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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Kritik der Migration, nicht der Migranten

In einem zwei­tä­gi­gen »Werk­statt­ge­spräch« hat die CDU unter der neu­en Vor­sit­zen­den Anne­gret Kramp-Kar­ren­bau­er über »Migra­ti­on, Sicher­heit und Inte­gra­ti­on« dis­ku­tiert. »Wir müs­sen alles dar­an­set­zen, dass sich so was wie 2015 nicht wie­der­holt«, sag­te die Par­tei­che­fin zum Abschluss der Gesprä­che. »Und wir müs­sen deut­lich machen: Wir haben unse­re Lek­ti­on gelernt.« Dank der Dis­kus­sio­nen habe man »vie­les auf den Weg gebracht. Aber wir sind noch nicht am Ende.«

Auf 15 Punk­te haben die 100 CDU-Poli­ti­ker die zwei­tä­gi­ge Dis­kus­si­on zusam­men­ge­fasst. »Wir müs­sen Huma­ni­tät und Här­te ver­ei­nen«, heißt es in einem vier­sei­ti­gen »Ergeb­nis­pa­pier« der Ver­an­stal­tung. Die von der CDU prä­sen­tier­ten migra­ti­ons­po­li­ti­schen For­de­run­gen zie­len auf leich­te­re Aus­wei­sung straf­fäl­li­ger Asyl­be­wer­ber ab, auf die Kür­zung der Bezü­ge (»deut­lich spür­ba­re Sank­tio­nen«) und mehr Wege in die Abschie­be­haft (»Rei­se­be­schrän­kun­gen«). Mit kei­nem Wort erwähnt wird, wie Migra­ti­on ent­steht, wer Men­schen zu Flücht­lin­gen macht, die nach Euro­pa drän­gen in der Hoff­nung auf Sicher­heit und ein bes­se­res Leben. Wer aber über Flucht­ur­sa­chen wie Krieg und Ver­ar­mung nicht spre­chen will, hat ganz offen­sicht­lich die Lek­ti­on nicht gelernt. Im Gegen­teil. Ein inzwi­schen bekannt­ge­wor­de­nes Zusatz­ab­kom­men zum Aache­ner Ver­trag sieht deutsch-fran­zö­si­sche Rüstungs­pro­jek­te und aus­drück­lich Waf­fen­lie­fe­run­gen an Sau­di-Ara­bi­en und ande­re Län­der vor, die seit fast vier Jah­ren Krieg im Jemen füh­ren und ver­ant­wort­lich sind für die größ­te huma­ni­tä­re Kata­stro­phe die­ser Tage.

Der Wie­ner Publi­zist Han­nes Hof­bau­er erin­nert in sei­nem Buch »Kri­tik der Migra­ti­on. Wer pro­fi­tiert und wer ver­liert« an die Hin­ter­grün­de der mas­sen­haf­ten Flucht- und Migra­ti­ons­be­we­gung der ver­gan­ge­nen Jah­re – er nennt sie »mus­li­mi­sche Mas­sen­wan­de­rung« und führt dazu auf die erste US-Inter­ven­ti­on im Irak vor 24 Jah­ren zurück­ge­hend aus: »Irak, Afgha­ni­stan, Paki­stan, Jemen, Soma­lia, Mali, Liby­en, Syri­en. Gro­ße Tei­le der mus­li­mi­schen Welt lie­gen seit 1991 unter trans­at­lan­ti­schem Feu­er. US-geführ­te Mili­tär­al­li­an­zen zogen eine dicke Blut­spur durch West­asi­en und das nörd­li­che Afri­ka. Die Fein­de der west­li­chen Demo­kra­tien tru­gen und tra­gen unter­schied­lich­ste Namen: Sad­dam Hus­sein, Al-Qai­da, Tali­ban, diver­se isla­mi­sche Mili­zen, Muammar Gad­da­fi, Baschar al-Assad. Sehr unter­schied­lich, ja gera­de­zu kon­trär sind auch die Zuord­nun­gen, die als Recht­fer­ti­gung für den Krieg medi­al ver­brei­tet wer­den. Bekämpft wur­den und wer­den einer­seits lai­zi­stisch ori­en­tier­te Auto­kra­tien wie jene von Sad­dam Hus­sein, Muammar Gad­da­fi und Baschar al-Assad, die ihrer­seits mit bru­ta­ler Här­te gegen radi­ka­le Isla­mi­sten vor­gin­gen, und ande­rer­seits radi­ka­le Isla­mi­sten wie Al-Qai­da oder die Tali­ban, deren Fein­de lai­zi­sti­sche Dik­ta­to­ren sind.« Der schein­ba­re Wider­spruch löse sich auf, so Hof­bau­er, wenn man ein grö­ße­res Gan­zes vor Augen habe. »Der west­li­chen Staa­ten­ge­mein­schaft unter Füh­rung der USA geht es seit dem Zusam­men­bruch der Sowjet­uni­on dar­um, kei­nen ande­ren Inte­gra­ti­ons­raum neben sich auf­kom­men zu las­sen, der die eige­ne Hege­mo­nie gefähr­den könn­te. (Pan)arabische Inte­gra­ti­ons­ver­su­che, gleich ob auf wirt­schaft­li­cher oder poli­ti­scher Gemein­sam­keit fußend, wer­den genau­so ins Faden­kreuz von NATO-Kampf­jets genom­men wie isla­mi­sche. Die Zer­stö­rung gan­zer Kul­tur­krei­se nimmt man dafür in Kauf, und frei­lich auch einen wei­te­ren unaus­weich­li­chen ›Neben­ef­fekt‹: gigan­ti­sche Fluchtbewegungen.«

Hof­bau­ers Buch ist ein flam­men­der Appell auch und gera­de an die Lin­ke, sich den Ursa­chen von Flucht und Migra­ti­on zuzu­wen­den statt libe­ra­le Postu­la­te zu über­neh­men. »In die­sen wird Migra­ti­on, getreu ihrer Ver­wert­bar­keit und in mul­ti­kul­tu­rel­ler Blau­äu­gig­keit, zu einem nicht hin­ter­frag­ba­ren posi­ti­ven Bekennt­nis.« Die ihr zugrun­de­lie­gen­de welt­wei­te Ungleich­heit blei­be aus­ge­blen­det bezie­hungs­wei­se wer­de dem kari­ta­ti­ven Den­ken unter­ge­ord­net. Damit, so Hof­bau­er, »ver­stellt der ein­zel­ne, von Krieg, Kri­se oder Umwelt­zer­stö­rung gezeich­ne­te Migrant den Blick auf die Funk­ti­on von Migra­ti­on«. Die­se bil­de den »Schluss­stein im Mosa­ik glo­ba­li­sti­scher Inter­ven­tio­nen, deren wirt­schaft­li­che und/​oder mili­tä­ri­sche Angrif­fe Mil­lio­nen von Men­schen ihre Lebens­grund­la­ge ent­zie­hen«. Und wei­ter: »Wer es mora­lisch und poli­tisch ver­werf­lich fin­det, dass ben­ga­li­sche Nähe­rin­nen in ein­sturz­ge­fähr­de­ten Fabri­ken zusam­men­ge­pfercht um einen Hun­ger­lohn für den Welt­markt robo­ten, kann den stän­di­gen Import von Men­schen aus dem ›glo­ba­len Süden‹ in die Zen­tral­räu­me die­ser Welt nicht posi­tiv kon­no­tie­ren. Zu sehr ähneln ein­an­der die Aus­la­ge­rung von Arbeits­plät­zen an Bil­lig­lohn­stand­or­te und die Mas­sen­ein­wan­de­rung ent­wur­zel­ter Arbeits­kräf­te in den ›glo­ba­len Nor­den‹ in ihrer Ausbeutungsstruktur.«

Hof­bau­er unter­sucht in sei­nem Buch Ursa­chen und Aus­wir­kun­gen der Migra­ti­on – in Geschich­te und Gegen­wart. Ursa­chen sind vor allem vom Kapi­tal getrie­ben. Als Bei­spiel die­nen allein die Frei­han­dels­ver­trä­ge der EU mit den Staa­ten Afri­kas. Gro­ße Kon­zer­ne kön­nen ihre Waren zoll­frei in afri­ka­ni­sche Län­der expor­tie­ren und zer­stö­ren durch Dum­ping­prei­se die dor­ti­ge hei­mi­sche Wirt­schaft. Men­schen wer­den ihrer Sub­si­stenz­grund­la­gen beraubt. Die Söh­ne und Töch­ter von Bau­ern oder Fischern, deren Über­le­bens­chan­cen der­art mini­miert wer­den, machen sich in der Fol­ge auf den Weg nach Europa.

Migran­ten sind die Opfer, stellt Hof­bau­er klar. Wer aber Migra­ti­on idea­li­sie­re, set­ze qua­si einen posi­ti­ven Schluss­punkt unter glo­bal­ka­pi­ta­li­sti­sche Ver­elen­dung und impe­ria­li­sti­sche Kriegs­po­li­tik. Dies kön­ne kei­ne lin­ke Poli­tik sein. Das Schick­sal von Migran­ten dür­fe nicht ver­wech­selt wer­den mit der Struk­tur von Migration.

Hof­bau­er will den Blick auch dafür schär­fen, was Migra­ti­on mit den­je­ni­gen macht, die ver­las­sen wer­den. Wäh­rend hier­zu­lan­de Ärz­te und Pfle­ge­per­so­nal etwa aus Län­dern Ost­eu­ro­pas arbei­ten, lie­ge das Gesund­heits­sy­stem dort am Boden. Der Migra­ti­ons­for­scher Paul Col­lier ver­wies unlängst dar­auf, dass allein in Lon­don mitt­ler­wei­le mehr suda­ne­si­sche Ärz­te arbei­ten als im gesam­ten Sudan.

Hof­bau­ers »Kri­tik der Migra­ti­on« rich­tet sich nicht gegen Migran­ten, wie ihm von Kri­ti­kern bis­wei­len vor­ge­hal­ten wird und von denen die Ver­blen­det­sten ihn gar als Ras­si­sten zu eti­ket­tie­ren ver­su­chen. Das Buch legt die sozia­le Dere­gu­lie­rungs­funk­ti­on offen, die Migra­ti­on hat, die Welt­of­fen­heit über­setzt mit Inve­sti­ti­ons­frei­heit und Gewinn­rück­füh­rungs­mög­lich­kei­ten. Anschau­lich beschreibt Hof­bau­er den struk­tu­rell zer­stö­re­ri­schen Cha­rak­ter von Wan­de­rungs­be­we­gun­gen. Sei­ne Kri­tik am Wesen der Migra­ti­on und ihren Trieb­kräf­ten ist eine wich­ti­ge Lek­ti­on, die es zu ler­nen gilt, und ein Kon­tra­punkt zu Werk­statt­ge­sprä­chen, die Migran­ten zum Pro­blem erklä­ren und nicht die­je­ni­gen, die Men­schen mil­lio­nen­fach erst dazu machen.

Han­nes Hof­bau­er: »Kri­tik der Migra­ti­on. Wer pro­fi­tiert und wer ver­liert«, Pro­me­dia Ver­lag, 272 Sei­ten, 19,90 €