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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Bedingungsloses Grundeinkommen

Ich habe mich (als Laie) seit den sieb­zi­ger Jah­ren des vori­gen Jahr­hun­derts mit dem The­ma »Grund­ein­kom­men« beschäf­tigt (auch mit dem The­ma der 25- oder 30-Stun­den­wo­che). Es geht dar­um, ein Kon­zept des »Bedin­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­mens« (BG) zu ent­wickeln, das anders ist, als es »die Herr­schen­den geneh­mi­gen wür­den« (Anne Rie­ger in uz, 10.6.16). Vie­le Lin­ke und Gewerk­schaf­ter (z. B. Prof. Dr. Chri­stoph But­ter­weg­ge in Der Frei­tag, 2.6.2016) sehen durch ein bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men die noch vor­han­de­nen sozia­len Errun­gen­schaf­ten gefähr­det. Die­se wur­den und wer­den uns aber nach und nach weg­ge­nom­men, obwohl die Gewerk­schaf­ten und die lin­ken Par­tei­en dage­gen kämp­fen und gekämpft haben. Wie weit das noch geht und ob dann eine »revo­lu­tio­nä­re Situa­ti­on« ent­steht, was man­che erhof­fen, wis­sen wir nicht.

Nun ist es ein Grund­feh­ler, anzu­neh­men, das BG müss­te so kom­men, wie ein gewis­ser Götz Wer­ner, Eigen­tü­mer der Dro­ge­rie­markt­ket­te DM, oder der neo­li­be­ra­le Tho­mas Straub­haar und ande­re es sich vor­stel­len. Allein schon die Kon­zep­te der Schwei­zer Initia­ti­ven sehen ganz anders aus (dass die Schwei­zer im Jahr 2016 noch mehr­heit­lich dage­gen stim­men wür­den, war vor­aus­zu­se­hen; um das Gewin­nen der Volks­ab­stim­mung ging es damals nicht). Auch die Gleich­be­rech­ti­gung der Frau hat in der Schweiz etwas gedauert …

Es geht nicht um Lebens­hil­fe für Bedürf­ti­ge. Auch Model­le mit Crowd­fun­ding sind falsch. Es geht dar­um, das gemein­sam Erwirt­schaf­te­te gerech­ter unter allen zu ver­tei­len. Beglei­ten­de steu­er­li­che Maß­nah­men in eine ande­re Rich­tung, als sie jetzt lau­fen, sind nötig (solan­ge wir noch im Kapi­ta­lis­mus leben müs­sen). Die Mehr­heit der Men­schen wird trotz eines sol­chen Grund­ein­kom­mens wei­ter­ar­bei­ten (wenn sie denn einen Job hat). Die mei­sten Lot­to­ge­win­ner arbei­ten (klu­ger­wei­se) auch wei­ter. Arbeit ist mehr als nur Geld­ver­die­nen. Die Idee des BG müss­te also ver­bun­den wer­den mit weni­ger Arbeit (zusätz­lich natür­lich) bei glei­chem Lohn: In Schwe­den wird zur­zeit mit einem 6-Stun­den­tag bei glei­chem Lohn expe­ri­men­tiert. Bis­her hat man die Erfah­rung gemacht, dass die Leu­te genau­so viel oder mehr schaf­fen als bei einem 8-Stundentag.

In den sieb­zi­ger Jah­ren des vori­gen Jahr­hun­derts wur­de in der BRD mit einem 4-Stun­den­tag (d. h. zwei Ange­stell­te teil­ten sich einen Arbeits­platz mit je 4 Stun­den vor­mit­tags und nach­mit­tags) erfolg­reich expe­ri­men­tiert. Hier­bei wur­de aller­dings jeweils nur das hal­be Ein­kom­men gezahlt. Der Mehr­auf­wand des Arbeit­ge­bers wur­de durch auto­ma­tisch mehr Lei­stung in den vier Stun­den aus­ge­gli­chen, da Mit­tags- und ande­re län­ge­re Pau­sen weg­fie­len. Sol­che Arbeits­plät­ze wären für etli­che Men­schen durch­aus inter­es­sant. Und man kann im Prin­zip mehr Men­schen beschäf­ti­gen. Dies gilt natür­lich nur für Arbeit­neh­mer, die das frei­wil­lig machen wol­len und dann mit dem BG zzgl. gerin­ge­rem Ver­dienst aus­kom­men. Damit wür­de ein ande­rer, bes­se­rer Zustand erreicht als in heu­ti­ger Zeit, in der man Men­schen zu unter­be­zahl­ten Jobs mit pre­kä­ren Ver­hält­nis­sen zwingt.

Die Arbeits­welt in Deutsch­land bzw. in Euro­pa ist in die­ser Hin­sicht viel zu wenig fle­xi­bel. Das mei­ne ich nicht im Sin­ne der Arbeit­ge­ber und nicht in Bezug auf unfrei­wil­li­ge Arbeits­zeit­kür­zun­gen. Man könn­te mehr Men­schen in Arbeit und Brot brin­gen ohne ent­wür­di­gen­de Leih­ar­beit, Hartz-IV-Schi­ka­nen und elen­den so genann­ten Min­dest­löh­nen. Der­zeit wer­den von den Kapi­tal- und Pro­duk­ti­ons­stät­ten­in­ha­bern stän­dig Arbeits­plät­ze und Arbeits­mög­lich­kei­ten ver­nich­tet. Die durch Ratio­na­li­sie­run­gen, Auto­ma­ti­sie­run­gen und Digi­ta­li­sie­run­gen erhöh­ten Gewin­ne kom­men über­wie­gend nicht den Arbeit­neh­mern zugute.

Es geht aber dar­um, das gemein­sam Erwirt­schaf­te­te gerecht (zunächst gerech­ter als bis­her) auf alle zu ver­tei­len. Dabei müs­sen natür­lich steu­er­li­che Ver­än­de­run­gen grei­fen, die genau anders­her­um wir­ken, als sie in der Ver­gan­gen­heit durch CDU, CSU, SPD, FDP und Grü­nen beschlos­sen wur­den, wodurch die Ein­kom­mens- und Ver­mö­gens­sche­ren wei­ter aus­ein­an­der­drif­ten. Natür­lich müss­ten alle in die Sozi­al­kas­sen ein­zah­len. Durch gewis­se Selb­stän­di­ge (z. B. Zahn­ärz­te) oder bei Mana­gern und »Ren­tiers« kämen erheb­li­che zusätz­li­che Sum­men in die Sozi­al­kas­sen. Auch Beam­te wür­den ein­zah­len, die stö­ren­de Tren­nung zwi­schen Beam­ten, Ange­stell­ten und Arbei­tern fie­le weg. Lei­der ver­folgt zur­zeit der DGB nicht ein­mal mehr das »Ein­heit­li­che Dienst­recht« im öffent­li­chen Dienst. Ein ein­heit­li­ches Sozi­al­recht müss­te sich dage­gen auf alle Mit­glie­der unse­rer Gesell­schaft bezie­hen. Für Pseu­do­selb­stän­di­ge oder Selb­stän­di­ge an der Armuts­gren­ze (Allein­er­zie­hen­de mit Kin­dern) könn­te eine Neu­re­ge­lung nur posi­tiv sein.

Hät­ten wir ein BG, wie es sich Men­schen »von unten« vor­stel­len und ent­wickelt haben, wür­den die Leu­te (die Mehr­heit wür­de trotz­dem arbei­ten) auch in die Sozi­al­kas­sen wei­ter ein­zah­len. Der Rest­so­zi­al­staat, wie wir ihn jetzt haben, wür­de nicht abge­baut. Im Gegen­teil, es wäre ein erster Schritt in eine ande­re Rich­tung, denn der Ist-Zustand ist nicht zufrie­den­stel­lend und nicht gerecht.

Natür­lich könn­te man durch ein BG den kapi­ta­li­sti­schen, mili­tä­ri­schen, impe­ria­li­sti­schen Staat nicht auf Anhieb abschaf­fen, aber das gelingt auch ohne BG nicht ohne wei­te­res. Das BG wür­de nicht zu mehr Arbeits­lo­sig­keit (oder gar Mas­sen­ar­beits­lo­sig­keit) füh­ren, da mehr Leu­te in den ver­schie­de­nen Arbeits­ver­hält­nis­sen unter­schied­lich lang arbei­ten kön­nen – weil sie ja eine finan­zi­el­le Basis haben, die zur­zeit nicht exi­stiert. Eine Alter­na­ti­ve zu Hartz IV, das neu­er­dings »Bür­ger­geld« heißt, wäre das auf jeden Fall! Auch die vor­han­de­nen Äng­ste vor einem »Absturz« oder vor »Kon­kur­ren­ten« (Flücht­lin­ge) könn­ten abge­baut werden.

Natür­lich sind die Ver­fech­ter der Idee nicht so naiv zu mei­nen, man kön­ne im Kapi­ta­lis­mus den Sozia­lis­mus ver­wirk­li­chen. Doch end­lich erscheint mit dem BG mal eine neue Idee und eine Visi­on! Und die soll­ten wir uns weder von anti­quier­ten Gewerk­schaf­ten, die Angst haben, über­flüs­sig zu wer­den, wenn ihnen ihr Geg­ner ver­lo­ren geht, noch von Leu­ten wie Götz Wer­ner mies­ma­chen las­sen. Außer­dem sehe ich kei­nen unbe­ding­ten Gegen­satz zu mar­xi­sti­schen Ideen.

Unse­re »west­li­chen Gesell­schaf­ten« sind zur­zeit völ­lig ein­falls­los und nur mit (finan­zi­el­len) Repa­ra­tu­ren beschäf­tigt. Dage­gen wird in Süd­ame­ri­ka das »Buon Vivir« dis­ku­tiert und zum Teil schon durch­ge­führt; viel­leicht sta­gnie­ren wir hier in Euro­pa, und wirk­lich neue Ideen wer­den woan­ders ent­wickelt. Wie schrieb der Autor Eber­hard Kirch­hoff vor eini­gen Jah­ren: Die Zukunft ist eine Mulattin!

Per­sön­li­cher Nach­satz: Da ich vor unge­fähr drei­ßig Jah­ren der Mei­nung war, auf gesell­schaft­li­che Ver­än­de­run­gen im obi­gen Sin­ne nicht war­ten zu kön­nen oder zu wol­len, habe ich ent­spre­chen­de Wei­chen­stel­lun­gen (lei­der nur) indi­vi­du­ell vor­neh­men müs­sen. Natür­lich wur­de ich für »ver­rückt« erklärt. Aber das ist oft so mit neu­en Ideen (manch­mal auch mit schon sehr alten). Das bedeu­te­te, frei­wil­lig auf einen Teil des Ein­kom­mens zu ver­zich­ten, um mehr Zeit für Din­ge und Tätig­kei­ten zu haben, die mir wich­tig erschie­nen. Trotz weni­ger Geld (oder gera­de des­we­gen) wur­de das Leben, mein Leben inhalts­rei­cher und qua­li­täts­vol­ler. Es gelang, eine Art pri­va­tes nied­ri­ges Grund­ein­kom­men zu schaf­fen mit zusätz­li­chen Ver­dienst­mög­lich­kei­ten. Es bedeu­te­te, ganz ande­re, unab­hän­gi­ge­re Arbeits­ver­hält­nis­se zu prak­ti­zie­ren, die es z. B. ermög­lich­ten, mit­ten in der Woche mal spa­zie­ren zu gehen. Dafür wur­de dann mal abends oder am Sams­tag gear­bei­tet. Auch Rei­sen, die län­ger dau­er­ten als drei Wochen, wur­den mög­lich. Natür­lich nicht mit dem Flie­ger nach Bali, son­dern mit Fahr­rad und Zelt nach Hol­land oder in die Provence.

Aller­dings will ich nicht blau­äu­gig sein: Als Süß­was­ser­fisch hat man es im Salz­was­ser nicht leicht …