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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Satirische Jahresvorschau: Einfach verschieben

Wie bekom­men wir ein Pro­blem vom Tisch? Indem wir es ver­schie­ben, am besten so, dass es hin­ten run­ter­fällt. Das haben die Poli­ti­ker im letz­ten Jahr schon eif­rig geübt. Und was pas­siert mit einem so ent­sorg­ten Pro­blem? Das dür­fen die nach uns ent­schei­den, nicht wir! Damit ist das Pro­blem für uns gelöst. Und genau­so wird es 2020 weitergehen:

Ende Janu­ar ver­lässt Groß­bri­tan­ni­en mit Türen­knal­len und allem Drum und Dran eines Rosen­kriegs die EU. Die not­wen­di­gen Ver­hand­lun­gen über die Han­dels- und Wirt­schafts­be­zie­hun­gen, die Finan­zen und den Rei­se­ver­kehr wer­den sich hin­zie­hen. Die Pro­ble­me des Lan­des wer­den dadurch nicht gelöst, die der EU auch nicht, aber sie sind vom Tisch!

Im Febru­ar wird Kar­ne­val die Mas­sen bewe­gen, und garan­tiert wer­den auf den Rosen­mon­tags­zü­gen auch Schil­der: »Rosen­mon­tag for Future« erschei­nen – oder der deut­sche Humor hät­te sich sehr ver­scho­ben. Das Kli­ma­pro­blem lässt sich mit ein paar Schil­dern aber nicht vom Tisch wedeln. Scha­de! Aber letzt­lich betrifft es eh die Zukunft. Also doch erst ein­mal vom Tisch.

Im März wird die letz­te Fol­ge der Serie »Lin­den­stra­ße« aus­ge­strahlt. Die Pro­gramm­kon­fe­renz der ARD begründete den Ent­schluss mit Sparzwängen. Die Been­di­gung des »Tat­orts« aus Spar­zwän­gen wur­de noch verschoben.

Die tür­ki­sche Armee mar­schiert in Liby­en ein, um dem einen Statt­hal­ter gegen den ande­ren bei­zu­ste­hen. Weil es in Nord­sy­ri­en so schön geklappt hat. Und weil die NATO in Liby­en seit der Ermor­dung Gad­da­fis 2011 kei­ne Sta­bi­li­tät erzwin­gen konn­te. Irgend­wie hat sich das immer wie­der verschoben …

Mei­ster im Ver­schie­ben sind die Mikro­ne­si­er. Ursprüng­lich soll­te das Unab­hän­gig­keits­re­fe­ren­dum für den Bun­des­staat Chu­uk der Föde­rier­ten Staa­ten von Mikro­ne­si­en am 5. März 2015 statt­fin­den. Jetzt soll es März 2020 wer­den – wenn es nicht wie­der ver­scho­ben wird. Noch ein Staat mehr oder nicht, das wird kaum auf­fal­len. Euro­pa soll­te sich aber mit guten Rat­schlä­gen zurück­hal­ten: Kroa­ti­en, Slo­we­ni­en, das Koso­vo, Nord-Maze­do­ni­en las­sen grü­ßen. Solan­ge dar­über kein Krieg in Mikro­ne­si­en ausbricht …

Apro­pos Krieg: Im April star­tet das groß­an­ge­leg­te Manö­ver »Defen­der 2020«. 20.000 US-Sol­da­ten mit schwe­rem Gerät wer­den von den USA über den Atlan­tik und quer durch Euro­pa an Russ­lands Gren­ze gefah­ren. Damit wird zwar die­se Gren­ze noch nicht ver­scho­ben, aber das ist nur ver­scho­ben, nicht aufgehoben!

Im Mai sol­len die Ober­am­mer­gau­er Fest­spie­le begin­nen. Wenn sie nicht ver­scho­ben wer­den, weil die AfD dage­gen pro­te­stiert, dass ein Tür­ke mit­spielt. Aller­dings spielt er den Judas, so dass es viel­leicht noch durch­geht vor den völ­ki­schen Bewahrern.

Im Juni beschließt das ZDF, sei­ne Sati­re­sen­dun­gen »heu­te-show« und »Die Anstalt« auf einen Sen­de­be­ginn nach 23 Uhr zu ver­schie­ben. Dann sei­en nur noch die Zuschau­er wach, die Sati­re ver­ste­hen und kei­ne Belei­di­gung aller Omas wit­tern, wenn eine im Lied als Umwelt­sau im Hüh­ner­stall Motor­rad fährt. Die Reak­ti­on des WDR-Inten­dan­ten auf die Sen­dung eines sol­chen Lie­des mach­te näm­lich Schu­le in allen Sen­dern. Oli­ver Wel­ke meint, er sei froh, über­haupt noch sen­den zu dür­fen, und wer­de in sei­ner Sen­dung kei­nes­falls mehr irgend­wel­che Omas auch nur erwähnen.

Zum Jah­res­tag des Sturms auf die Bastil­le am 14. Juli stür­men die Gel­ben Westen den Ély­sée-Palast und schie­ben Macron vom Bal­kon. Der flüch­tet nach Lon­don, das ihn nach Hong­kong abschiebt, von dort kann nie­mand aus­ge­lie­fert wer­den, weil die Regen­schir­me das ver­hin­dert haben. Dafür wird Juli­an Assan­ge in die USA aus­ge­lie­fert, wo Trump mit des­sen Hin­rich­tung den Wahl­sieg fei­ern will.

Die Olym­pia­de in Tokio wird natür­lich nicht ver­scho­ben! Die Sport­ler strah­len, noch mehr strah­len die Dosi­me­ter, Fuku­shi­ma lässt grüßen!

Im Sep­tem­ber fei­ert Prä­si­dent Trump die 100. Sank­ti­on, die er in sei­ner Amts­zeit ver­hängt. Zufäl­lig bricht genau an dem Tag die schwe­len­de Finanz­kri­se aus: Tes­la hat sich mit der Fabrik in Grün­hei­de über­nom­men und geht plei­te. Wei­te­re Unter­neh­men fol­gen, nur die Fonds­ge­sell­schaft Black­Rock bleibt übrig.

Die Kri­se ver­schiebt auch den Eröff­nungs­ter­min des BER auf unbe­kann­te Zeit.

Bei den Prä­si­dent­schafts­wah­len in den USA im Novem­ber gewinnt der Kan­di­dat von Black­Rock, das ist selbst­ver­ständ­lich nicht Ber­nie San­ders. In Deutsch­land macht sich Fried­rich Merz zum Kanz­ler­kan­di­da­ten der Uni­on. Die Umfra­ge­wer­te der CDU stei­gen, die SPD ist bei vier Pro­zent ange­langt und wird wohl im näch­sten Bun­des­tag nicht mehr ver­tre­ten sein. Die AfD trimmt sich auf regie­rungs­fit und schiebt ihre Flü­gel bei­sei­te, Bernd Höcke bekommt ein Magen­ge­schwür vom Krei­de­fres­sen und ist aus dem Spiel.

Die Kli­ma­kon­fe­renz in Glas­gow ver­schiebt den Kli­ma­wan­del, indem sie beschließt, sich auf das näch­ste Jahr zu ver­ta­gen. Und schon ist 2020 vorüber.