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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Offenbarungen über einen politischen Vulkan

Deut­sche Bücher über den Nahen Osten haben fast aus­nahms­los dra­ma­ti­sche Titel. Peter Scholl-Latour gab 2014 sei­nem letz­ten Buch den Titel »Der Fluch der bösen Tat. Das Schei­tern des Westens im Ori­ent«. Ulrich Kienz­le benann­te sei­ne 2017 erschie­ne­ne Publi­ka­ti­on »Töd­lich Naher Osten. Eine Ori­en­tie­rung für das ori­en­ta­li­sche Cha­os«. Der inzwi­schen in Ber­lin leben­de syri­sche Autor Akt­ham Suli­man ver­öf­fent­lich­te »Krieg und Cha­os in Nah­ost. Eine ara­bi­sche Sicht« (2018). Nicht uner­wähnt sei hier die von 27 Spie­gel-Mit­ar­bei­tern 2011 publi­zier­te ober­fläch­li­che Schrift »Die neue ara­bi­sche Welt. Geschich­te und poli­ti­scher Auf­bruch«. Der Bera­ter der Bun­des­re­gie­rung Vol­ker Per­thes pro­phe­zei­te dar­in: »Eine schritt­wei­se freie­re, offe­ne­re ara­bi­sche Welt ent­steht der­zeit […]. In zwei­fa­cher Hin­sicht hat die heu­ti­ge Tür­kei für die Reform­kräf­te in der ara­bi­schen Welt sogar Modell­cha­rak­ter. Die regie­ren­de AKP unter Mini­ster­prä­si­dent Recep Tayyip Erdoğan demon­striert wie eine ursprüng­lich isla­mi­sti­sche Par­tei zu einer erfolg­rei­chen kon­ser­va­tiv-demo­kra­ti­schen Volks­par­tei wer­den kann.« (Anet­te Großbongardt/​Norbert Pötzl (Hg.): »Die neue ara­bi­sche Welt«, Deut­sche Ver­lags­an­stalt 2011, S. 268, 274)

Die Tin­te zu die­ser fata­len Fehl­ein­schät­zung war noch nicht trocken, als sich lupen­rei­ne deut­sche Demo­kra­ten auf den Weg mach­ten, um bun­des­deut­sche Erfah­run­gen in die ara­bi­schen Län­dern zu brin­gen. Huber­tus Kna­be flog im April 2011 mit Ex-Son­der­staats­an­walt Chri­stoph Schaef­gen gen Tunis. Kna­bes Adla­tus Her­bert Ziem rei­ste zu glei­cher Zeit nach Kai­ro. Sie woll­ten dort ara­bi­sche »Gauck-Behör­den« ins Leben zu rufen. Der ehe­ma­li­ge Geheim­dienst­ko­or­di­na­tor von Kanz­ler Kohl, Bernd Schmidt­bau­er (Spitz­na­me 008), setz­te sich nach Liby­en in Marsch.

Man mag über den Nahen Osten lesen, was man will: Akti­ve Poli­ti­ker üben hin­sicht­lich der Begrün­dung ihrer Ana­ly­se der Situa­ti­on an die­sem Brenn­punkt der Welt­po­li­tik vor­neh­me oder auch stra­te­gisch begrün­de­te Zurück­hal­tung. So bleibt es vor­nehm­lich Jour­na­li­sten über­las­sen, die Öffent­lich­keit über die­sen Dau­er­kri­sen­herd zu infor­mie­ren. Scholl-Latour schrieb als ein Rei­se­jour­na­list so man­chen Best­sel­ler. Kienz­le berich­te­te über sei­ne Begeg­nun­gen und Gesprä­che in elf Län­dern des Nahen Ostens. Akt­ham Suli­man beschrieb, wie aus ara­bi­scher Sicht die welt­po­li­ti­schen Ereig­nis­se in der Regi­on wahr­ge­nom­men werden.

Die über­zeu­gend­sten Ana­ly­sen der Situa­ti­on in der ara­bi­schen Welt ver­öf­fent­licht der Jour­na­list Micha­el Lüders, zugleich auch Prä­si­dent der ange­se­he­nen Deutsch-Ara­bi­schen Gesell­schaft. Sei­ne 2015 auf Deutsch ver­öf­fent­lich­te Schrift »Wer den Wind sät. Was west­li­che Poli­tik im Ori­ent anrich­tet« ist inzwi­schen in meh­re­ren ande­ren Spra­chen erschie­nen. Jüngst kam sein »Arma­ged­don im Ori­ent. Wie die Sau­di-Con­nec­tion den Iran ins Visier nimmt« auf den Markt. Arma­ged­don, die­ses erste Wort im Buch­ti­tel, mag man­chem nicht bibel­fe­sten Leser fremd erschei­nen. Der Duden bezeich­net die­sen Begriff als hebrä­isch-grie­chi­schen Ursprungs und als Syn­onym für eine poli­ti­sche Kata­stro­phe. Wer ihn in der Bibel sucht, fin­det ihn in der Offen­ba­rung des Johan­nes Kapi­tel 16, Vers 16. Das dort genann­te »Har­ma­ge­don« wird nicht sel­ten als ein Ver­samm­lungs­berg zur letz­ten Schlacht bezeich­net, im nicht­kirch­li­chen Sprach­ge­brauch wird er jedoch für Welt­un­ter­gang oder Kata­stro­phe ver­wen­det. Vor Jah­ren titel­te der Spie­gel »Wer ret­tet die Welt vor dem Finanzarmageddon?«

Lüders Buch ist fak­ten- und quel­len­reich, er argu­men­tiert über­zeu­gend und bie­tet dem Leser umfas­sen­de Infor­ma­tio­nen über histo­ri­sche Ent­wick­lun­gen. Vor allem aber benennt er die Ursa­chen des Brand­her­des im Nahen Osten. Lüders unter­sucht kennt­nis­reich und tief­schür­fend die aktu­el­le Rol­le der USA im Nahen Osten. Ver­glei­chend stellt er fest: »War die Bush-Dyna­stie immer­hin noch bemüht, ihre wirt­schaft­li­chen Akti­vi­tä­ten dis­kret zu ent­fal­ten und den Anschein zu erwecken, ihre Inter­es­sen sei­en iden­tisch mit denen der USA, hal­ten sich Trump und Kush­ner mit Förm­lich­kei­ten nicht wei­ter auf. Sie sym­bo­li­sie­ren den vul­gär-clow­nes­ken Höhe­punkt eines ent­fes­sel­ten Finanz­markt­ka­pi­ta­lis­mus, in dem Vet­tern­wirt­schaft kei­ner Mas­ke mehr bedarf. Sie ist sich selbst genü­ge: the win­ner takes it all. Es wäre ein Irr­tum, Trump für einen Betriebs­un­fall der Demo­kra­tie zu hal­ten. Viel­mehr ver­kör­pert er den Sieg der Kasi­no­öko­no­mie über die Poli­tik, ver­wan­delt er den Staat in eine Aktio­närs­ver­samm­lung, in der Geld gleich­be­deu­tend ist mit Macht. […] Und wenn die­se Logik sich fort­setzt? Die Haupt­ak­tio­nä­re nach Krieg ver­lan­gen? Gegen den Iran? Gegen Russland?«

Die­ses Buch ist ein Gewinn. Es macht das Wesen der Kata­stro­phe im Ori­ent sicht­bar und zeigt die Gefah­ren für ein welt­wei­tes Arma­ged­don auf.

Micha­el Lüders: »Arma­ged­don im Ori­ent. Wie die Sau­di-Con­nec­tion den Iran ins Visier nimmt«, C.H.Beck, 265 Sei­ten, 14,95 €