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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Im Zeichen der Widerständigkeit

Die Male­rei Wolf­gang Lebers, der im Febru­ar sei­nen 85. Geburts­tag fei­er­te, lie­fert Model­le der räum­lich-archi­tek­to­ni­schen Umwelt auf der Flä­che. In sei­nen Bild­räu­men ist jedes per­sön­li­che Erin­ne­rungs­stück ver­mie­den, das als Attri­but eines Men­schen ver­stan­den wer­den könn­te. Der pri­va­te Cha­rak­ter des Milieus ist eli­mi­niert. Auch sei­ne Figu­ren sind kei­ne pul­sie­ren­den Lebe­we­sen, son­dern aus ste­reo­me­tri­schen Grund­for­men ent­wickel­te Figu­ren-Zei­chen ohne psy­cho­lo­gi­sche Dif­fe­ren­zie­rung. Es sind Kunst­fi­gu­ren aus inein­an­der ver­zahn­ten, kon­tra­stie­ren­den Ele­men­ten ganz unter­schied­li­cher Aus­drucks­for­men. Die für das spä­te Bau­haus cha­rak­te­ri­sti­sche Sach­lich­keit und syste­ma­ti­sche Kon­struk­ti­on scheint hier nicht ohne Ein­fluss gewe­sen zu sein. Wolf­gang Leber setzt ein »Stadt­bild« (2001) aus kubi­schen Bau­kör­pern zusam­men, gibt dem »Gespräch« (1991) erst durch des­sen zei­chen­haf­tes Ambi­en­te eine gro­ße Inten­si­tät, ver­wan­delt ein »Grün­blatt« (2010) in ein auf­re­gen­des Farbenspiel.

Nicht das Ein­ma­li­ge des Gesche­hens soll gezeigt wer­den, dazu sind die Bil­der viel zu »ereig­nis­los«, son­dern der Bild­raum scheint sich über die Bild­rän­der hin­weg zu erwei­tern. Dem Betrach­ter wird zuge­mu­tet, ein frag­men­ta­risch dar­ge­bo­te­nes Werk durch Pro­jek­ti­on zu ergän­zen. Die auf der Lein­wand vor­han­de­ne Infor­ma­ti­on wird eli­mi­niert und dadurch der Pro­zess der Pro­jek­ti­on in uns ange­regt. »Ja, auch der Betrach­ter muss sich bemü­hen«, so Wolf­gang Leber. »Das Bild könn­te die Gele­gen­heit sein, die Wirk­lich­keit auf­klä­rend zu durchdringen.«

Sei­ne Bil­der will der Maler aber nicht als intel­lek­tu­el­le ver­stan­den wis­sen. Sie sind nicht allein mit dem Kopf, son­dern vor allem mit dem Gefühl gemalt. Der ästhe­ti­sche Bezug zu Ratio­na­li­tät und Prä­zi­si­on der tech­ni­schen Form wird immer wie­der auf­ge­ho­ben durch die Emo­tio­na­li­tät der Gestal­tung. Trotz the­ma­ti­scher und moti­vi­scher Begren­zung – Figur, (Innen- und Außen-)Raum, Stadt, Natur, Still­le­ben – ver­fügt der Künst­ler über einen Mal­stil von außer­or­dent­li­cher Spann­wei­te. Der unter­kühl­te, kal­te Kon­struk­ti­vis­mus wird belebt durch die sen­si­ti­ve Far­be. Farb­flä­chen mit ihren Kon­tra­sten – von Wein­rot und Grün bis Tür­kis, Blau und Schwarz – über­neh­men den Auf­bau der Kom­po­si­ti­on. Expres­si­ve Farb­kon­tra­ste domi­nie­ren. Immer wie­der lässt uns die Kühn­heit sei­ner Far­ben stau­nen: Die­se tie­fen, vol­len Kobalt­b­laus, die Fuch­si­en- und Oran­ge­tö­ne, sam­ti­ges Schwarz und Hell­gelb. Wir haben es mit einem neu­en gei­sti­gen Umgang mit Far­be zu tun, ohne das Sicht­ba­re auf­zu­ge­ben, das sich statt­des­sen in visu­el­le Poe­sie ver­wan­delt hat. Leber lässt die Far­be frei ein­strö­men. Die Male­rei wird blü­hend und defi­niert und modu­liert mit ihren Mit­teln den Raum und die Gegen­stands­vo­lu­men. Auch Schwarz und Weiß kann Far­be wer­den. Es ist der Schritt von der gra­fi­schen zur male­ri­schen Formbestimmung.

Zuneh­mend sind die Bil­der Wolf­gang Lebers insta­bi­ler und kom­pli­zier­ter gewor­den. Doch die tra­gen­den und lasten­den, fal­len­den und stür­zen­den, zie­hen­den und sto­ßen­den Flä­chen stel­len letzt­end­lich ein Gleich­ge­wicht aus ele­men­ta­ren Span­nun­gen her, das auch durch die in letz­ter Zeit ein­ge­bau­ten Dis­so­nan­zen nicht völ­lig auf­ge­ho­ben wird. Lini­en span­nen sich zu Gera­den, schrä­ge Kör­per­ebe­nen rich­ten sich zur Vor­der­flä­che par­al­lel. Senk­rech­te steht gegen Waa­ge­rech­te, Kör­per gegen Raum. Die Span­nung zwi­schen Expres­si­vem und Kon­struk­ti­vem, Hell und Dun­kel, Schwer­mü­ti­gem und Hei­te­rem, fast Medi­ter­ra­nem, Affir­ma­ti­on und Nega­ti­on, rei­cher Fan­ta­sie und Küh­le der Prä­sen­ta­ti­on, frei­er Intui­ti­on und kla­rer, gei­sti­ger Kon­trol­le hält die Bil­der zusam­men. Das her­vor­ste­chen­de Merk­mal sei­nes per­sön­li­chen Stils ist die medi­ta­ti­ve Erleb­nis­fä­hig­keit. »Die Male­rei schöpft ihre Meta­phern aus dem Sicht­ba­ren, um dem Unsicht­ba­ren Gestalt zu geben«, sagt Wolf­gang Leber.

Er setzt Gebrauchs­ge­gen­stän­de als »Melan­cho­li­sches Inven­tar« (2013) ins Bild. »Schwe­ben­de Gedan­ken« (2015) suchen sich zu ord­nen. Eine »Begeg­nung« (2016) schlägt fehl, wenn die Sin­nes­or­ga­ne blockiert sind. Zum büh­nen­haf­ten Auf­tritt von Mario­net­ten wird ein »Strand­fest« (2015). »In die Zeit gefal­len« (2018) ist ein tech­no­ides Mon­ster, bar aller mensch­li­chen Züge. »Nicht ste­hen blei­ben« (2018) gilt für zwei rast­los ins Unge­wis­se eilen­de Gestal­ten. Das Bild ist Ort von Durch­drin­gun­gen und Ent­ge­gen­set­zun­gen – erzeugt wird eine kom­ple­xe Bild­struk­tur, die als Aus­weis der media­len Qua­li­tät von Male­rei ver­stan­den wer­den kann. Nicht-Prä­sen­tes stellt sich her, das zwi­schen den Bild­ebe­nen Ver­rät­se­lun­gen schafft, statt sie wech­sel­sei­tig zu kom­men­tie­ren. Das Sicht­ba­re soll ver­bor­gen, das Ver­bor­ge­ne zugleich wie­der sicht­bar wer­den. In ihrer qua­si abstrak­ten Eigen­wer­tig­keit neh­men die Far­ben und Flä­chen eine inhalt­li­che Bedeu­tung an, es sind sozu­sa­gen abstrakt gegen­ständ­li­che Bil­der. Sie las­sen in ihrer visu­el­len Poe­sie die Leben­dig­keit der Welt zu kar­gen Träu­men gerin­nen. Es sind Bil­der von sprö­der Welt­angst, Zeit-Zei­chen gegen Gefähr­dung, Ent­frem­dung, Bedräng­nis und Erstarrung.

Nicht ver­ges­sen wer­den dür­fen sei­ne Flach­re­li­efs, in denen er die Form aus dem Mate­ri­al (meist Sand­stein) her­aus­ar­bei­tet – sie gleich­sam von ihrem Umfeld »befreit« – und auch bemalt, wobei kaum Höhen­ebe­nen und nur sel­ten Run­dun­gen vorkommen.

Lie­ber Wolf­gang Leber, wir brau­chen Dich, Dei­ne Bil­der, Zeich­nun­gen, Stein­drucke und Skulp­tu­ren, sie geben uns Kraft zum Wider­stand gegen das Gewöhn­li­che, das zu Ein­fa­che, sie schär­fen unser Auge für das Unauf­fäl­li­ge, Unschein­ba­re und las­sen es als etwas Unge­wöhn­li­ches begrei­fen, sie öff­nen unse­ren Blick auf das Beson­de­re, Außer­or­dent­li­che in unse­rem Dasein, sie bie­ten uns Frei­räu­me in einer durch Regeln gelähm­ten Gesell­schaft, in einer bedroh­ten Welt.

 

Dia­log Far­be. Wolf­gang Leber zum 85. Geburts­tag. San­dau & Leo Gale­rie, Tuchol­sky­str. 38, 10117 Ber­lin, Di – Sa 12-18 Uhr, bis 6. Juni. Kata­log 20 €.