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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Too old, too young

Wer jetzt so zwi­schen 60 und 70 Jah­re alt ist, soll­te ihn lesen. Wer dann noch irgend­wo in Nord­deutsch­land oder gar in Nie­der­sach­sen zu Hau­se ist und nicht ganz auf­ge­hört hat, von einer bes­se­ren Welt zu träu­men, muss ihn lesen – den »Rol­la­tor Blues« des han­no­ver­schen Autors Wolf­ram Hänel.

Zum Schluss sei­ner Tri­lo­gie über die leicht tra­gi­schen, aber nie ver­za­gen­den Freun­de Appaz und Ker­sch­kamp lässt er die bei­den mit drei wei­te­ren Kum­pels – nach einem furio­sen Auf­takt, der am Strand vom Wil­helms­ha­ven spielt – noch ein­mal nach Süd­frank­reich fah­ren. Fünf Freun­de sind es, die sich selbst bewei­sen wol­len, dass sie zwar viel­leicht »too old to rock’n roll« sind, aber defi­ni­tiv »too young to die« – die eige­nen Träu­me ein­ge­schlos­sen. Also machen sie sich auf eine Rei­se, die sie 1975 schon ein­mal unter­nom­men hat­ten: mit einem VW-Bus zum Atlan­tik. Gestützt von Ziga­ret­ten, Dope und Alko­hol (von allem ein wenig viel), machen sich die fünf auf und wis­sen: »Alt­wer­den ist nichts für Feig­lin­ge«, rei­ben sich an ihren alten Zwi­stig­kei­ten, Eifer­süch­te­lei­en, Dra­men und ver­lo­re­nen Hoff­nun­gen und wis­sen doch: »Und mal ganz ehr­lich, Kurt, auch wenn wir nicht unbe­dingt die rich­ti­gen Lösun­gen gefun­den haben, zumin­dest haben wir schon in den Sieb­zi­ger­jah­ren die rich­ti­gen Fra­gen gestellt!«

Ehr­li­che Lebens­re­sü­mees durch­zie­hen das Buch, etwa wenn Udo, den alle für einen der Gro­ßen im Mar­ke­ting von Volks­wa­gen hal­ten, bekennt: »Die letz­ten Jah­re bei VW waren schei­ße. Ich habe den Anschluss ver­lo­ren, moder­ne Zei­ten, ver­stehst Du?« Und immer wie­der: Musik und eine Grund­me­lo­die, die der 1956 gebo­re­ne Autor selbst in einem sehr per­sön­li­chen Nach­wort in die Sät­ze klei­det: »Wir soll­ten die Zeit, die uns bleibt, gefäl­ligst nut­zen! Dazu wird es nicht rei­chen, ein paar Bäu­me im Vor­gar­ten zu pflan­zen – wir müs­sen umden­ken und gesell­schaft­li­che Syste­me ver­än­dern, anders wird es nicht gehen: Make capi­ta­lism histo­ry! Und noch­mal: Wer, wenn nicht wir? Wann, wenn nicht jetzt?«

Ein groß­ar­ti­ges, war­mes und auch lie­be­voll gedruck­tes Buch – wie geschaf­fen für Ossietzky-Leser nicht nur im Nor­den der Republik.

Wolf­ram Hänel, Rol­la­tor Blues. Viel­leicht muss man ja doch nicht ster­ben …, zu Klam­pen Ver­lag 2022, 453 S., 24 €.