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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Schwerter zu Pflugscharen

Das war der Hil­fe­schrei eines Man­nes. Er hat­te selbst mit­er­lebt, wie die Schwer­ter die Herr­schaft über­nah­men und Tod und Elend über die Men­schen und Ver­wü­stung über das frucht­ba­re Land brach­ten. Sogar die hei­li­gen Stät­ten, die er lieb­te, wur­den zer­stört. Kann das, so frag­te er sich, der Wil­le Got­tes sein, auch die Unschul­di­gen so ins Ver­der­ben zu stür­zen. Er, der Schrift­kun­di­ge, kann­te zwar die Erzäh­lun­gen in sei­nem Volk, in denen sein Jah­we-Gott befoh­len hat­te, frem­de Men­schen in ihren Städ­ten anzu­grei­fen, sie, die Unschul­di­gen, »mit der Schär­fe des Schwer­tes tot­zu­schla­gen – Mann und Frau, jung und alt«, um dort selbst zu woh­nen. So war das nach­zu­le­sen in der Papy­rus­rol­le mit der Josua-Erzäh­lung zur Erobe­rung der Stadt Jeri­cho durch sein eige­nes Volk. Und das, so rät­sel­te er wei­ter, soll vom »Herrn selbst« ange­ord­net wor­den sein? Das kann nie und nim­mer mehr mein Gott sein, der sol­che Scheuß­lich­kei­ten befiehlt: Mit Waf­fen und Krieg Mord und Ver­nich­tung von Unschul­di­gen! Und je mehr Waf­fen die Men­schen her­stel­len, so schloss er, desto grö­ßer wird das Unheil für alle. So führ­te jener Hil­fe­schrei zu einer neu­en Erkennt­nis: Der alte Gott mit sei­nen Mord-Gebo­ten hat aus­ge­dient! Das Heil der Men­schen kommt dadurch, dass sie anfan­gen, Schwer­ter und Spie­ße, ja, alle Waf­fen umzu­schmie­den zu nütz­li­chen Werk­zeu­gen, zu Pflug­scha­ren und zu Sicheln, so dass schließ­lich jeder »unter sei­nem Wein­stock und Fei­gen­baum«, fried­lich neben dem ande­ren leben wird, denn nie­mand will den ande­ren mehr »schrecken« oder gar ver­nich­ten, »rui­nie­ren«, gleich woher der kommt, aus einem frem­den Volk oder frem­den Stamm oder der eig­nen Ver­wandt­schaft. Mehr noch: die Men­schen wer­den nicht ein­mal mehr ler­nen, Krie­ge zu füh­ren – ein anspruchs­vol­les, aber segens­rei­ches Bil­dungs­pro­gramm für die gan­ze Welt fiel dem Mann dazu ein, dem Pro­phe­ten Micha, der im 8. Jahr­hun­dert v. Chr. in Isra­el lebte.

Vie­le nah­men sei­ne Erkennt­nis­se auf, so sein Zeit­ge­nos­se Jesa­ja, auch ein Seher. Ande­re blie­ben bei dem alten Gott, der ein Kriegs­gott war, setz­ten auf Waf­fen und immer mehr Waf­fen und glaub­ten, damit wür­den die Men­schen sicher und zufrie­den. Doch es gab immer wie­der ande­re, die sich den alten Micha und sei­ne Erkennt­nis­se zum Vor­bild nah­men. Einer von die­sen war in der Zeit der »Zei­ten­wen­de« ein Wan­der­pre­di­ger aus Naza­reth. Vie­les in den Über­lie­fe­run­gen aus sei­nem Leben ist histo­risch zwei­fel­haft – die­ses aller­dings, das er aus den Erkennt­nis­sen des Micha und des Jesa­ja über­nom­men hat­te, ist es nicht: Sei­ne Zuwen­dung zu den Armen, dass sie Gerech­tig­keit erhal­ten, und sei­ne Frie­den­bot­schaft, die das Schwert äch­tet, selbst wenn es zur angeb­li­chen Ver­tei­di­gung dient – so sei­ne Auf­for­de­rung an sei­nen »Jün­ger« Petrus, der ihn bei der Gefan­ge­nah­me ver­tei­di­gen will und sich sagen las­sen muss: »Stecke das Schwert an sei­nen Ort, denn wer das Schwert nimmt, der wird durch das Schwert umkom­men« (Mat­thä­us 26, Vers 52). Die­se Hal­tung, die Waf­fen fort­zu­wer­fen, den Kriegs­dienst zu ver­wei­gern, wur­de in den näch­sten 300 Jah­re für die, die sich »Chri­sten« nann­ten, zu einem »Allein­stel­lungs­merk­mal« in der anti­ken Welt – bis der römi­sche Kai­ser Kon­stan­tin, ohne selbst Christ zu wer­den, die wach­sen­de »Chri­stus­sek­te« als eine Mas­sen­ba­sis für sei­ne Herr­schaft begün­stig­te, und einer sei­ner Nach­fol­ger, Theo­dosi­us, das Chri­sten­tum 380 n. Chr. zur »Staats­re­li­gi­on« erhob, wobei aller­dings die Frie­dens­bot­schaft ihres Stif­ters in ihr Gegen­teil ver­kehrt wur­de. Hieß es für die »Sek­te der Chri­sten« bis dahin: »Wer als Sol­dat Christ wer­den will, muss sein Schwert weg­wer­fen«, so galt nun: »Wer als Sol­dat das Schwert weg­wirft, kann kein Christ wer­den.« Natür­lich gibt es immer Theo­lo­gen, die für sol­che Fäl­schun­gen theo­lo­gi­sche Begrün­dun­gen fin­den, die dann als gott­ge­woll­te »Dog­men« aus­ge­ge­ben wer­den. Das war damals vor allem der sehr ein­fluss­rei­che Theo­lo­ge Augu­sti­nus (354-430). Er erfand die Leh­re vom »gerech­ten Krieg«, den in der Fol­ge­zeit die inzwi­schen chri­stia­ni­sier­ten Herr­scher führ­ten gegen die gott­lo­sen Schur­ken der Welt. So wur­den die »Sach­sen­krie­ge«, die Kreuz­zü­ge, die Kolo­ni­al­krie­ge der christ­lich-abend­län­di­schen Staa­ten wie­der hei­lig, weil im Namen Got­tes geführt – bis hin zu dem Abwurf der Atom­bom­ben über Japan 1945 durch die US-Ame­ri­ka­ner, der von einem luthe­ri­schen Geist­li­chen geseg­net wur­de. Gott­ge­wollt war dann natür­lich auch der ame­ri­ka­ni­sche Ver­nich­tungs­krieg in Viet­nam, der von dem hoch­ver­ehr­ten evan­ge­li­ka­len Pre­di­ger Bil­ly Gra­ham und dem katho­li­schen Erz­bi­schof in New York, Fran­cis Kar­di­nal Spell­mann, ver­tei­digt, ja, befeu­ert wur­de. Sogar der Leut­nant Cal­ley, der 1968 das Mas­sa­ker in My Lai an 504 Frau­en und Kin­dern ver­ant­wor­tet hat­te, galt in einem Gerichts­ver­fah­ren als begna­di­gungs­wür­dig, weil ja auch Gott selbst nach dem Jeri­cho-Mas­sa­ker im Buch Josua nie­man­den bestraft hatte.

Es gab dann aller­dings nach den Erfah­run­gen aus den bei­den Welt­krie­gen auch schon ande­re Stim­men. So lie­ßen die Staa­ten der UNO 1959 vor ihrem Haupt­ge­bäu­de in New York die Bron­ze­skulp­tur »Schwer­ter zu Pflug­scha­ren« auf­stel­len, ein Geschenk der Sowjet­uni­on, ange­fer­tigt von dem rus­si­schen Bild­hau­er Jew­ge­ni Wut­sche­titsch. Und schon frü­her, 1948, ent­stand der »Öku­me­ni­sche Rat der Kir­chen« (ÖRK) mit der Bot­schaft des Micha: »Krieg soll nach Got­tes Wil­len nicht sein.« In sei­ner wei­te­ren Geschich­te hat der ÖRK dann beacht­li­che Erklä­run­gen und Aktio­nen zur Umset­zung die­ser zen­tra­len Bot­schaft her­aus­ge­bracht, z. B. gegen die süd­afri­ka­ni­sche Apart­heid und gegen die welt­wei­te Auf­rü­stung (so auf der 5. Voll­ver­samm­lung 1975 in Nai­ro­bi), spä­ter gegen die Her­stel­lung und den Ein­satz von »Atom­waf­fen«.

Im Sep­tem­ber die­ses Jah­res fin­det die 11. Voll­ver­samm­lung des ÖRK, erst­mals in Deutsch­land, in Karls­ru­he statt. Es ist zu hof­fen, dass dazu aus Kir­che und Gesell­schaft welt­weit genü­gend Stim­men laut wer­den, damit die zuneh­men­de Mili­ta­ri­sie­rung auch in unse­rem Land, mit einem tot­si­che­ren »Son­der­ver­mö­gen« über 100 Mil­li­ar­den Euro für die Bun­des­wehr, zumin­dest gestoppt und dann her­un­ter­ge­fah­ren wird, so dass schließ­lich die »Schwer­ter zu Pflug­scha­ren« werden.