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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Neoliberalismus gebärt Neofaschismus

Durch das Auf­tau­chen neu­er Mani­pu­la­ti­ons­be­le­ge in den Pro­zes­sen gegen den 1982 zum Tode ver­ur­teil­ten afro­ame­ri­ka­ni­schen Bür­ger­recht­ler Mumia Abu-Jamal war 2019 ein Revi­si­ons­ver­fah­ren mög­lich gewor­den. Sein Zustan­de­kom­men wur­de jedoch durch eine Ein­ga­be der Wit­we des angeb­lich von Abu-Jamal 1981 ermor­de­ten Poli­zi­sten Dani­el Faul­k­ner um fast ein gan­zes Jahr ver­zö­gert. Mau­re­en Faul­k­ner ist Spre­che­rin von Fra­ter­nel Order of Poli­ce in Phil­adel­phia, jener mäch­ti­gen Poli­zei­ge­werk­schaft, die nicht auf­ge­hört hat­te, die Voll­streckung der Todes­stra­fe an Abu-Jamal zu for­dern. Die­se war 2011 – wegen nie aus­ge­räum­ter Zwei­fel an der Recht­mä­ßig­keit der juri­sti­schen Ver­fah­ren – in lebens­läng­li­che Haft umge­wan­delt wor­den. Seit­dem setzt die Poli­zei­ge­werk­schaft alles dar­an, die Frei­las­sung des nun­mehr seit 39 Jah­ren ein­ge­ker­ker­ten welt­be­kann­ten Autors zu verhindern.

Im Dezem­ber 2019 hat­te Mau­re­en Faul­k­ner mit­tels einer soge­nann­ten King’s Bench ver­langt, dass Bezirks­staats­an­walt Lar­ry Kras­ner, der nach lan­ger Prü­fung neu­er Beweis­stücke eine Revi­si­on zuge­las­sen hat­te, die­sen Juri­sten aus dem Ver­fah­ren aus­zu­schlie­ßen. Ziel war, Kras­ner durch den extrem rech­ten Gene­ral­staats­an­walt Joshua Sha­pi­ro zu erset­zen. Dass der Penn­syl­va­nia Supre­me Court das Anlie­gen der King’s Bench am 16. Dezem­ber 2020 abge­wie­sen hat, stellt einen gro­ßen juri­sti­schen Erfolg für Abu-Jamal dar. Sei­ne Anwäl­tin Judith Rit­ter kann jetzt in die Vor­be­rei­tung des Revi­si­ons­ver­fah­rens ein­stei­gen. Es ist frei­lich davon aus­zu­ge­hen, dass die Poli­zei­ge­werk­schaft erneut ver­su­chen wird, den Pro­zess hinauszuschieben.

Dass in den USA nach wie vor ras­si­stisch-faschi­sto­ide Gefah­ren viru­lent sind, zeig­te sich nicht nur bei der Beset­zung des Capi­tols, son­dern auch dar­an, dass Donald Trump die letz­ten Wochen sei­ner Amts­zeit noch nutz­te, um durch Bun­des­ge­rich­te aus­ge­spro­che­ne Todes­ur­tei­le voll­strecken zu las­sen. Die USA sind das Land mit den pro­zen­tu­al mei­sten Straf­ge­fan­ge­nen, von denen wie­der­um eine gro­ße Mehr­heit Afro­ame­ri­ka­ner oder Ange­hö­ri­ge ande­rer eth­ni­scher Min­der­hei­ten sind. Auf die unmensch­li­chen Bedin­gun­gen, die in den meist von pri­va­ten Fir­men gelei­te­ten Haft­an­stal­ten herr­schen, fällt in der Coro­na-Kri­se ein beson­de­res Schlag­licht: Jeder zehn­te Inhaf­tier­te ist an Covid 19 erkrankt. Auch im Trakt, in dem sich Mumia Abu-Jamals Zel­le befin­det, herrscht stren­ger Lockdown.

Trotz­dem gelang es ihm wie­der, der 26. Rosa-Luxem­burg Kon­fe­renz der jun­gen Welt, die am 9. Janu­ar online statt­fand, eine Audio-Bot­schaft zuzu­sen­den. Sein dies­jäh­ri­ges The­ma war die dro­hen­de Faschi­sie­rung sei­nes Lan­des, in dem er – einem Arti­kel John Bel­la­my Foster fol­gend – deut­li­che Merk­ma­le histo­ri­scher Faschis­men erkennt: »gestei­ger­te Frem­den­feind­lich­keit, Ultra­na­tio­na­lis­mus, Wur­zeln in der unte­ren Mit­tel­schicht und pri­vi­le­gier­ten Sek­to­ren der Arbei­ter­klas­se sowie ein Bünd­nis mit dem Mono­pol­ka­pi­tal«. Zutref­fend sei auch, was der Mus­so­li­ni und Hit­ler nahe­ste­hen­de Juli­us Evo­la einst schrieb: Faschis­mus kön­ne sich nur ent­wickeln, wenn er die Men­schen durch »unter­halb des Intel­lekts ange­sie­del­te« Lei­den­schaf­ten zur Revol­te gegen die Demo­kra­tie, den sozia­len Fort­schritt und die Wis­sen­schaft antrei­be. Abu-Jamal wies aller­dings dar­auf hin, dass es »unge­ach­tet der ›unin­tel­lek­tu­el­len‹ Lei­den­schaf­ten bei den Trump-Anhän­gern (…) sehr wohl ein Bewusst­sein dar­über« gebe, »dass die neo­li­be­ra­len Kräf­te, die jetzt in der demo­kra­ti­schen Par­tei an der Spit­ze ste­hen, die ›wei­ße‹ Arbei­ter­klas­se betro­gen haben, als sie das Nord­ame­ri­ka­ni­sche Frei­han­dels­ab­kom­men NAFTA unter­zeich­ne­ten. Es war ein Geschenk an die Finanz­haie der Wall Street und ein Dolch im Rücken der ame­ri­ka­ni­schen Arbeiter*innen.« Indem Trump gegen das 1994 in Kraft getre­te­ne NAFTA-Abkom­men wet­ter­te, sam­mel­te er Punk­te »bei US-Neo­fa­schi­sten wie (Ste­ve) Ban­non, die die­sen Ver­rat der Demo­kra­ten nutz­ten, um Unter­stüt­zung für die ›alter­na­ti­ve Rech­te‹ zu gewin­nen, indem sie argu­men­tier­ten, ›die Glo­ba­li­sie­rer‹ hät­ten ›die ame­ri­ka­ni­sche Arbei­ter­klas­se kaputt­ge­macht und dafür eine Mit­tel­klas­se in Asi­en geschaf­fen‹«. Hin­ter dem Anklang, den die­se Dem­ago­gie bei vie­len Ame­ri­ka­nern fand, die 2016 Donald Trumps Wahl und 2020 bei­na­he sei­ne Wie­der­wahl ermög­lich­ten, hört Abu Jamal einen »Schrei nach Erlö­sung, der sich an das Groß­ka­pi­tal und die mit ihm ver­bün­de­ten repres­si­ven Regie­run­gen richtet«.

Abu-Jamal beton­te, dass »Neo­li­be­ra­lis­mus und Neo­fa­schis­mus, obwohl sie schein­bar poli­ti­sche Gegen­sät­ze dar­stel­len, in Wirk­lich­keit enge Ver­wand­te« sei­en, »die bloß in ver­schie­de­nen Kostü­men auf­tre­ten«. Für den Neo­fa­schis­mus sei­en »wüste ras­si­sti­sche Aus­brü­che« cha­rak­te­ri­stisch, für den Neo­li­be­ra­lis­mus »süße Wor­te«. Aber letz­te­rer »ver­nich­tet zugleich Arbeits­plät­ze und greift eben­falls zu rück­sichts­lo­ser Unterdrückung«.

Tat­säch­lich ist von Prä­si­dent Joe Biden nicht zu erwar­ten, dass er das 2018 von Trump neu ver­han­del­te und in United Sta­tes-Mexi­co-Cana­da-Agree­ment (USMCA) umbe­nann­te Nord­ame­ri­ka­ni­sche Frei­han­dels­ab­kom­men auf­kün­digt. Ob er, wie ver­spro­chen, die Abschaf­fung der Todes­stra­fe für bun­des­staat­lich Ver­ur­teil­te und die Auf­lö­sung des völ­ker­recht­lich unzu­läs­si­gen Gefan­ge­nen­la­gers Guan­ta­na­mo durch­setzt, bleibt abzuwarten.

 

Die Zita­te aus Mumia-Abu Jamals Rede folgt der Über­set­zung der Jun­gen Welt: https://www.freiheit-fuer-mumia.de/rlk2021.htm#redemumiadeutsch. Aus­führ­li­che Infor­ma­tio­nen zu Mumia Abu-Jamals Fall und die welt­wei­te Soli­da­ri­täts­be­we­gung: https://www.das-mumia-hoerbuch.de.