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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Eine Kleinstadt von heute

Ich gebe zu, etwas sprö­de und unspek­ta­ku­lär wirkt der neue Roman von Chri­stoph Hein, auch, weil das Beschrie­be­ne bekannt scheint. Im Unter­schied zu sei­nen letz­ten Büchern geht es dies­mal nicht um ein inter­es­san­tes Ein­zel­schick­sal, son­dern um die Drauf-sicht auf die Klein­stadt Gul­den­berg, die schon mehr­mals im Werk von Hein vor­kam. Jetzt ist Gul­den­berg reno­viert und den Ver­hält­nis­sen ange­passt. Die wöchent­li­chen Skat­run­den ste­hen fest wie die Gerich­te auf der Spei­se­kar­te. Die Amts­per­so­nen haben ihre Netz­wer­ke. Der rei­che Unter­neh­mer bekam natür­lich für den Bau sei­ner Vil­la Son­der­be­din­gun­gen. Obwohl sie nichts tut, stört da eine Grup­pe min­der­jäh­ri­ger Migran­ten, die im Alten Seg­ler­heim unter­ge­bracht wur­de, die »Ord­nung« gewal­tig. »Zigeu­ner« waren schon ein­mal in der Stadt und sind ver­schwun­den. Syrer und Afgha­nen sind in den Augen der Städ­ter nichts ande­res, und jeder – bis auf ein paar um die Jun­gen bemüh­te Frau­en – tut auf sei­ne Wei­se etwas, damit die Asy­lan­ten nicht blei­ben. Da wer­den Über­fäl­le vor­ge­täuscht, gar Brand­sät­ze gelegt, und eine unge­woll­te Schwan­ger­schaft könn­te doch mit einer Ver­ge­wal­ti­gung zu tun haben?

Das Buch besticht durch Genau­ig­keit. Hein kennt die heu­ti­ge Klein­stadt: Die Poli­zei­sta­ti­on ist in die näch­ste grö­ße­re Stadt ver­legt, Filz, Feig­heit, Heu­che­lei und Duck­mäu­se­rei domi­nie­ren. Der Autor betä­tigt sich wie­der ganz als Chro­nist: Er lässt die Prot­ago­ni­sten unter­ein­an­der selbst zu Wort kom­men, und das ist arm­se­lig und entlarvend.

Chri­stoph Hein: Gul­den­berg, Ber­lin 2021, 285 S., 23 .