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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die uniformierte Rechte

Das Mili­tär im kapi­ta­li­sti­schen Deutsch­land hat stets erheb­li­chen Ein­fluss auf den Staats­ap­pa­rat, spe­zi­ell das Sicher­heits­sy­stem und die Ideo­lo­gie­fa­bri­ka­ti­on aus­ge­übt. Es fun­giert als Staat im Staa­te, Schu­le der Nati­on. Mili­ta­ri­sti­sche Pro­pa­gan­di­sten loben die Bun­des­wehr als Instru­ment der Demo­kra­tie, den ein­zel­nen Sol­da­ten als einen Ver­tre­ter der »inne­ren Füh­rung«, und bei »rechts­extre­men Vor­komm­nis­sen« han­de­le es sich stets um Ein­zel­fäl­le. In der If Infor­ma­ti­on für die Trup­pe – Zeit­schrift für Inne­re Füh­rung der Bun­des­wehr (4/​17) wird »die See­le der Bun­des­wehr« auf den »Geist von Him­merod« zurück­ge­führt, der wir­ke »bis heu­te fort«. Das ist ein kaum ver­hüll­tes Bekennt­nis zur Bun­des­wehr als Fort­set­ze­rin der faschi­sti­schen Wehrmacht.

Das Bekennt­nis kommt spät. Jahr­zehn­te­lang wur­de in der Bun­des­re­pu­blik die Him­mero­der Tagung ver­schwie­gen. Ganz anders in der DDR, wo am 11. August 1951 gemel­det wur­de: »Der Natio­nal­rat der Natio­na­len Front über­gibt der Welt­öf­fent­lich­keit auf einer Pres­se­kon­fe­renz ein ›Weiß­buch über die ame­ri­ka­nisch-eng­li­sche Inter­ven­ti­ons­po­li­tik in West­deutsch­land und das Wie­der­erste­hen des deut­schen Impe­ria­lis­mus‹« (Chro­nik der Arbei­ter­be­we­gung). In einem span­nen­den Kri­mi des DDR-Mili­tär­ver­la­ges aus dem Jahr 1975 mit dem Titel »Das unsicht­ba­re Visier« wird geschil­dert, wie ein »Kund­schaf­ter des Frie­dens« die Tagung in einem Klo­ster aus­spio­nier­te. Auch ein Fern­seh­film ent­stand zum The­ma der Wie­der­her­stel­lung einer deut­schen Wehr­macht, um »unter Füh­rung der USA die Vor­macht­stel­lung in Euro­pa« zu erlangen.

Im Eifel­klo­ster Him­merod for­mu­lier­ten im Okto­ber 1950 ehe­ma­li­ge Gene­rä­le Hit­lers – im Auf­trag des Bun­des­kanz­lers Kon­rad Ade­nau­er (CDU), aber in Wider­spruch zum Grund­ge­setz – eine gehei­me Denk­schrift zur Auf­stel­lung und Aus­rü­stung einer neu­en Wehr­macht für die BRD. Sie soll­te nur nicht so hei­ßen. Die Gene­rä­le, die bald zu den mili­tä­ri­schen Grün­dern der Bun­des­wehr wer­den soll­ten, stell­ten klar: Wir machen nur mit, wenn die Bestra­fung ehe­ma­li­ger SS- und Wehr­machts­an­ge­hö­ri­ger wegen ihrer Kriegs­ver­bre­chen auf­hört und die­se Män­ner wie­der in die Armee auf­ge­nom­men wer­den, sie reha­bi­li­tiert wer­den. Nicht ein ein­zi­ger Wehr­machts­sol­dat, der zur Bun­des­wehr kam, wur­de wegen sei­ner Kriegs­ver­bre­chen ver­ur­teilt. Die Bun­des­wehr war und blieb ein Hort der Nazis und Neo­na­zis, die Justiz bewahr­te sie vor Ermitt­lun­gen und Bestrafung.

So sorg­te im hes­si­schen Roten­burg die Staats­an­walt­schaft Mit­te der 1990er Jah­re dafür, dass kei­ner­lei Bestra­fung eines Sol­da­ten mit neo­fa­schi­sti­scher Gesin­nung in Erwä­gung gezo­gen wur­de, der den jun­gen Anti­na­zi Pjotr Kania auf offe­ner Stra­ße ersto­chen hat­te. Straf­frei blieb Oberst Georg Klein mit sei­nen über hun­dert unschul­di­gen Opfern am Kun­dus­fluss. Er wur­de spä­ter sogar Gene­ral und einer der höch­sten »Aus­bil­der«. »Lebens­läng­lich« bekam nach der Wen­de aller­dings der DDR-Bür­ger Ger­hard Böge­lein, weil er im Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger Klaipė­da in Russ­land am Tod eines ver­hass­ten deut­schen Men­schen­schin­ders und Kriegs­rich­ters schul­dig gewe­sen sein soll.

Noch heu­te gibt es Kaser­nen, deren Namen von der Wehr­macht her­ge­lei­tet wer­den. Der Bun­des­wehr­ver­band hat einen Bil­dungs­werk mit Namen »Karl-Theo­dor Moli­na­ri Stif­tung«. Moli­na­ri war in Frank­reich an Kriegs­ver­bre­chen betei­ligt. Ein Todes­ur­teil aus dem Jah­re 1950 wur­de nie aufgehoben.

Wie die Alten, so auch die Jun­gen. »Geh zur Bun­des­wehr oder Poli­zei« heißt es in einem Neo­na­zi-Auf­ruf. »Jun­ge Kame­ra­den und Kame­ra­din­nen« in der Berufs­wahl soll­ten »eine Aus­bil­dung bei Bun­des­wehr und Poli­zei in Erwä­gung zie­hen, mit dem Ziel, sich in beson­ders qua­li­fi­zier­ten Spe­zi­al­ein­hei­ten das nöti­ge Wis­sen und Kön­nen anzu­eig­nen«. Denn: »Wider­stand, der auf die Besei­ti­gung eines volks­feind­li­chen Systems zielt, muss pro­fes­sio­nell geplant sein« (so Stef­fen Hup­ka in der NPD-Jugend­zeit­schrift Umbruch aus dem Jahr 1995). Der Auf­ruf war erfolg­reich. Zahl­rei­che Anhän­ger des Neo­fa­schis­mus gehör­ten und gehö­ren der Bun­des­wehr an. Der kürz­lich erfolg­te Start des frei­wil­li­gen »Hei­mat­schut­zes« ist ein Geschenk an die Neonazis.

Der »Geist von Him­merod« weh­te auch über der Armee der Ein­heit. Der stell­ver­tre­ten­de Chef der Bun­des­wehr Ost, Gene­ral von Sche­ven, hat­te am 3. Okto­ber 1990 in Straus­berg NVA-Offi­zie­ren klar­ge­macht, wo es lang geht in der bun­des­deut­schen Wehr: »Die Lei­stungs­fä­hig­keit ihrer Sol­da­ten und ihrer Waf­fen soll nach unse­rer Über­zeu­gung nicht hin­ter den Lei­stun­gen der Wehr­macht zurück­ste­hen.« Genau 30 Jah­re spä­ter sprach Hee­res­in­spek­teur Gene­ral Alfons Mais Klar­text: Das Heer müs­se »kriegs­be­reit und sie­ges­fä­hig« sein, das deut­sche Mili­tär müs­se »letzt­end­lich gewin­nen kön­nen« (aus der Schrift: »Das Deut­sche Heer im Lich­te ein­ge­gan­ge­ner Bünd­nis­ver­pflich­tun­gen«, Nov. 2020)

Die Bun­des­wehr mar­schier­te in die DDR ein. Und so wie jede Behör­de West zur Kolo­ni­al­be­hör­de im Osten wur­de, so woll­te auch die West-Trup­pe nicht abseits­ste­hen. Die Gebirgs­jä­ger der Bun­des­wehr bestan­den dar­auf, aus den Alpen (bis zu 2900 m ü. M.) ins Erz­ge­bir­ge nach Schnee­berg (470 m) her­ab­zu­stei­gen. Schnee­berg wur­de dann oft im Zusam­men­hang mit »Vor­komm­nis­sen« genannt. Chef war Gene­ral Rein­hard Gün­zel, der spä­ter das berüch­tig­te Kom­man­do Spe­zi­al­kräf­te mit auf­bau­te und stets bemüht war, die Wehr­macht als vor­bild­lich zu preisen.

Das Kom­man­do Spe­zi­al­kräf­te KSK wur­de 1996 gegrün­det, vor allem, um die Poli­zei­ein­heit GSG 9 zu erset­zen, die 1977 von einem ara­bi­schen Ter­ror­kom­man­do ent­führ­te Deut­sche befrei­te. In einem Pro­zess gegen einen ter­ror­ver­däch­ti­gen KSK-Mann, der Unmen­gen von Waf­fen und Muni­ti­on von Calw, dem Sitz des KSK, in sei­nen hei­mi­schen Gar­ten nach Sach­sen ver­bracht hat­te, wur­de ein mil­des Urteil gespro­chen. Der Mann habe »gestan­den«, wur­de ihm zuge­bil­ligt. Wei­te­re Muni­ti­ons­dieb­stäh­le wur­den vom KSK-Gene­ral Mar­kus Kreit­mayr ganz ohne Bestra­fung geklärt. Die Die­be soll­ten ihr Die­bes­gut anonym zurück­ge­ben, was wohl auch eini­ge taten. Ande­re wohl nicht. Allein zwi­schen 2017 und 2020 wur­den 26 KSK-Ange­hö­ri­ge aus dem Kom­man­do ent­fernt. 20 Ver­dachts­fäl­le, dar­un­ter Ver­dacht auf Rechts­ter­ro­ris­mus, waren im März 2020 noch uner­le­digt (Süd­deut­sche Zei­tung vom 29. März 21).

Zu einer neu­en Teil­streit­kraft gaben die Bun­des­mi­ni­ste­ri­en für Ver­tei­di­gung und Inne­res am 11. August 2020 eine gemein­sa­me Pres­se­er­klä­rung her­aus: »Mit der Unter­zeich­nung der Grün­dungs­ur­kun­de ist der Start­schuss für die Agen­tur für Inno­va­ti­on in der Cyber­si­cher­heit ›Cyberagen­tur‹ gege­ben wor­den. Dies ist (…) ein wich­ti­ger Schritt zu mehr Tech­no­lo­gie-Sou­ve­rä­ni­tät in der Cyber­si­cher­heit.« Bun­des­in­nen­mi­ni­ster Horst See­ho­fer sag­te: »Kern­auf­ga­be der Cyberagen­tur ist es, die Ent­wick­lung inno­va­ti­ver Tech­no­lo­gien der Cyber­si­cher­heit vor­an­zu­trei­ben. Wir wol­len damit auch unse­re digi­ta­le Sou­ve­rä­ni­tät stärken.«

Die enge Ver­bin­dung des Innen- und Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ste­ri­ums, des Mili­tärs und der Poli­zei sowie der Geheim­dien­ste, wie sie in der gemein­sa­men Erklä­rung zum Aus­druck kommt, soll­te die Lin­ke, nicht nur die LINKE, alar­mie­ren. Die Rechts­ent­wick­lung äußert sich heu­te weni­ger in der Ent­wick­lung der extre­men Rech­ten, sei sie par­tei­för­mig oder bewe­gungs­ori­en­tiert. Die­se wird von der Regie­rungs­sei­te sogar – wenn auch mil­de – bekämpft. See­ho­fer sieht die »größ­te Gefahr« im Rechts­extre­mis­mus, wie er immer wie­der betont. Was er nicht sagt: Der Staat nimmt den Rechts­ruck selbst in die Hand. Die gedul­de­ten Fäl­le der Hil­fen von Poli­zi­sten per Chat­rooms und Muni­ti­ons­lie­fe­run­gen für Ter­ro­ri­sten sind erschreckend. Jähr­lich wer­den ein­tau­send jun­ge Men­schen für den neu­en »Hei­mat­schutz« ange­wor­ben, sie sol­len nur ein Jahr die­nen – doch sie blei­ben Reser­vi­sten. Reser­vi­sten sind es zumeist, die in der Pan­de­mie im Gesund­heits­we­sen hal­fen. Weil das Geld in das Mili­tär und die Rüstung fließt, fehlt es im Gesundheitswesen.

Von Eich Käst­ner wird oft der Satz aus dem Jahr 1958 zitiert: »Die Ereig­nis­se von 1933 bis 1945 hät­ten spä­te­stens 1928 bekämpft wer­den müs­sen. Spä­ter war es zu spät. Man darf nicht war­ten, bis aus dem Schnee­ball eine Lawi­ne gewor­den ist.« Was besagt das für uns heu­te? Zwar bröckelt die deutsch-natio­na­le, ras­si­sti­sche AfD ein wenig, was Wäh­ler­stim­men anbe­langt. Aber es wächst ihr NS-Flü­gel. Und es wach­sen rech­te Bewe­gun­gen auf den Stra­ßen und Plätzen.

Und es wächst der Mili­ta­ris­mus. Der Weg nach ganz Rechts geht über den Staats­ap­pa­rat, über die Armee, die Poli­zei. Aber wäre das so anders als zu Zei­ten, da der Schnee­ball zur Lawi­ne wurde?

Wäh­rend ich die­sen Bei­trag schrieb, bekam ich Schwie­rig­kei­ten, die selbst mich, der ich seit Jah­ren als »Links­extre­mist« vom Inlands­ge­heim­dienst beob­ach­tet wer­de, ver­blüff­ten. Mein Inter­net­an­schluss war acht Tage lang nicht erreich­bar, und ich konn­te nichts sen­den. Das galt auch für mein Netz­te­le­fon. Von die­ser Sper­re ist bei Redak­ti­ons­schluss auch das Adress­buch zum Netz­te­le­fon und zum Mobil­te­le­fon betrof­fen, letz­te­res ver­stumm­te ganz. Freun­de frag­ten mich: Gab es bei dir einen Cyber­an­griff. Ich ant­wor­te­te: Das wird so sein.