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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Verbot kurdischer Verlage gerichtlich bestätigt

In den Jah­ren 2018 und 2019 gerie­ten zwei kur­di­sche Medi­en­un­ter­neh­men in die Schlag­zei­len. Aber nicht etwa wegen ihres kul­tu­rell und poli­tisch inter­es­san­ten und anspruchs­vol­len Ver­lags­pro­gramms, ihrer Bücher und Musik­ti­tel, son­dern wegen poli­zei­li­cher Durch­su­chun­gen mit anschlie­ßen­der Beschlag­nah­me sämt­li­cher Pro­duk­te, Geschäfts­un­ter­la­gen und Vermögens­werte. Anschlie­ßend wur­den bei­de Unter­neh­men ver­bo­ten und auf­ge­löst. Es han­delt sich um die Mezo­po­ta­mi­en Ver­lags GmbH und die MIR Mul­ti­me­dia GmbH, bei­de mit Sitz in Neuss. Die Ver­bo­te ver­häng­te der dama­li­ge Bun­des­in­nen­mi­ni­ster Horst See­ho­fer (CSU) Anfang 2019 und stütz­te sich dabei auf das Ver­eins­ge­setz. Begrün­dung: Die Unter­neh­men sei­en »Teilorganisa­tionen« der Arbei­ter­par­tei Kur­di­stans PKK, die in der Bun­des­re­pu­blik seit 1993 als »Terroror­ganisation« ver­bo­ten ist.

Gegen die­se wohl ein­ma­li­gen Ver­lags­ver­bo­te haben bei­de Fir­men Kla­ge beim zustän­di­gen Bundesverwal­tungs­gericht ein­ge­reicht, die am 26. Janu­ar 2022 ver­han­delt wur­de (BVerwG 6 A 7.19). Noch am sel­ben Tag stand das Urteil fest: Das Gericht bestä­tigt das Ver­bot bei­der Fir­men und folgt damit wei­test­ge­hend der Argu­men­ta­ti­on des Bun­des­in­nen­mi­ni­ste­ri­ums (BMI). Nach den »fest­stell­ba­ren Indi­zi­en«, so das Gericht, sei­en sie »vor allem orga­nisatorisch und finan­zi­ell, aber auch per­so­nell eng mit der PKK ver­floch­ten, so dass sie (…) als deren Teil­organisationen anzu­se­hen sind«. Dem Mezo­po­ta­mi­en Ver­lag kom­me die Auf­ga­be zu, »Pro­pa­gan­da­ma­te­ri­al« zu ver­trei­ben wie etwa »PKK-nahe Bücher und Zeit­schrif­ten sowie PKK-Devo­tio­na­li­en«. Er erhal­te monat­li­che Zuschüs­se der PKK-Euro­pa­füh­rung und sei die­ser rechen­schafts­pflich­tig. Und die Mul­ti­me­dia-Fir­ma MIR, die Künst­ler ver­mit­tel­te und Ton­trä­ger ver­kauf­te, habe kur­di­sche Groß­ver­an­stal­tun­gen gespon­sert, die die PKK zur »Ver­brei­tung ihrer Ideo­lo­gien« genutzt habe. Im Übri­gen unter­stüt­ze sie die PKK mit ihren Geschäfts­ein­nah­men. Nach Über­zeu­gung des Gerichts sei der Geschäfts­füh­rer bei­der Klä­ge­rin­nen PKK-Funk­tio­när. Aller­dings basie­ren die mei­sten die­ser gericht­li­chen Schluss­fol­ge­run­gen und Ver­dik­te auf blo­ßen Indizien.

Mit ihrer Kla­ge hat­ten sich die Klä­ge­rin­nen gegen sol­che Vor­wür­fe gewehrt, ins­be­son­de­re dage­gen, Teil­or­ga­ni­sa­tio­nen ter­ro­ri­sti­scher Struk­tu­ren zu sein. Ihre Anwäl­te leg­ten dar, dass die Arbeit der Fir­men kei­nes­wegs auf Unter­stüt­zung der PKK aus­ge­rich­tet war. Sie leg­ten dar, dass das Ange­bot an Büchern und Ton­trä­gern eine sehr brei­te Palet­te von künst­le­ri­schen Aus­drucksformen und inhalt­li­chen Bei­trä­gen umfass­te. »Mit der Ver­bots­ver­fü­gung wer­den wich­ti­ge Stim­men der kur­di­schen Kul­tur in Deutsch­land mund­tot gemacht«, so Rechts­an­walt Peer Stol­le im Vor­feld des Ver­fah­rens. Nach der Urteils­ver­kün­dung sag­te Stol­le: »In der Ge­richtsver­handlung konn­ten kei­ne Bewei­se dafür vor­ge­legt wer­den, dass die bei­den Unter­neh­men Wie­sungen sei­tens der PKK erhal­ten oder ein­ge­nom­me­ne Gel­der an die­se zah­len wür­den.« Das Schal­ten von Wer­bung und das Spon­sern von Ver­an­stal­tun­gen mache eine GmbH »noch nicht zu einem Teil­ver­ein der PKK«.

Vor den Ver­lags­ver­bo­ten waren bei poli­zei­li­chen Durch­su­chun­gen Bücher, Ton­trä­ger und Fil­me, ein kom­plet­tes Ton­stu­dio, Instru­men­te und schrift­li­che Unter­la­gen beschlag­nahmt wor­den, die mehr als acht Last­wa­gen füll­ten. Der beschlag­nahm­te Waren­be­stand umfasst insge­samt »min­destens 50.000 Posi­tio­nen«, so die dama­li­ge Bundes­regierung in einer Ant­wort auf eine Anfra­ge der Links­frak­ti­on im Bun­des­tag (BT-Drs. 19/​10594). Dar­un­ter sind Klas­si­ker der Welt­literatur, Roma­ne und Gedicht­bän­de, Kin­der- und Jugend­bü­cher, Sach-, Lehr- und Wör­terbücher, Wer­ke des PKK-Mit­be­grün­ders Abdul­lah Öcalan sowie das wohl welt­weit größ­te Ar­chiv kur­di­scher Musik. Voll­kom­men lega­le Bestän­de, die bis­lang straf- und zivil­recht­lich weder bean­stan­det noch gar ver­bo­ten wor­den sind. Einen Ver­lag und einen Ver­trieb kom­plett zu ver­bieten und auf­zu­lö­sen sowie all ihre Pro­duk­te zu kon­fis­zie­ren und weg­zu­sper­ren, obwohl kein ein­zi­ges jemals bean­stan­det wur­de – das deu­tet doch eher auf einen Ver­stoß gegen das Verfas­sungsgebot der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit und müss­te daher ver­fas­sungs­wid­rig sein. Für Anwalt Peer Stol­le ist das Urteil jeden­falls »nicht halt­bar«. Des­halb hat die Klä­ger­sei­te bereits Beschwer­de vor dem Bundesverfas­sungsgericht angekündigt.

Die Beschlag­nah­me­ak­tio­nen und Ver­bo­te hat­ten vor allem in der Medi­en- und Kul­tur­sze­ne gro­ße Ver­un­si­che­rung und har­sche Kri­tik aus­ge­löst. Der Bör­sen­ver­ein des Deut­schen Buch­handels und das deut­sche PEN-Zen­trum sahen die Kunst- und Lite­ra­tur­frei­heit sowie die Mei­­nungs- und Publi­ka­ti­ons­frei­heit bedroht. Der Ver­band Deut­scher Schriftsteller:innen sprach von einem »Angriff auf die Mei­nungs­frei­heit«. Damit sei­en zwei Ver­la­ge zer­stört wor­den, »die wesent­lich zum Ver­ständ­nis von kur­di­scher Kul­tur bei­getra­gen haben«.

Aus die­sen Grün­den hat­ten drei Ver­la­ge in der Schweiz, Öster­reich und Deutsch­land mit Un­terstützung nam­hafter Herausgeber:innen eine bei­spiel­lo­se Soli­da­ri­täts­ak­ti­on gestar­tet: Zur Frank­fur­ter Buch­mes­se 2019 hat­ten sie eini­ge der beschlag­nahm­ten Bücher neu auf­ge­legt, um sie der Öffent­lich­keit wie­der zugäng­lich zu machen. Mit ihrer »Edi­ti­on Mezo­po­ta­mya« haben sie die kaum zu recht­fer­ti­gen­de pau­scha­le Beschlag­nah­me und den damit ein­her­ge­hen­den Zen­sur­akt »durch die Hin­ter­tür« wirk­sam unter­lau­fen – ein muti­ger Schritt, den der Bör­sen­ver­ein aus­drück­lich begrüß­te. Und kurz vor der Gerichts­ver­hand­lung Ende Janu­ar 2022 haben über 100 Buch­handlungen, Ver­la­ge, ande­re kul­tu­rel­le Ein­rich­tun­gen und Medi­en­schaf­fen­de eine Solidari­täts­erklärung zugun­sten der bei­den kur­di­schen Ver­lags­häu­ser abge­ge­ben. Sie wen­den sich dar­in »ge­gen poli­ti­sche Zen­sur und die Ein­schrän­kung von Publi­ka­ti­ons­frei­heit und kul­tu­rel­ler Viel­falt«. Und sie for­dern die »Auf­he­bung der Ver­bo­te sowie eine Rück­ga­be des beschlag­nahm­ten Mate­ri­als, damit die Medi­en­häu­ser ihre Arbeit wie­der auf­neh­men können«.

Dar­über hin­aus for­dern sie ein »Ende der Repres­si­on von Bun­des­re­gie­rung und tür­ki­schem Staat gegen kur­di­sche Men­schen und ihre Kul­tur«. Tat­säch­lich rei­hen sich die Ver­bo­te in eine lan­ge Serie viel­fäl­ti­ger Repres­sions­maßnahmen ein. Das vor fast 30 Jah­ren erlas­se­ne Betäti­gungsver­bot für die PKK, das sei­ner­zeit auf Drän­gen der Tür­kei erfolg­te, hat hier­zu­lan­de bereits viel Unheil gestif­tet. Trotz des Wan­dels, den die einst gewalt­ori­en­tier­te Kader­par­tei PKK in Euro­pa in Rich­tung einer fried­lich-demo­kra­ti­schen Lösung der kur­di­schen Fra­ge voll­zo­gen hat, besteht ihr Ver­bot bis heu­te fort, ist sogar 2017/​18 noch erheb­lich aus­ge­wei­tet wor­den – auf Sym­bo­le bis­lang lega­ler Grup­pen. Hier nicht an Will­fäh­rig­keit gegen­über dem auto­ri­tä­ren Er­­do­­gan-Regime der Tür­kei zu den­ken, wäre wohl welt­fremd – zumal man die­se Will­fäh­rig­keit auch als »Gegen­lei­stung« für tür­ki­sches Wohl­ver­hal­ten im Rah­men des EU-»Flüchtlingsdeals« verste­hen kann.

Gegen die PKK gehen die deut­schen Sicher­heits­be­hör­den immer wie­der »mit gro­ßem perso­nellen und sach­li­chen Auf­wand« vor, so das BMI. Die Ver­bots­be­hör­den des Bun­des und der Län­der haben seit 1993 mehr als 50 Or­ganisationen ver­bo­ten, die der PKK zuge­rech­net wur­den. Der Gene­ral­bun­des­an­walt führ­te etwa 200 Ermitt­lungsverfahren mit die­sem Bezug, die in weit über 70 Urtei­len mün­de­ten, mit denen etwa 100 Ange­klag­te ver­ur­teilt wur­den. Und die Straf­verfolgungsbehörden der Län­der haben seit 2004, so das BMI, »in einer sehr hohen vier­stel­li­gen Zahl straf­recht­li­che Ermitt­lungs­ver­fah­ren mit PKK-Bezug ein­ge­lei­tet« (PM 12.02.2019).

Die offi­zi­el­le Begrün­dung für die­se Maß­nah­men lau­tet: Die kur­di­sche PKK, die sich in der Tür­kei gegen die Unter­drückung der größ­ten eth­ni­schen Min­der­heit auch mili­tant zur Wehr setzt, nut­ze Deutsch­land »als Raum des Rück­zugs, der Refi­nan­zie­rung und Rekru­tie­rung«. Abertau­sende poli­tisch akti­ver Kurd:innen sind des­halb hier­zu­lan­de – u.a. in Ter­ro­ris­mus­ver­fah­ren nach §§ 129a, b Straf­ge­setz­buch – kriminali­siert, ange­klagt oder abge­ur­teilt wor­den – oft genug we­gen rein ver­ba­ler oder symbo­lischer »Ta­ten« und zum Teil auch auf Grund­la­ge von erfol­ter­ten „Bewei­sen“ aus der Tür­kei. Kur­den und Kur­din­nen wur­den so prak­tisch unter Gene­ral­ver­dacht gestellt, zu gefähr­li­chen »Ter­ro­ri­sten« und poten­ti­el­len Gewalt­tä­tern gestem­pelt und als »Sicher­heitsrisiken« und »Gefähr­der« viel­fach ausgegrenzt.

Durch das euro­pa­weit ein­ma­li­ge Ver­bot der PKK und ihre Auf­nah­me in die EU-Ter­ror­li­ste wer­den nach wie vor die Grund­rech­te der Ver­ei­ni­gungs- und Ver­samm­lungs­frei­heit, der Mei­­nungs- und Pres­se­frei­heit und damit die freie poli­ti­sche Betä­ti­gung von Kur­den mas­siv be­schränkt. Demon­stra­ti­ons­ver­bo­te und Raz­zi­en, Durch­su­chun­gen von Pri­vat­woh­nun­gen, Verei­nen, Drucke­rei­en, Redak­tio­nen und Ver­la­gen, Beschlag­nah­men und Inhaf­tie­run­gen waren und sind immer wie­der an der Tages­ord­nung, genau­so wie geheim­dienst­li­che Aus­for­schung und Infil­tra­ti­on durch Staats- und Ver­fas­sungs­schutz. Auf Grund­la­ge des PKK-Ver­bots wur­den im Übri­gen auch Geld- und Frei­heitsstrafen ver­hängt, Ein­bür­ge­run­gen abge­lehnt, Staatsbürger­schaften aberkannt, Auf­ent­halts­er­laub­nis­se nicht ver­län­gert, Asyl­an­er­ken­nun­gen wider­ru­fen oder Aus­wei­sun­gen verfügt.

Wie kri­tisch auch immer man zur PKK, ihrer Geschich­te, Poli­tik und ihren Aktio­nen ste­hen mag: Mit sol­chen Repres­sio­nen und Ver­bo­ten wer­den jeden­falls kei­ne Pro­ble­me gelöst, son­dern wei­te­re pro­du­ziert. Längst ist das PKK-Ver­bot zum kon­tra­pro­duk­ti­ven, kri­mi­na­li­sie­ren­den und diskri­minierenden Ana­chro­nis­mus gewor­den und gehört schon des­halb und auch nach Auffas­sung nam­haf­ter Bür­ger- und Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen schleu­nigst aufgehoben.

Rolf Gös­s­ner gehört zu jenen Medi­en- und Kul­tur­schaf­fen­den, die Anfang 2022 in einer Solidari­tätserklärung die Auf­he­bung des Ver­bots der kur­di­schen Medi­en­häu­ser gefor­dert haben. Und er ge­hört, wie u.a. auch Ulla Jelp­ke und Nor­man Paech, zum Kreis jener Herausgeber:innen, die 2019 die Beschlag­nah­me der Bücher des ver­bo­te­nen Mezo­po­ta­mi­en Ver­lags mit ihrer Unter­stützung einer Neu­edi­ti­on ein­zel­ner Titel unter­lau­fen haben, um die­se der Öffent­lich­keit wie­der zugäng­lich zu machen (https://www.isbn.de/reihe/Edition+Mezopotamya).