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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Operation Reichstagsbrand

Vor 90 Jah­ren, am 27. Febru­ar 1933, brann­te das deut­sche Par­la­ments­haus. Der Ple­nar­saal des Reichs­ta­ges wur­de völ­lig zer­stört, die Sei­ten­flü­gel wie­sen nur klei­ne­re Schä­den auf. Ver­haf­tet wur­de an Ort und Stel­le ein Hol­län­der, der mit vier Päck­chen Koh­len­an­zün­der der Mar­ke »Feu­er­fee« han­tiert hat­te, einem damals geläu­fi­gen Haus­halts­ar­ti­kel. Die Quit­tung trug er angeb­lich noch bei sich.

Über die Fra­ge, ob er allein und ohne Hel­fer die­ses Groß­feu­er ent­fach­te, wird seit 63 Jah­ren in der Bun­des­re­pu­blik erbit­tert gestrit­ten. »Ist es nicht voll­kom­men egal«, so fragt der Autor Uwe Souk­up in sei­nem jüngst erschie­ne­nen Buch rhe­to­risch, »wer den Reichs­tag ange­zün­det hat? Wel­che Rol­le spielt die­se eine Sach­be­schä­di­gung ange­sichts des mil­lio­nen­fa­chen Juden­mor­des und der unvor­stell­ba­ren Gewalt­ak­te deut­scher Trup­pen wäh­rend des Zwei­ten Welt­krie­ges?« Das ist kei­nes­wegs egal, ant­wor­tet Souk­up, die Sache hat Gewicht. Denn es han­delt sich um den initia­to­ri­schen Akt zwölf­jäh­ri­gen Ter­rors, eines ras­si­sti­schen Geno­zids und eines Ver­nich­tungs­krie­ges gegen die Sowjet­uni­on. Er will in das Dickicht der vie­len Details, der unbe­wie­se­nen und der schein­bar bewie­se­nen Behaup­tun­gen »eini­ge Schnei­sen schla­gen«, und das ist ihm gelungen.

Mit gebo­te­ner Vor­sicht gebe ich den wahr­schein­li­chen Ver­lauf des frag­li­chen Abends hier zum Besten. Der arbeits­lo­se, seh­be­hin­der­te Akti­vist Mari­nus van der Lub­be aus Lei­den war nach mei­ner Erkennt­nis auf Ein­la­dung von »Freun­den« aus einer fak­tisch unter­wan­der­ten anar­chi­sti­schen Grup­pe nach Ber­lin gekom­men. Er wur­de hier von Lock­spit­zeln geschickt über­re­det (z. B. »du sollst ein Fanal erzeu­gen«). Er ließ sich dar­auf ein, er wur­de instru­iert und dann von SA-Leu­ten durch einen Sei­ten­ein­gang in den Reichs­tag geschleust. Dort war der Ple­nar­saal bereits mit selbst­ent­zünd­li­cher Flüs­sig­keit und Brand­be­schleu­ni­gern prä­pa­riert. Lub­be selbst hat­te noch etwas Zeit, eini­ge klei­ne Kokel­brän­de zu erzeu­gen, bevor im Ple­nar­saal explo­si­ons­ar­tig ein Flam­men­meer aus­brach. Gleich dar­auf wur­de er vom Wacht­mei­ster Poe­schel in einem Sei­ten­gang ver­haf­tet. Zur glei­chen Zeit begeg­ne­ten dem über­rasch­ten Feu­er­wehr­mann Polchow auf einer Kel­ler­trep­pe meh­re­re Uni­for­mier­te mit gezück­ten Pisto­len in nagel­neu­en Poli­zei­uni­for­men, die ihn, »zurück oder wir schie­ßen« rufend, zum Rück­zug nötig­ten. Die­se myste­riö­sen Uni­form­trä­ger waren nicht die ein­zi­gen rät­sel­haf­ten Erschei­nun­gen. Die haupt­säch­li­chen Brand­stif­ter ent­ka­men unbe­hel­ligt, wahr­schein­lich durch das Nordportal.

Die Feu­er­wehr­leu­te vor Ort und die spä­te­ren Brand­ex­per­ten gin­gen aus­nahms­los von meh­re­ren Tätern aus. Das tat auch der Reichs­tags­prä­si­dent Göring und mit ihm die Nazi­füh­rung, die sofort auf kom­mu­ni­sti­sche Hin­ter­män­ner ver­wies. Fünf Mona­te spä­ter erschien in Paris das Braun­buch über Reichs­tags­brand und Hit­ler­ter­ror (in 17 Spra­chen über­setzt) mit dem Anspruch, die Schuld­fra­ge zu klä­ren. »Dem Mot­to fol­gend, wonach Angriff die beste Ver­tei­di­gung ist, dreh­te (der Her­aus­ge­ber Wil­li Mün­zen­berg) den Spieß um und beschul­dig­te die Nazis in einer für sei­ne inter­na­tio­na­le Leser­schaft plau­si­blen Wei­se der Reichs­tags­brand­stif­tung«, schreibt Souk­up. Die betei­lig­ten Autoren, sämt­lich anonym, arbei­te­ten damals mit unzu­rei­chen­den Bele­gen, vie­len Ver­mu­tun­gen und Gerüch­ten vom Hören­sa­gen, teils auch mit gut recher­chier­ten Fak­ten. Sie ziel­ten ins Blaue hin­ein, aber tra­fen ins Schwar­ze, indem sie ein Nazi­kom­plott feststellten.

Genau dies woll­te das Ham­bur­ger Nach­rich­ten­ma­ga­zin Spie­gel 1959 wider­le­gen. Die Allein­tä­ter-Legen­de erblick­te das Licht der Öffent­lich­keit, mit Lang­zeit­wir­kung. Autor war im wesent­li­chen Fritz Tobi­as, ein Beam­ter des west­deut­schen Inlands­ge­heim­dien­stes. Als ein Fazit sei­ner Arbeit bezeich­ne­te er die Erkennt­nis (eine »gera­de­zu ver­rückt zu nen­nen­de The­se«, so Souk­up), dass Hit­ler sich erst durch den uner­war­te­ten Brand­an­schlag radi­ka­li­sier­te und vor Schrecken zum Dik­ta­tor wur­de. Inter­es­sant an Tobi­as sind nicht so sehr sein zelo­ti­scher Cha­rak­ter und sei­ne effek­ti­ven Metho­den, inter­es­sant ist sein Motiv. Und dazu gibt Sou­kups Buch Aus­kunft. Tobi­as hin­ter­ließ im Nach­lass Papie­re, die »der Mann lie­ber ver­brannt hät­te«, weil sie ihn ver­ra­ten. Es war nicht die Lie­be zur Wis­sen­schaft, die ihn antrieb.

Ende 1951 arbei­te­te Tobi­as noch als Refe­rent der Nach­rich­ten­po­li­zei, einer für poli­ti­sche Straf­ta­ten zustän­di­gen Abtei­lung im nie­der­säch­si­schen Innen­mi­ni­ste­ri­um. Hier muss­te er sich auch »um heik­le per­so­nel­le Auf­trä­ge« küm­mern. Zum Bei­spiel bei Pres­se­po­le­mi­ken von kom­mu­ni­sti­scher oder nicht­kom­mu­ni­sti­scher Sei­te gegen NS-bela­ste­te Beam­te im öffent­li­chen Dienst, zumal in der Kri­mi­nal­po­li­zei. Er mein­te hier­bei zu erken­nen, mit welch gewis­sen­lo­sen Fäl­schun­gen die feind­li­che Pro­pa­gan­da vor­geht. Und dies bereits seit dem kom­mu­ni­stisch inspi­rier­ten Braun­buch von 1933. Wenn es gelin­gen könn­te, des­sen Haupt­the­se zu wider­le­gen, dann – so der Ama­teur­hi­sto­ri­ker Tobi­as wört­lich – wäre »die­se geschicht­li­che Kor­rek­tur imstan­de, end­lich die eben­so unge­recht­fer­tig­te wie uner­schöpf­li­che Quel­le der Kom­mu­ni­sten zu ver­stop­fen, die sie skru­pel­los bis auf den heu­ti­gen Tag für ihre stän­di­gen, dem­ago­gisch kei­nes­wegs unwirk­sa­men het­ze­ri­schen Angrif­fe gegen die Bun­des­re­pu­blik, ihre lei­ten­den Per­sön­lich­kei­ten in der Regie­rung, in der Poli­zei, aber auch in der SPD und den Gewerk­schaf­ten benutzt haben«. So for­mu­lier­te er im März 1963 in einem Bericht an sei­ne Vor­ge­setz­ten, damit sie sei­ne zeit­auf­wen­di­ge Arbeit und deren »poli­ti­sche Bedeu­tung für den heu­ti­gen Abwehr­kampf gegen die aus dem Osten her­an­drän­gen­de Pro­pa­gan­da­flut« verstünden.

Hin­ter­grund die­ser neun­sei­ti­gen Stel­lung­nah­me war eine Dienst­auf­sichts­be­schwer­de von­sei­ten eines Gegen­spie­lers mit dem Vor­wurf, Tobi­as hät­te sei­ne Posi­ti­on im Ver­fas­sungs­schutz miss­braucht. Der begrün­de­te Ver­dacht lau­te­te, dass Tobi­as unter ande­rem zu pri­va­ten Zwecken Aus­künf­te aus dem Ber­lin Docu­ment Cen­ter (dort lager­te die zen­tra­le Mit­glie­der­kar­tei der NSDAP) ein­ge­holt habe. Tobi­as führ­te aus, dass sei­ne Recher­che­ar­beit in der 50er Jah­ren mit Wis­sen und Bil­li­gung von höch­ster Stel­le, auch von Mini­ster­prä­si­dent Kopf, geschah. »Kei­ner der Her­ren hat jemals den Ver­wen­dungs­zweck der benö­tig­ten Unter­la­gen und Doku­men­te in irgend­ei­ner Form begrenzt.« Zugun­sten sei­ner Allein­tä­ter-For­schun­gen hat­ten ihn die Her­ren sogar arbeits­mä­ßig ent­la­stet. Histo­rio­gra­phie als Geheimdienstaufgabe!

Hier muss man kurz Luft holen und Souk­up zitie­ren: »Offen­bar ist die Ein­zel­tä­ter­the­se ent­stan­den, um (der DDR-Pro­pa­gan­da) etwas ent­ge­gen­zu­set­zen. Weil die Bun­des­re­pu­blik sich in der Nach­kriegs­zeit mas­si­ven Vor­wür­fen von links aus­ge­setzt sah, in Poli­tik und Ver­wal­tung ehe­ma­li­ge Natio­nal­so­zia­li­sten zu beschäf­ti­gen.« Tobi­as ging in sei­nem Über­ei­fer so weit, kon­ser­va­ti­ve wis­sen­schaft­li­che Kri­ti­ker sei­ner Sicht mit Herr­schafts­wis­sen zu erpres­sen. Das muss­te der Lei­ter des Münch­ner Insti­tuts für Zeit­ge­schich­te erfah­ren, der sei­ne zwei­jäh­ri­ge Mit­glied­schaft in der NSDAP ungern publik wer­den las­sen woll­te. Der Histo­ri­ker Ben­ja­min Hett besuch­te 2008 den hoch­be­tag­ten Tobi­as in sei­nem Arbeits­zim­mer und frag­te ihn ein­lei­tend: War­um die gan­ze Auf­re­gung? Die Ant­wort war knapp, aber deut­lich: »Sie den­ken, die Kom­mu­ni­sten sind weg? Ihr Staat ist weg, sie nicht.«

Letz­ter Anstoß für Souk­up, ein neu­es Buch über den Reichs­tags­brand zu schrei­ben, war die Publi­ka­ti­on des bri­ti­schen For­schers Richard Evans über Das Drit­te Reich und sei­ne Ver­schwö­rungs­theo­rien vor zwei Jah­ren. Es war ein Bei­spiel dafür, dass selbst erfah­re­ne Histo­ri­ker die Argu­men­te der Tobi­as-Jün­ger unge­prüft nach­plap­pern, als wären es gesi­cher­te Erkenntnisse.

Uwe Souk­up hat ein über­sicht­lich geglie­der­tes und gut les­ba­res Buch ver­fasst, bei dem ich als Rezen­sent nur an einer Stel­le nör­geln wür­de: Für eine tri­via­le Erkennt­nis Hein­rich A. Wink­ler, den Hof­hi­sto­ri­ker der SPD, zu zitie­ren, war über­flüs­sig (S. 131). Dem sorg­fäl­ti­gen Leser könn­te der Anmer­kungs­teil recht dünn erschei­nen. Doch das ist Absicht – Souk­up beher­zig­te näm­lich den Rat sei­nes Mei­sters Seba­sti­an Haff­ner: Ein brei­ten­wirk­sa­mes Buch muss so hand­lich sein, dass man es abends im Bett lesen kann.

Uwe Souk­up: Die Brand­stif­tung. Mythos Reichs­tags­brand – was in der Nacht geschah, in der die Demo­kra­tie unter­ging, Wil­helm Hey­ne Ver­lag, Mün­chen 2023, 208 S., 22 €.