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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Kunsthandel in der DDR

Kunst und Kom­merz – was ist schlimm dar­an? Künst­ler müs­sen schließ­lich auch leben, egal in wel­chen Gesell­schafts­ver­hält­nis­sen. Dem Mit­tel­deut­schen Ver­lag Hal­le kommt nun das Ver­dienst zu, wie­der ein Stück DDR-Geschich­te an die Öffent­lich­keit gebracht zu haben. Unter dem Titel »Der Staat­li­che Kunst­han­del in der DDR – Ein Kunst­markt mit Plan?« hat er die Dis­ser­ta­ti­on der seit 2004 frei­be­ruf­li­chen Hal­len­ser Publi­zi­stin und Kura­to­rin Chri­stin Mül­ler-Wen­zel ver­öf­fent­licht. Was vom The­ma her erst ein­mal etwas despek­tier­lich anmu­tet, ent­puppt sich durch­aus als eine posi­ti­ve Auf­rech­nung. »Plan« bezieht sich in die­ser Arbeit ein­mal auf die Ver­kaufs­er­fol­ge, beson­ders auch im NSW (Nicht­so­zia­li­sti­sches Wirt­schafts­ge­biet). Da sieht die Bilanz am Ende der nicht ganz ste­ti­gen Ent­wick­lung von 1955, als der Kunst­han­del noch über die HO (Han­dels­or­ga­ni­sa­ti­on) ging, bis 1990, als er in die ihn abwickeln­de, von 1990 bis 1993 bestehen­de Art-Uni­on GmbH über­ging, glän­zend aus. Davon pro­fi­tier­ten die Künst­ler beson­ders ab 1974 mit Grün­dung des VEH Bil­den­de Kunst und Anti­qui­tä­ten. 1989 zähl­te der Ver­band Bil­den­der Künst­ler der DDR etwa 6000 Mit­glie­der. Aber es ging nicht nur dar­um, ihnen ihre Arbeit frei von finan­zi­el­len Zwän­gen zu ermög­li­chen. Der Pfer­de­fuß waren ideo­lo­gi­sche Zwän­ge, wel­che sich pau­schal mit dem Begriff »Sozia­li­sti­scher Rea­lis­mus« auf einen Nen­ner brin­gen lassen.

Es soll hier ein­mal nur von der bil­den­den Kunst die Rede sein, nicht auch von Anti­qui­tä­ten, Numis­ma­tik. Phil­ate­lie, Volks­kunst, Kunst­ge­wer­be und ande­rem, was durch die Hän­de des Staat­li­chen Kunst­han­dels ging und in der Dis­ser­ta­ti­on eben­so unter­sucht wird. Die bil­den­de Kunst hat­te einen Erzie­hungs- und Bil­dungs­auf­trag zu erfül­len, dem nicht jeder Künst­ler, aber auch nicht jeder Lei­ter einer Gale­rie bezie­hungs­wei­se Ver­kaufs­stel­le des Staat­li­chen Kunst­han­dels gerecht wer­den woll­te. Da kam es bei man­chen zumeist kennt­nis­rei­chen Akteu­ren zu Kon­flik­ten, wenn ihnen nicht der Spa­gat gelang zwi­schen ihren eige­nen, durch Qua­li­täts­maß­stä­be gepräg­ten Kunst­in­ter­es­sen und den durch das Mini­ste­ri­um für Kul­tur und den Ver­band bil­den­der Künst­ler vor­ge­ge­be­nen sowie vom Mini­ste­ri­um für Staats­si­cher­heit über­wach­ten inhalt­li­chen sowie for­ma­len Anfor­de­run­gen an die Kunst. Es kam zu äußerst bedau­er­li­chen Vor­gän­gen, wie Ent­las­sun­gen, Schlie­ßun­gen von Aus­stel­lun­gen und Ver­wei­ge­run­gen von Kata­log­tex­ten. Pro­mi­nen­tes Bei­spiel bie­tet die Gale­rie Arka­de in Ber­lin unter Lei­tung von Klaus Wer­ner (1940-2010). Die Autorin spart das nicht aus, muss aber immer wie­der fest­stel­len, dass sich Akteu­re der über das gan­ze Land ver­streu­ten Ein­rich­tun­gen trick­reich Frei­räu­me ver­schaff­ten. Zwar übten auch die Bezir­ke Kon­trol­le aus, aber der Haupt­druck lag auf den Ver­kaufs­stel­len in den gro­ßen Städ­ten. Ein zwei­ter Spa­gat war nötig, um die Ver­kaufs­plä­ne zu erfül­len. Für inno­va­ti­ve und expe­ri­men­tel­le Kunst gibt es auch heu­te nicht so vie­le Inter­es­sen­ten wie für gefäl­li­ge Wer­ke, mit denen man die häus­li­chen Wän­de schmücken kann. Es muss­ten also in den Ver­kaufs-, Auk­ti­ons- und Aus­stel­lungs­pro­gram­men Zuge­ständ­nis­se gemacht wer­den, um bei­de Lei­stun­gen akro­ba­tisch zu meistern.

Die Dis­ser­ta­ti­on beleuch­tet das The­ma Staat­li­cher Kunst­han­del von allen Sei­ten, ange­fan­gen von sei­nen Vor­läu­fer­ein­rich­tun­gen, den Ver­kaufs­ge­nos­sen­schaf­ten bil­den­der Künst­ler und den staat­li­cher­seits miss­trau­isch beäug­ten, min­de­stens 43 pri­va­ten Gale­rien über die Klei­nen Gale­rien des Kul­tur­bunds bis hin zu Schlie­ßun­gen und Pri­va­ti­sie­run­gen nach 1990. Sie lie­fert, wie man das von einem Kom­pen­di­um – so der Unter­ti­tel – erwar­tet, reich­lich sta­ti­sti­sches Mate­ri­al aus Quel­len- und Lite­ra­tur­stu­di­um. Auch Zeit­zeu­gen wur­den befragt. Zum Schluss gewinnt der Leser das Bild eines viel­fäl­ti­gen, rei­chen Kul­tur­le­bens in der DDR, das durch Aus­stel­lun­gen, Auk­tio­nen, Lesun­gen, Dis­kus­sio­nen, kunst­wis­sen­schaft­lich fun­dier­te Publi­ka­tio­nen und die Mög­lich­kei­ten kosten­gün­sti­gen Kunst­er­werbs eine brei­te Mas­sen von Men­schen erreicht hat: Schü­ler, Stu­den­ten, Werk­tä­ti­ge in den Betrie­ben, Intel­lek­tu­el­le, Künstler.

Von Anfang an waren fast all die Künst­ler dabei, die sich um den Sozia­li­sti­schen Rea­lis­mus nicht scher­ten und beson­ders in den 60er Jah­ren unter der For­ma­lis­mus-Debat­te zu lei­den hat­ten, so die alte Gene­ra­ti­on, wie Albert Wigand, Wil­ly Wolff, Her­mann Glöck­ner, Hans Jüch­ser, Albert Ebert, die mitt­le­re Gene­ra­ti­on, wie Ger­hard Alten­bourg, Carl­fried­rich Claus und Max Uhl­ig, sowie vie­le jun­ge, damals noch namen­lo­se Künst­ler, die sowie­so mach­ten, was sie woll­ten, und immer wie­der indi­vi­du­ell neue gestal­te­ri­sche und inhalt­li­che Akzen­te setz­ten. Man­cher Kunst­händ­ler und Gale­rist half sich, indem er sie in Grup­pen­prä­sen­ta­tio­nen schmug­gel­te. Jede der 42 bis 1989 ent­stan­de­nen Gale­rien der Gegen­warts­kunst des Staat­li­chen Kunst­han­dels ent­wickel­te, so geht es aus der Dis­ser­ta­ti­on her­vor, ihr indi­vi­du­el­les Pro­fil und Niveau.

Eine zwei­te Erkennt­nis aus die­sem Kom­pen­di­um soll­ten die Scharf­ma­cher aus dem west­li­chen Teil unse­rer Bun­des­re­pu­blik in ihre Köp­fe hin­ein­las­sen, näm­lich die­je­ni­gen, die schon zu Zei­ten des Kal­ten Krie­ges behaup­te­ten und nach 1990 noch ein­mal in Sie­ger­ma­nier bekräf­tig­ten, im Osten hät­te es kei­ne Kunst gege­ben. Eine zwei­te Sei­te des Staat­li­chen Kunst­han­dels mach­te näm­lich aus­ge­rech­net mit die­ser »Nicht-Kunst«, zu deren Ver­tre­tern neben Alten­bourg und Claus auch die soge­nann­ten Staats­künst­ler Wil­li Sit­te, Bern­hard Hei­sig, Wer­ner Tüb­ke und Wolf­gang Mattheu­er gehör­ten, har­te Devi­sen. Gleich­zei­tig ver­such­te die DDR damit, so Mül­ler-Wen­zel in der Ein­füh­rung, im NSW »das Bild einer frei­en und qua­li­ta­tiv hoch­ent­wickel­ten sozia­li­sti­schen Kunst zu ver­mit­teln«. Bei­des ist offen­sicht­lich zumin­dest par­ti­ell gelun­gen, was zum Bei­spiel die Ankäu­fe und Prä­sen­ta­tio­nen von in der DDR ent­stan­de­ner Kunst bewei­sen, etwa durch den Trumpf-Scho­ko­la­den­fa­bri­kan­ten Peter Lud­wig (1925-1996) in Aachen, der in den 70er, 80er Jah­ren, so ist bei Mül­ler-Wen­zel zu lesen, meh­re­re hun­dert Arbei­ten von 264 Künst­lern, dar­un­ter Alten­bourg und Uhl­ig genau­so wie etwa Hei­sig und Tüb­ke, erwor­ben hat, den Gale­ri­sten Die­ter Brus­berg (1935-2015) in Han­no­ver, spä­ter Ber­lin, die Gale­rie Döbe­le in Ravens­burg, spä­ter Stutt­gart und von 1995 bis 2019 Dres­den, und die Gale­rie Alvens­le­ben in München.

Die flei­ßig zusam­men­ge­tra­ge­nen Fak­ten bie­ten als Kom­pen­di­um eine Berei­che­rung in der Kunst­ge­schichts­schrei­bung der DDR. Aller­dings darf die an der Uni­ver­si­tät Mar­burg ent­stan­de­ne Dis­ser­ta­ti­on nicht unkri­tisch gele­sen wer­den. Davon abge­se­hen, dass geschickt satz­wei­se ver­teil­te und nicht als Zitat gekenn­zeich­ne­te wort­wört­li­che Abschrif­ten zu fin­den sind, wird auch unge­prüft auf Lite­ra­tur zuge­grif­fen, die bereits in vie­len Tei­len wider­legt ist, etwa auf das Buch von Offner/​Schroeder, »Ein­ge­grenzt – Aus­ge­grenzt. Bil­den­de Kunst und Par­tei­herr­schaft in der DDR 1961-1989«. Ande­rer­seits feh­len wirk­lich wich­ti­ge, das The­ma betref­fen­de Arbei­ten, wie die öffent­lich zugäng­li­che Dis­ser­ta­ti­on von Sabi­ne Tau­scher, »Zwi­schen Ideo­lo­gie und Kom­merz. Der Kunst­markt der DDR am Bei­spiel der Gegen­warts­kunst des Staat­li­chen Kunst­han­dels 1974-1990«.

So peni­bel auch der Anmer­kungs­ap­pa­rat ist, gibt es aus der Lamäng her­aus ein­fach fal­sche Behaup­tun­gen. Die Trumpf-Pro­duk­te waren in den 80er Jah­ren in der DDR eben nicht nur im Inter­shop erhält­lich, son­dern auch in gewöhn­li­chen Kauf­hal­len (S. 529), und wenn die Autorin unter dem Sie­gel der Wahr­heit kund­tut, dass Micha­el Morg­ner und Max Uhl­ig kei­ne Aus­rei­se­ge­neh­mi­gun­gen für den Besuch ihrer eige­nen Aus­stel­lungs­er­öff­nun­gen im Westen erhiel­ten, »weil dem Staat­li­chen Kunst­han­del damit die Mög­lich­keit gege­ben wur­de, Druck auf die Künst­ler­schaft aus­zu­üben und die­se ein­zu­schüch­tern« (S. 529), so kann ich zumin­dest für Max Uhl­ig bewei­sen, dass das schlicht­weg nicht stimmt. Der Dresd­ner Künst­ler gehör­te näm­lich zu den vie­len Berufs­kol­le­gen, die zumin­dest ab den 80er Jah­ren eine inten­si­ve Rei­se­tä­tig­keit in den »Westen« pfleg­ten. In einem mir vor­lie­gen­den Brief an Lothar Lang schreibt Uhl­ig am 17.IX.87: »Ich arbei­te für ein paar Wochen in Schles­wig-Hol­stein (bin ab 5.X. wie­der in Dres­den erreich­bar, aller­dings nur eini­ge Tage, weil ich dann in Mün­chen in einer guten Gale­rie mei­ne Male­rei­aus­stel­lung zu hän­gen habe).«