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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Schmidts Träume

So »rea­li­stisch« Arno Schmidts (1914 bis 1979) Roma­ne auch wir­ken mögen, denn sie sind ja mei­stens von der­ber Offen­heit, so schei­nen sie doch, wie sein Haupt­werk »Zettl’s Traum« Illu­sio­nen zu glei­chen. Und wären sie es – wir erfüh­ren doch über uns, was wir uns manch­mal selbst nicht zu sagen wagen.

Arno Schmidt wur­de im »Lexi­kon deutsch­spra­chi­ger Schrift­stel­ler« (VEB Biblio­gra­phi­sches Insti­tut Leip­zig, 1974) einst dafür gelobt, dass er sich mit sei­nen Büchern gegen »Faschis­mus, Restau­ra­ti­on, Mili­ta­ris­mus« wen­de und einen »radi­ka­len Athe­is­mus« bekun­de. Frei­lich wird er am Ende des Bei­trags geschol­ten: »Stil­ex­pe­ri­men­te, die pri­va­te Recht­schrei­bung und pho­ne­ti­sche Schreib­wei­se (…) sind wie die will­kür­li­che Inter­punk­ti­on eine unbe­hol­fe­ne (…) erstarr­te Pro­test­ge­ste.« Die ersten Schmidt-Tex­te lesen konn­te ich erst 1981, in einem Bänd­chen des Reclam-Ver­la­ges Leip­zig (»Aus dem Leben eines Fauns«), ent­hal­tend auch »Tina oder Über die Unsterb­lich­keit«, für mich das Beste, was er je geschrie­ben hat. Inter­es­san­ter­wei­se wird im Nach­wort betont, dass sich auch Autoren der DDR auf ihn »bezie­hen«.

Der Bio­graf, der es unter­nimmt, das Leben und Schaf­fen des Arno Schmidt dar­zu­stel­len, den man wohl zu Recht als »Groß-Schrift­stel­ler« bezeich­nen darf, ver­dient Respekt. Denn er muss sich durch eine kaum mehr zu über­schau­en­de Sekun­där­li­te­ra­tur arbei­ten und dabei immer den kla­ren, distan­zier­ten Blick auf das mit­un­ter ver­que­re Leben Schmidts bewahren.

Das ist Sven Hanu­schek über­zeu­gend gelun­gen. Sei­ne Schmidt-Bio­gra­fie ist auch ein erzäh­le­ri­sches Bra­vour­stück. Beson­ders die humo­ri­sti­sche Grund­hal­tung des Bio­gra­fen trägt dazu bei, dass man mit­un­ter meint, eine Geschich­te zu lesen. Und nun ist Arno Schmidts Leben, sein Schaf­fen ja auch eine Geschich­te. Nicht zu kurz kommt der Preis für ein zwar selbst gewähl­tes soli­tä­res Leben und Arbei­ten, näm­lich die all­mäh­li­che Selbst­zer­stö­rung. Das Leben in der Lüne­bur­ger Hei­de war nicht »roman­tisch« bei aller »Roman­tik« des von Schmidt gelieb­ten Landstrichs.

Beson­ders ergie­big wird die Lek­tü­re, wenn dar­ge­stellt wird, wie sehr sich Schmidts Lite­ra­tur aus der Lite­ra­tur, beson­ders der roman­ti­schen, speist. Die­se Ana­ly­sen sind eine ein­zi­ge Lek­tü­re­an­re­gung. Über­zo­gen wer­den nach mei­nem Gefühl die Dar­stel­lung der Beschäf­ti­gung Schmidts mit Karl May, die Arbeit für und gegen den Karl May Ver­lag. Da gibt es ein paar Pas­sa­gen, wo die Gründ­lich­keit und Genau­ig­keit des Ver­fas­sers zu einer gewis­sen Lang­at­mig­keit füh­ren. Auch die Betrach­tun­gen zu den von Schmidt ins Deut­sche über­setz­ten Büchern schwap­pen manch­mal etwas weit. Fes­selnd hin­ge­gen sind die Erklä­run­gen zu »Zettl’s Traum«.

Sehr inter­es­sant sind die Aus­sa­gen zum ambi­va­len­ten Ver­hält­nis Schmidts zur DDR. Und weh­mü­tig fast machen die Tei­le des Buches, aus denen man ersieht, wel­che Rol­le Lite­ra­tur einst im Lan­de spiel­te. Schmidt konn­te noch Erre­gun­gen poli­ti­scher oder kle­ri­ka­ler Art erzeu­gen, Ver­hö­re pro­vo­zie­ren. Nun sagt das Inter­es­se der Justiz noch nicht viel über die Wir­kung von Lite­ra­tur, aber sie wur­de doch wenig­stens wahr­ge­nom­men und nicht mit ein paar wohl­klin­gen­den Rezen­sio­nen ad acta gelegt.

Arno Schmidts Art zu schrei­ben war einst eine Offen­ba­rung für den, der sie nicht kann­te. Kaum wie­der ein­mal konn­te man seit­dem in ein so unstill­ba­res Geläch­ter ver­fal­len wie bei der Lek­tü­re von »Brand’s Hai­de«. Schmidt konn­te den Kalau­er so schär­fen, dass er Wahr­hei­ten über das Leben und die Gesell­schaft mit­leid­los vor sei­nen Leser stell­te. So etwas fehlt uns heu­te im Main­stream der Belie­big­keit. Dar­um ist es gut, dass Sven Hanu­schek an die­sen lite­ra­ri­schen Pfahl im Flei­sche eines Lan­des erin­nert; sein Leben, akri­bisch recher­chiert, vor uns ablau­fen lässt, sein Schaf­fen durch­leuch­tet und uns zeigt, was Schmidts meta­lep­ti­sches (die­ses Wort kommt mög­li­cher­wei­se zu oft vor in der Bio­gra­fie) Schaf­fen uns heu­te zu sagen hat, näm­lich: Weg mit dem Fir­le­fanz der Belie­big­keit, Mut zur Dar­stel­lung der Rea­li­tät, wie sie nun ein­mal ist – und das ganz ohne Kri­mi­nal­kom­mis­sa­re und Ermitt­le­rin­nen, ohne geru­fe­ne Poli­zei, aber gespeist aus unse­rer rei­chen Literatur.

Ja, Schmidt tut uns not. Das ist wohl die Quint­essenz von Sven Hanu­scheks Buch.

Sven Hanu­schek: Arno Schmidt. Bio­gra­fie. Carl Han­ser Ver­lag 2022, 992 S., 45 €.