öko­no­mi­schen Impli­ka­tio­nen inter­es­siert sich aber die Umwelt­be­we­gung nicht, und ich befürch­te, sie hat die Logik auch nicht ver­stan­den. Ohne Mehr­wer­ter­war­tung geben Kapi­ta­li­sten kein Geld für Inve­sti­tio­nen aus. Auch »grü­ne« Inve­sti­tio­nen müs­sen sich selbst­re­dend rech­nen. Und auch der ver­meint­lich »neu­tra­le« Staat, auf den vie­le set­zen, spielt im Kapi­ta­lis­mus immer nur den »Gesamt­ka­pi­ta­li­sten« (Fried­rich Engels), da ste­hen dann Umwelt­in­ve­sti­tio­nen nicht oben auf der Agen­da. Der Staat muss zur Finan­zie­rung Steu­ern und Abga­ben erhe­ben, und/​oder er muss sich ver­schul­den. Bei­des gefällt den Kapi­tal­eig­nern aber nicht. Die Ver­schul­dun­gen der Staa­ten schie­ßen jetzt schon durch die Decke und haben, auch im Zuge der gera­de ablau­fen­den Coro­na-Pan­de­mie, in so man­cher Volks­wirt­schaft ihre Gren­ze erreicht. Und die vom Kapi­tal beherrsch­te Poli­tik wird nicht mit Steu­er­erhö­hun­gen für Ver­mö­gen­de oder mit einem Ver­mö­gens­schnitt reagie­ren, um damit die not­wen­di­gen Inve­sti­tio­nen für die Umwelt zu finan­zie­ren. Unge­ach­tet des­sen, so Bir­git Mahn­kopf, »wird das Nar­ra­tiv vom ›grü­nen Kapi­ta­lis­mus‹ wohl noch eini­ge Zeit als Beru­hi­gungs­mit­tel sei­ne Wir­kung tun – obwohl der Pfad des fos­sil-ato­ma­ren Kapi­ta­lis­mus fak­tisch nicht ver­las­sen wird«.

Und dazu gibt es kei­ne Alter­na­ti­ve? Doch die gibt es! Die Abschaf­fung des Kapi­ta­lis­mus! Der kann sich nach Karl Marx aber lei­der nur selbst abschaf­fen. Wer dar­auf ent­ge­gen Marx aber nicht war­ten will, der muss zumin­dest die Wirt­schaft demo­kra­ti­sie­ren und die demo­kra­tisch gewähl­te Poli­tik aus den Abhän­gig­kei­ten der Wirt­schaft, genau­er der Kapi­ta­li­sten, befrei­en. Da kann man Sahra Wagen­knecht getrost Recht geben: »Wer über unse­re Wirt­schafts­ord­nung nicht reden und gro­ße Ver­mö­gen nicht stär­ker zur Finan­zie­rung des Staa­tes her­an­zie­hen will, soll­te auch zur Kli­ma­po­li­tik bes­ser schweigen.«