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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Rechts und feindselig

In unru­hi­gen, unsi­che­ren, unüber­sicht­li­chen Zeit­läuf­ten wie den gegen­wär­ti­gen, in denen sich »uto­pi­sche Ener­gien erschöpft« haben – wie Jür­gen Haber­mas schon 1985 schrieb –, öff­nen sich Räu­me für »regres­si­ve poli­ti­sche Ener­gien«, und »rech­te Bedro­hungs­al­li­an­zen« bil­den sich her­aus. Der renom­mier­te Sozi­al­wis­sen­schaft­ler Wil­helm Heit­mey­er, ehe­ma­li­ger Direk­tor des Insti­tuts für inter­dis­zi­pli­nä­re Kon­flikt- und Gewalt­for­schung der Uni­ver­si­tät Bie­le­feld, hat die­se Pro­ble­ma­tik zusam­men mit den Wis­sen­schaft­lern Manue­la Frei­heit und Peter Sitzer unter­sucht und die Stu­die im Okto­ber 2020 als Teil II sei­ner 2018 begon­ne­nen Rei­he »Signa­tu­ren der Bedro­hung« veröffentlicht.

Heit­mey­er hat schon vor rund zehn Jah­ren das theo­re­ti­sche Modell eines »kon­zen­tri­schen Eska­la­ti­ons­kon­ti­nu­ums« prä­sen­tiert und in einer Lang­zeit­stu­die beglei­tet. Ganz außen ste­hen in die­sem Modell men­schen­feind­li­che Ein­stel­lun­gen in der Bevöl­ke­rung, in sei­nem Zen­trum ter­ro­ri­sti­sche Zel­len, dazwi­schen orga­ni­sier­te Akteu­re des auto­ri­tä­ren Natio­nal­ra­di­ka­lis­mus, »Vor­den­ker«, system­feind­li­che Milieus und Unter­stüt­zer­netz­wer­ke. »Die Gren­zen zwi­schen dem rech­ten und dem demo­kra­tisch-kon­ser­va­ti­ven Seg­ment des Par­tei­en­spek­trums wer­den durch­läs­sig. Die Gewalt­be­reit­schaft nimmt von außen nach innen zu, die jeweils äuße­re Schicht lie­fert ihrer inne­ren Nach­ba­rin Legitimation.«

Als Ursa­che dia­gno­sti­zie­ren die For­scher »öko­no­mi­sche und sozi­al-kul­tu­rel­le Ver­wer­fun­gen«. »Kapi­ta­li­sti­sche Land­nah­men, sozia­le Des­in­te­gra­ti­on und Demo­kra­tie­ent­lee­rung« lie­ßen das Ver­trau­en in das demo­kra­ti­sche System schwin­den, eine Aus­dif­fe­ren­zie­rung, Intel­lek­tua­li­sie­rung und Dyna­mi­sie­rung des rech­ten poli­ti­schen Spek­trums sei­en zu beobachten.

Die Stu­die wur­de Mit­te ver­gan­ge­nen Jah­res abge­schlos­sen. Die Ana­ly­se der seit­he­ri­gen, von der Coro­na-Pan­de­mie maß­geb­lich beein­fluss­ten Ent­wick­lung dürf­te dem­nach The­ma eines Fol­ge­ban­des sein. Die Autoren ver­wei­sen jedoch auf den Unter­schied zwi­schen der augen­blick­li­chen Kri­se und den letz­ten gro­ßen Erup­tio­nen: 9/​11 in 2001, Hartz IV ab 2005, die Ban­ken- und Finanz­kri­se 2008/​2009, die soge­nann­te Flücht­lings­kri­se 2015. Die frü­he­ren Kri­sen wären mit einer zeit­li­chen Staf­fe­lung ein­ge­tre­ten und hät­ten unter­schied­li­che Grup­pen der Bevöl­ke­rung mit unter­schied­li­chen Risi­ken und Kon­troll­ver­lu­sten getrof­fen. Vor allem aber hät­ten sie sich »im Rah­men sta­bi­ler öko­no­mi­scher Zustän­de« als »Kri­sen in Teil­sy­ste­men« ereig­net. Zu ihrer Bewäl­ti­gung hät­ten die not­wen­di­gen Instru­men­te zur Ver­fü­gung gestan­den. Coro­na jedoch habe die »Logik der Beherrsch­bar­keit von Kri­sen in hoch dif­fe­ren­zier­ten Gesell­schaf­ten« zertrümmert.

Lei­ten­de The­se der Stu­die ist, dass es im rech­ten poli­ti­schen Spek­trum in den letz­ten Jah­ren zu einer Bün­de­lung der Kräf­te in den Bewe­gun­gen, Par­tei­en und Netz­wer­ken gekom­men ist, damit ein­her­ge­hend zu einer »bis­lang unge­kann­ten Dyna­mi­sie­rung von Bedro­hun­gen für die offe­ne Gesell­schaft und die libe­ra­le Demo­kra­tie«, bis hin zu töd­li­cher ter­ro­ri­sti­scher Gewalt: dem Mord an dem Kas­se­ler Regie­rungs­prä­si­den­ten Wal­ter Lübcke im Juni 2019; dem Anschlag auf die Syn­ago­ge und die bei­den Mor­de im Okto­ber 2019 in Hal­le; dem Anschlag in Hanau im Febru­ar 2020, bei dem neun Bür­ger mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund getö­tet wurden.

Die Wis­sen­schaft­ler ana­ly­sie­ren in den ein­zel­nen Kapi­teln der Stu­die an kon­kre­ten Bei­spie­len und Vor­komm­nis­sen die Bedro­hungs- und Zer­stö­rungs­ak­ti­vi­tä­ten rech­ter Grup­pen und Indi­vi­du­al­tä­ter. Die rech­ten Alli­an­zen ver­ei­ne das Bestre­ben, »eine auto­ri­tä­re Ent­wick­lung bis zu einer geschlos­se­nen Gesell­schaft und einer illi­be­ra­len Demo­kra­tie herbeizuführen«.

Ihre feind­li­chen Ein­stel­lun­gen vor allem gegen Asyl­be­wer­ber, Sin­ti und Roma, Behin­der­te, Lang­zeit­ar­beits­lo­se und Obdach­lo­se hät­ten einen gemein­sa­men Kern: die Ideo­lo­gie der Ungleich­wer­tig­keit, gerich­tet gegen eth­nisch-kul­tu­rell oder reli­gi­ös »Frem­de«, aber auch gegen »Glei­che«, die als »norm­ab­wei­chend« defi­niert wer­den. Treib­mit­tel sei­en Frem­den­feind­lich­keit, Ras­sis­mus, Islam­feind­lich­keit, Anti­se­mi­tis­mus, Homo­pho­bie und Sexismus.

Abschlie­ßend wer­fen die Ver­fas­ser der Stu­die einen kur­zen Blick auf das »ein­ge­dun­kel­te Euro­pa«, auf jene Staa­ten, in denen der auto­ri­tä­re Natio­nal­ra­di­ka­lis­mus auf dem Vor­marsch ist. In einem Post­skrip­tum gehen sie auf die Coro­na-Pan­de­mie und die neu auf­ge­kom­me­nen Ver­schwö­rungs­ideo­lo­gien und Radi­ka­li­sie­rungs­kon­stel­la­tio­nen ein, denen vor allem eine »indi­vi­dua­li­sier­te Melan­ge von Men­schen mit unter­schied­li­chen Anlie­gen und ohne eige­nes Grup­pen­be­wusst­sein« zunei­ge. Ihnen gesell­ten sich aber im rea­len Raum, bei Demon­stra­tio­nen also, und in den vir­tu­el­len Räu­men der Inter­net-Medi­en »Akteu­re zu, die durch­aus über ein dezi­dier­tes ideo­lo­gi­sches Grup­pen­be­wusst­sein, eine kla­re Agen­da sowie über erprob­te Mobi­li­sie­rungs­kon­zep­te und Fake-News-Stra­te­gien« verfügten.

Es gibt Bücher, die kom­men zur rech­ten Zeit.

Heitmeyer/​Freiheit/​Sitzer: Rech­te Bedro­hungs­al­li­an­zen, edi­ti­on suhr­kamp, Band 2748, 326 Sei­ten, 18 . – Der ein­gangs erwähn­te Text von Jür­gen Haber­mas ist online ver­füg­bar: www.merkur-zeitschrift.de/autoren/die-neue-unuebersichtlichkeit