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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Wirklichkeit des flüchtigen Augenblicks

Fern der Groß­stadt leb­te Karl Hage­mei­ster (1848 – 1933), Sohn eines Obst­züch­ters aus Wer­der, von frü­hen Stu­di­en­rei­sen nach Bel­gi­en, Hol­land und Ita­li­en und spä­ter auch nach Paris abge­se­hen, in sei­ner havel­län­di­schen Hei­mat­land­schaft – in Ferch, im Enten­pfuhl und in Wer­der. Deren spe­zi­fi­sche Stim­mung such­te er zu erfas­sen. »Die Stim­mung ist die Trä­ge­rin des see­li­schen Ele­ments der Land­schaft«, bekann­te er. Den Stim­men, die ihm aus der Natur ent­ge­gen­tön­ten, woll­te er mit der eige­nen künst­le­ri­schen Stim­me ant­wor­ten. Aus dem jewei­li­gen Stim­mungs­ton eines Wald- oder Wie­sen­stücks, einer See- oder Sumpf­land­schaft, der Bir­ken am See, des wei­ßen Moh­nes, der See­ro­sen oder der Apfel­blü­te ent­wickel­te er Licht und Schat­ten, trug er die Far­be in dif­fe­ren­ziert aus­drucks­fä­hi­gen, vibrie­ren­den Flecken und Stri­chen aus rei­nen, nicht ver­misch­ten Far­ben auf. Mit der Grun­die­rung der jewei­li­gen »Gene­ral­stim­mung« ließ er nach und nach das ein­zel­ne Detail aus ihr hervorwachsen.

So setz­te er dunk­les Geäst vor hel­len Him­mel (»Auf­flie­gen­der Rei­her«, 1896; »Kie­fern«, um 1910; »Küsten­land­schaft in Loh­me – Buchen am Ufer«, um 1912), hel­le Stäm­me vor Wal­des­dun­kel, ließ die Ufer­ve­ge­ta­ti­on vom Wind peit­schen (»Ufer­land­schaft (Schil­fu­fer mit auf­flie­gen­der Stock­ente)«, 1892) oder dün­nes Son­nen­licht durch die Bäu­me schim­mern (»Win­ter­land­schaft mit Wei­den«, 1904; »Bir­ken im Schilf«, um 1906), gestal­te­te Durch­blicke auf Seen und Tüm­pel (»Mär­ki­sche Land­schaft«, 1880), graue Regen­stim­mun­gen und die dann auch immer noch hel­le und toni­ge Luft in ihren viel­fa­chen Abstu­fun­gen (»Herbst­land­schaft«, um 1885), schuf Vor­früh­lings­bil­der, in denen die Vege­ta­ti­on noch ruht (»Tau­wet­ter an einem Bach­rand«, um 1883), oder gab Win­ter­mo­ti­ve mit einer star­ken Schwarz-Weiß-Wir­kung (»Ver­schnei­ter Bir­ken­wald an einem Bach­lauf«, 1891/​93; »Win­ter­land­schaft (Rau­reif)«, um 1910). Hage­mei­ster mal­te Natur­aus­schnit­te, die einer Por­trät­auf­fas­sung nahekamen.

Das Pots­dam-Muse­um, das selbst über einen reprä­sen­ta­ti­ven Hage­mei­ster-Bestand ver­fügt, zeigt – ergänzt durch Leih­ga­ben, auch durch bis­her der Öffent­lich­keit noch nicht gezeig­te Wer­ke aus Pri­vat­be­sitz – gut 130 Land­schaf­ten des »mär­ki­schen Corinth«, meist groß­for­ma­ti­ge Gemäl­de, Pastel­le und auch Zeich­nun­gen. Ihnen wer­den aus­ge­wähl­te Arbei­ten des Wei­ma­rer Leh­rers Fried­rich Prel­ler d. Ä., der Hage­mei­sters Bega­bung zum Natur­ma­ler erkann­te und för­der­te, und des Freun­des, För­de­rers und Men­tors Carl Schuch, der ihn in einer aus den Anschau­un­gen des Leibl-Krei­ses her­rüh­ren­den kon­trast­ar­men Ton­ma­le­rei bestärk­te, sowie Wer­ke fran­zö­si­scher und deut­scher Impres­sio­ni­sten hin­zu­ge­fügt, die ihn aus sei­ner sin­gu­lä­ren Exi­stenz lösen und ihn zu einem Weg­be­glei­ter zeit­ge­nös­si­scher Strö­mun­gen machen.

Anfang der 1890er Jah­re begann Hage­mei­ster die Pastell­tech­nik zu erpro­ben. Hier gelan­gen ihm fein­ste Farb­nu­an­cen, Zwi­schen­tö­ne und Über­gän­ge, eine luzi­de Durch­drin­gung von Luft und Licht. Die­se Pha­se bezeich­ne­te er als »still­le­ben­ar­ti­ge Anschau­ung«. Hage­mei­ster war 1910 bis 1913 ordent­li­ches Mit­glied der Ber­li­ner Sece­s­si­on und betei­lig­te sich an deren Aus­stel­lun­gen. Die Ent­wick­lung der moder­nen Land­schafts­ma­le­rei um die Jahr­hun­dert­wen­de wird in der Aus­stel­lung durch Wer­ke von Weg­ge­fähr­ten wie Max Lie­ber­mann, Lovis Corinth, Max Sle­vogt, Les­ser Ury und Wal­ter Lei­sti­kow dokumentiert.

Wie sein Künst­ler-Zeit­ge­nos­se Wal­ter Lei­sti­kow bevor­zug­te Hage­mei­ster Moti­ve von den mär­ki­schen Seen; seit 1907 kamen dann auch See- und Küsten­bil­der von der Insel Rügen hin­zu. Licht­erfüll­te Blau-, Grün- und Ocker­tö­ne cha­rak­te­ri­sie­ren das Was­ser in den wech­seln­den Wet­ter­stim­mun­gen (»Mor­gen am Meer (Nebel­mor­gen)«, 1909; »Schwe­re See«, um 1913). Fels- und Strand­for­ma­tio­nen in wech­seln­den Farb- und Licht­schat­tie­run­gen, gezeich­net und gemalt, bran­den­des Meer, sturm­ge­peitsch­te, gischt­sprü­hen­de Wel­len, Stei­ne, bizar­re Pflan­zen, knor­ri­ge Stäm­me – das sind jetzt kei­ne Land­schafts­bil­der mehr, son­dern sie sind sym­bo­li­scher Aus­druck des Gefühl­ten. Häu­fig ver­bin­det die Bil­der das Kom­po­si­ti­ons­prin­zip einer dia­go­nal ins Bild füh­ren­den Ufer­zo­ne, an dem vor­de­ren Bild­rand nei­gen sich Zwei­ge wie ber­gend über die Flä­che, erst durch sie hin­durch ist der Blick auf die Land­schaft mög­lich (»Ufer­land­schaft (Schil­fu­fer)«, 1900; »Steil­kü­ste auf Rügen – Herbst­li­ches Mee­res­ufer«, um 1912). Im Unter­schied zu Lei­sti­kow bevor­zug­te Hage­mei­ster den inti­men Aus­schnitt, dem die Mal­wei­se jedoch den Aus­druck des Wach­sens und Wer­dens verleiht.

Hat­te Hage­mei­ster in der Zeit der Freund­schaft mit dem zwei Jah­re älte­ren Still­le­ben-Maler Carl Schuch einer mehr dunk­len Ton­ma­le­rei gehul­digt, in der die Land­schaft ein monu­men­ta­les Bild der Stil­le bot, fei­er­lich und ruhig, mit­un­ter melan­cho­lisch, aber auch von orna­men­ta­lem Reiz, so wen­de­te er sich bald einer ele­men­ta­ren, rhyth­mi­schen, sprü­hend far­bi­gen oder licht-zar­ten Aus­drucks­wei­se zu. An die Stel­le der gemal­ten Wirk­lich­keit setz­te er all­mäh­lich die Wirk­lich­keit der Male­rei. Die Land­schaft wur­de zum rei­nen Anlass des Sehens, und das Sehen selbst wur­de jetzt gemalt, nicht mehr der Gegen­stand. Der Pin­sel genüg­te dem Maler nicht mehr, er nahm die Spach­tel, den Hand­bal­len, ja den gan­zen Ärmel, um sei­nem lei­den­schaft­li­chen Impuls Aus­druck zu ver­lei­hen. Hier bereits, vor allem dann aber in sei­nen See­stücken, in denen es um die ele­men­ta­re Gewalt des Mee­res, der stei­gen­den und stür­zen­den Wel­len geht, näher­te sich Hage­mei­ster dem Expres­sio­nis­mus an, wie über­haupt im aus­schließ­li­chen Natur­bild etwas von der unru­hi­gen Zeit­er­fah­rung auf­brach, die selbst den abge­schie­den leben­den Künst­ler erreichte.

Bis heu­te haben die Arbei­ten Karl Hage­mei­sters ihre unge­heu­re Fri­sche und Leben­dig­keit behalten.

 

Karl Hage­mei­ster. »… das Licht, das ewig wech­selt«. Land­schafts­ma­le­rei des deut­schen Impres­sio­nis­mus. Pots­dam Muse­um – Forum für Kunst und Geschich­te, Am Alten Markt 9, Di, Mi, Fr 10-17 Uhr, Do 10-19 Uhr, Sa, So 10-18 Uhr, bis 5. Juli, Kata­log 26 €