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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Frühlingserwachen in Ostrau

Im zei­ti­gen Früh­jahr lockt die Saa­le­kreis­ge­mein­de Ostrau, zehn Kilo­me­ter nörd­lich von Hal­le, vie­le Besu­cher aus nah und fern in den Schloss­park. Dann blü­hen hier mit den Win­ter­lin­gen die ersten Früh­lings­bo­ten. Bei den ersten Son­nen­strah­len hal­ten es die win­zi­gen Blu­men nicht mehr in der Erde aus und über­zie­hen all­jähr­lich den Wald­bo­den mit ihren strah­lend gel­ben Blü­ten wie einen Tep­pich, der sich zwi­schen den noch kah­len Bäu­men aus­brei­tet. Dazwi­schen Schnee­glöck­chen, Märzen­be­cher und ein paar Kro­kus­se. Mit­un­ter lugen die leuch­ten­den Blü­ten noch aus einer dün­nen Schnee­decke her­aus. Ein beson­de­res Foto­mo­tiv, das die Schau­lu­sti­gen mit ihren Smart­phones festhalten.

Was vor Jah­ren noch ein Geheim­tipp war, ist längst zur Völ­ker­wan­de­rung in den Früh­ling gewor­den. Beson­ders an den Wochen­en­den wer­den die Park­plät­ze schon mal knapp. Auf dem etwa 2 km lan­gen Rund­weg kann der auf­merk­sa­me Spa­zier­gän­ger neben den ersten Früh­lings­bo­ten außer­dem noch so man­che bota­ni­sche Beson­der­heit ent­decken und ver­schie­de­ne Vogel­ar­ten beob­ach­ten, denn Was­ser­grä­ben und Tei­che durch­zie­hen den Park.

Die Ent­ste­hung der Park­an­la­ge ist eng mit der abwechs­lungs­rei­chen Geschich­te des Schlos­ses Ostrau ver­knüpft. Ver­mut­lich gab es auf dem Are­al bereits zur Zeit der sla­wi­schen Besied­lung eine Insel­burg mit Was­ser­gra­ben. Spä­ter hat­te es eine mit­tel­al­ter­li­che Befe­sti­gung gege­ben, und Ostrau ent­wickel­te sich zu einem Adels­sitz. Über knapp vier Jahr­hun­der­te hin­weg bestimm­te die Fami­lie von Velt­heim die Geschicke des Schlos­ses und schuf ein beein­drucken­des Bau­ensem­ble. Das heu­ti­ge Barock­schloss ließ Otto Lud­wig von Velt­heim (1672-1714) in den Jah­ren 1713-18 durch den Bau­mei­ster Johann Mar­tin Anhalt errichten.

Schil­lernd­ste Figur der Adels­fa­mi­lie war der letz­te Schloss­be­sit­zer Hans Has­so von Velt­heim (1885-1956). Der Autor, Welt­rei­sen­de, Anthro­po­soph und Indo­lo­ge, der sich mit mytho­lo­gi­schen und reli­gi­ons­phi­lo­so­phi­schen Fra­ge­stel­lun­gen beschäf­tig­te, mach­te aus dem Schloss eine inter­na­tio­na­le Begeg­nungs­stät­te, einen kos­mo­po­li­ti­schen Ort für Freun­de und Gleich­ge­sinn­te. Nach dem Zwei­ten Welt­krieg wur­de das Schloss als Leh­rer­bil­dungs­stät­te, Inter­nat und Schu­le genutzt. Im Jahr 2000 über­nahm der zuvor gegrün­de­te Ost­rau­er Kul­tur­ver­ein e. V. den Süd­flü­gel und konn­te in den zurück­lie­gen­den Jah­ren schon eini­ges bewe­gen. So wird die präch­tig sanier­te Biblio­thek inzwi­schen zu zahl­rei­chen Ver­an­stal­tun­gen (Hoch­zei­ten, Lesun­gen oder Kon­zer­te) genutzt. Auch das all­jähr­li­che Schloss- und Park­fest im August ist immer wie­der ein Höhepunkt.

Um 1700 wur­de der barocke Schloss­gar­ten als so genann­ter »Lust­wald« ange­legt und rund sech­zig Jah­re spä­ter zu einem Land­schafts­park umge­stal­tet. Die 14 Hekt­ar gro­ße Anla­ge ist seit 2010 Teil der »Gar­ten­träu­me«. Eine Fuß­gän­ger­brücke führt über den Schloss­gra­ben direkt in den Haupt­teil des Parks. Durch die ver­wun­sche­ne Anla­ge zie­hen sich vor­bei an Was­ser­grä­ben und Tei­chen eini­ge phi­lo­so­phisch inspi­rier­te Rund­we­ge, die bereits Hans Has­so von Velt­heim anle­gen ließ, dar­un­ter den »Dr.-Rudolf-Steiner-Weg«, den »Goe­the-Weg« und den »Pfad der Ferne«.

Im Park selbst fin­det man eine Fül­le an fremd­län­di­schen Gehöl­zen, sel­te­ne, impo­san­te Baum­rie­sen wie Gink­go, Tul­pen­bäu­me, Mam­mut­bäu­me oder Sumpf­zy­pres­sen. Der Baum-Methu­sa­lem ist jedoch eine Buche, die wegen ihres Aus­se­hens »Ele­fan­ten­fuß« genannt wird. Ein paar Schrit­te abseits vom Weg befin­det sich ein klei­ner Fried­hof mit den letz­ten Grab­stät­ten der Fami­lie von Velt­heim-Ostrau. In die Gestal­tung des Parks wur­de auch der ein­sti­ge gro­ße Mühl­teich ein­be­zo­gen, indem man ihn durch meh­re­re Inseln unter­teil­te. Nach dem Haupt­teil erstreckt sich der Park bis zum ehe­ma­li­gen Forst­haus. Der­zeit las­sen sich 66 Gehöl­zar­ten und weit über 3.000 Bäu­me im Schloss­park Ostrau nach­wei­sen. Lei­der haben die Herbst­stür­me der letz­ten Jah­re groß­flä­chi­ge Schä­den ange­rich­tet, sodass immer wie­der not­wen­di­ge Ver­kehrs­si­che­rungs­maß­nah­men (mit teil­wei­ser Sper­rung des Parks) durch­ge­führt wer­den müssen.

Ein­mal in Ostrau, soll­te man auch der evan­ge­li­schen Schloss­kir­che einen Besuch abstat­ten. Auf dem umlie­gen­den Fried­hof befin­det sich unter­halb der so genann­ten »Pro­fes­so­ren­lin­de« die Grab­stät­te des Por­trät-, Histo­ri­en- und Blu­men­ma­lers Carl Adolf Senff (1785-1863), einem der bedeu­tend­sten Künst­ler der Bie­der­mei­er­zeit, der unter dem Namen »Blu­men-Raf­fa­el« in die Kunst­ge­schich­te ein­ge­gan­gen ist.