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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Umwelt und System

Anfang der sieb­zi­ger Jah­re des vori­gen Jahr­hun­derts erschien der erste »Bericht des Club of Rome« und rüt­tel­te vie­le Men­schen auf. Erste öko­no­mi­sche Kri­sen­er­fah­run­gen, vor­ran­gig im Hin­blick auf die Res­sour­ce Öl und die damit ver­bun­de­nen öko­no­mi­schen und öko­lo­gi­schen Pro­ble­me, hat­ten einen Groß­teil der Men­schen, ins­be­son­de­re in den wohl­ha­ben­den Staa­ten, ver­un­si­chert. Spä­ter erschien das vom US-ame­ri­ka­ni­schen Prä­si­den­ten Car­ter initi­ier­te »Glo­bal 2000«, wor­in ver­schie­de­ne ame­ri­ka­ni­sche Insti­tu­tio­nen ihre Zukunfts­sze­na­ri­en durch­spiel­ten und zu ähn­li­chen Ergeb­nis­sen kamen, die alle nicht erfreu­lich klan­gen. Das Buch erschien zwar, auch in Deutsch­land, ver­schwand aber schnell in der Schub­la­de. Eine Rei­he von Publi­ka­tio­nen erschien danach in der Bun­des­re­pu­blik, die sich mit den zuneh­mend ins Bewusst­sein drin­gen­den Öko­lo­gie­pro­ble­men befass­ten, von »Ret­tet den Wald«, »Ret­tet die Vögel« oder »Frei­zeit Fatal« bis hin zu den wis­sen­schaft­lich fun­dier­ten Kom­pen­di­en des Wup­per­tal Insti­tuts für Kli­ma, Umwelt, Ener­gie: »Zukunfts­fä­hi­ges Deutsch­land in einer glo­ba­li­sier­ten Welt – Ein Anstoß zur gesell­schaft­li­chen Debat­te« oder »Zukunfts­fä­hi­ges Deutsch­land – Ein Bei­trag zu einer glo­bal nach­hal­ti­gen Ent­wick­lung«. Weit­ge­hend unbe­kannt blieb das tie­fer­ge­hen­de Buch der US-Ame­ri­ka­ne­rin Susan Geor­ge: »Wie die ande­ren ster­ben, Die wah­ren Ursa­chen des Welt­hun­gers«. Die­se Arbeit stell­te die Fra­ge, auf wel­cher Sei­te der Bar­rie­re wir ste­hen. Gehö­ren wir zu den Nutz­nie­ßern des Welt­hun­gers und der 100.000 Toten täg­lich, zu den Nutz­nie­ßern der glo­ba­len Aus­beu­tung und der dafür nöti­gen Natur­zer­stö­rung – oder sind wir bereit, umzu­den­ken und dage­gen zu kämpfen.

»Die Lin­ke reagier­te auf die begin­nen­de Öko­lo­gie-Dis­kus­si­on gespal­ten – und zwar in Ost und West. Von ihren west­li­chen Ver­tre­tern wur­den in den 70er Jah­ren die Pro­blem­sze­na­ri­en als weit­ge­hend inter­es­sen­ge­lei­te­te Panik­ma­che abge­tan, die neue öko­lo­gi­sche Nach­denk­lich­keit als Ver­such gewer­tet, von fun­da­men­ta­len Ver­ge­sell­schaf­tungs­pro­ble­men des Kapi­ta­lis­mus abzu­len­ken (was ganz so abwe­gig auch nicht war, jedoch nichts an den sich auf­drän­gen­den Pro­ble­men änder­te). ln die glei­che Rich­tung ziel­ten auch die Argu­men­te der mei­sten Öko­no­men, Gesell­schafts- und Poli­tik­wis­sen­schaft­ler in den sozia­li­sti­schen Län­dern: Ihnen galt die Öko­lo­gie-Pro­ble­ma­tik aus­schließ­lich als Aus­druck einer all­ge­mei­nen Kri­se des Kapi­ta­lis­mus« (so Wer­ner Sepp­mann in der jun­gen Welt v. 3.2.2016).

Vor Jahr­zehn­ten schon schrieb auch der ost­deut­sche Phi­lo­soph Wolf­gang Harich, dass eine Kehrt­wen­de und eine glo­ba­le Selbst­be­sin­nung um des Über­le­bens der Mensch­heit wil­len unab­ding­bar sei. Wer aber, so lau­te­te die dar­aus resul­tie­ren­de Fra­ge, kann die­se Wen­de bewir­ken? Harich war berech­tig­ter­wei­se skep­tisch, dass auch nur ansatz­wei­se die kapi­ta­li­sti­schen Län­der dazu in der Lage sei­en, denn sie brau­chen das Wachs­tum um sei­ner selbst wil­len, um sich als kapi­ta­li­sti­sche Gesell­schaft repro­du­zie­ren zu können.

Inzwi­schen, nach­dem auch Chi­na als Mit­spie­ler im glo­ba­len Wett­ren­nen auf­ge­tre­ten ist, erscheint die Dyna­mik der Welt­wirt­schaft mit ihren Wachs­tums­pa­ra­dig­men als system­über­grei­fen­de Pro­ble­ma­tik stär­ker in den Vor­der­grund zu tre­ten. Die Erkennt­nis vie­ler Men­schen gip­felt in dem Satz: »Wir leben so, als hät­ten wir noch eine zwei­te Erde in Reserve.«

Bei har­scher Kri­tik am bestehen­den und fast alle Län­der beherr­schen­den kapi­ta­li­sti­schen System (eine Aus­nah­me bil­det Kuba) und nach dem Zusam­men­bruch des real exi­stie­ren­den Sozia­lis­mus, stel­len sich vie­le die Fra­ge: Was denn dann?

Ter­ti­um non datur? (Eine drit­te Mög­lich­keit gibt es nicht?) Vie­le Initia­ti­ven sind ent­stan­den, vie­le Fort­schrit­te sind in der öko­lo­gi­schen Fra­ge erzielt wor­den, den­noch konn­te nach­weis­lich die wei­te­re Zer­stö­rung der Natur welt­weit nicht gestoppt wer­den »Es ist Skep­sis ange­bracht, ob ein ›grü­ner Kapi­ta­lis­mus‹ prin­zi­pi­ell über­haupt mög­lich ist. Wenn die öko­lo­gi­sche Ori­en­tie­rung mehr als nur Fas­sa­de sein soll, drängt sich die Fra­ge auf, ob ohne erwei­ter­te Repro­duk­ti­on (letzt­lich also Wachs­tum) Kapi­ta­lis­mus über­haupt mög­lich ist. Der Kapi­ta­lis­mus bemüht sich nicht dar­um, die Natur­ba­sis der Gesell­schaft zu erhal­ten, er will sich sel­ber ret­ten, und dazu braucht er Wachs­tum«, so Wolf­gang Harich schon in den 1970er Jahren.

Mit Selbst­be­schrän­kung ist es nicht getan, auch wenn damit eini­ges erreicht wer­den kann und die Akti­ven sich dabei rela­tiv wohl­füh­len. Doch auch Wind­kraft­wer­ke funk­tio­nie­ren auf­grund kapi­ta­li­sti­scher Finan­zie­run­gen, und wenn Pri­vat­leu­te den dank ihrer eige­nen Pho­to­vol­ta­ik­an­la­ge erzeug­ten Strom in ihrem Haus selbst ver­wen­den wol­len, erfin­det die Regie­rung eine Solar­steu­er. Die Hand­lan­ger des Kapi­ta­lis­mus las­sen sich eine Men­ge ein­fal­len, um die laut­hals ver­kün­de­te Ener­gie­wen­de zugun­sten der ihnen näher­ste­hen­den kon­ven­tio­nel­len Ener­gie­kon­zer­ne umzu­funk­tio­nie­ren und aufzuhalten.

Auch eine noch so beju­bel­te inter­na­tio­na­le Kli­ma­kon­fe­renz in Paris (2015) ändert lei­der nichts dar­an, dass vor­erst alles so wei­ter­läuft wie bis­her, dass z. B. die Auto­her­stel­ler wei­ter­hin auch auf Ver­bren­nungs­mo­to­ren und gro­ße PKW set­zen. Aber auch Elek­tro­fahr­zeu­ge wer­den die Grund­pro­ble­me nicht lösen – abge­se­hen von den »Ver­brau­chern«, die ohne Druck (mehr oder weni­ger, eher mehr) ihr Ver­hal­ten nicht ändern wer­den. Es gibt u. a. Umwelt­schüt­zer, die zwar alles Mög­li­che beach­ten, Kor­ken sam­meln oder Obst­bäu­me pflan­zen, aber nicht ihre Auto­fahr­ten ein­schrän­ken und eini­ge Male im Jahr in alle Welt fliegen.

Für den Kapi­ta­lis­mus ist die Hoff­nung auf einen Repro­duk­ti­ons­pro­gress mit »Augen­maß« nicht mög­lich. »Grü­ne« Akti­vi­tä­ten und Kon­zep­te haben Hoch­kon­junk­tur – und den­noch schrei­tet die Natur­zer­stö­rung in den ent­schei­den­den Berei­chen wei­ter vor­an. Trotz eines vor­han­de­nen Pro­blem­be­wusst­seins sind über­zeu­gen­de Lösungs­kon­zep­te nicht in Sicht: Ver­su­che einer Reduk­ti­on des kli­ma­ver­än­dern­den Schad­stoff­aus­sto­ßes sind über ein Anfangs­sta­di­um nicht hin­aus­ge­kom­men. Die Zer­stö­rung der natür­li­chen Lebens­grund­la­gen gleicht einem ver­zeh­ren­den Flä­chen­brand, dem die Feu­er­wehr weit­ge­hend hilf­los gegenübersteht.

Man grei­fe jedoch nicht zum Hyper­staat, gar einer »dik­ta­to­ri­schen Welt­re­gie­rung«, wie Harich sagt. In die­sem Begriff liegt näm­lich ein logi­scher Wider­spruch: Wäre die Ent­wick­lung so weit vor­an­ge­trie­ben, dass eine »Welt­re­gie­rung« Rea­li­sie­rungs­chan­cen hät­te, wäre wahr­schein­lich ein solch über­ge­stülp­ter Staats­ap­pa­rat über­flüs­sig. Denn Vor­aus­set­zung ihrer Instal­lie­rung wäre die Über­win­dung impe­ria­li­sti­scher Kon­kur­renz­ver­hält­nis­se und zumin­dest die Besei­ti­gung mono­po­li­sti­schen Privateigentums.

In einem all­ge­mei­nen Sin­ne klingt Harichs Defi­ni­ti­on plau­si­bel, dass »Kom­mu­nis­mus (…) gerech­te Ver­tei­lung heißt, kon­se­quent, radi­kal durch­ge­führt«. Das hört sich an, als ob staat­li­cher Inter­ven­tio­nis­mus und nicht gesell­schaft­li­che Selbst­ver­wal­tung not­wen­dig wäre. Aber ist das dann wirk­lich Kom­mu­nis­mus? Ist des­sen Sub­stanz nicht eben die gesell­schaft­li­che Selbst­ver­wal­tung? Ver­ste­hen wir den Kom­mu­nis­mus als eine Gesell­schaft, in der die Men­schen die Gestal­tung ihrer Lebens­be­din­gun­gen in die eige­nen Hän­de genom­men haben, ist auch zu ver­mu­ten, dass vie­le Din­ge, die heu­te »pro­fes­sio­na­li­siert« und kom­mer­zia­li­siert sind, wie­der in die unmit­tel­ba­ren Lebens­zu­sam­men­hän­ge reinte­griert und zu All­tags­an­ge­le­gen­hei­ten wer­den (Sepp­mann).

Maschi­nen könn­ten uns welt­weit hel­fen, die Armut zu ver­rin­gern. Nötig wäre ein System, das die vor­han­de­ne Arbeit auf mög­lichst vie­le Hän­de ver­teilt und die erwirt­schaf­te­ten Gewin­ne auf mög­lichst vie­le Köp­fe. Das inzwi­schen obszö­ne Aus­ein­an­der­drif­ten von Ver­mö­gen und Ein­kom­men, die Kon­zen­tra­ti­on in weni­gen Hän­den und die unvor­stell­ba­re Zunah­me der Armut kön­nen so nicht wei­ter­ge­hen. Wirt­schafts­sy­ste­me ohne Wachs­tums­druck müs­sen ent­wickelt wer­den – und Herr­schafts­sy­ste­me ohne Macht von Men­schen über Menschen.

Bis­her haben es die­je­ni­gen, die gern auf Kosten ande­rer leben, geschafft, ein der­art unge­rech­tes System ein­zu­rich­ten, zu erhal­ten und den Men­schen bei­zu­brin­gen, dies sei die allein mög­li­che Art und Wei­se des Lebens, die aber allen mög­lich sein soll. Nur dank des schon von Anto­nio Gram­sci erwähn­ten »pas­si­ven Kon­sen­ses«, der die Mehr­heit der gedrück­ten und unter­drück­ten Men­schen ruhig hält, kann sich das kapi­ta­li­sti­sche System, gesteu­ert von weni­gen, halten.

Wie das Leben in der Zukunfts­ge­sell­schaft sich kon­kret orga­ni­siert, kann man natür­lich heu­te nicht genau vor­aus­sa­gen. Aber gedacht wer­den muss es, ohne Scheu. Jedoch wird es mit gro­ßer Sicher­heit in ande­ren For­men gesche­hen, als ein kapi­ta­li­stisch gepräg­ter und ver­form­ter Geist es sich vor­zu­stel­len ver­mag, denn auch in den Bil­dern grü­ner »Idyl­len« macht »kapi­ta­li­sti­scher Geist« sich noch bemerk­bar, nicht zuletzt, weil sie von einer spe­zi­fi­schen Form von Welt­flucht­be­dürf­nis­sen geprägt sind. Das Neue kann nicht ein­fach die Fort­set­zung des Alten sein; es ent­fal­tet sich erst nach dem Bruch mit ihm (Sepp­mann).

Der ver­stor­be­ne por­tu­gie­si­sche Lite­ra­tur­no­bel­preis­trä­ger José Sara­ma­go for­mu­lier­te das so: »Etwas Neu­es kann nur ent­ste­hen, wenn man die Regeln bricht.« Doch wahr­schein­lich leben wir immer noch in einem Zustand, den schon Anto­nio Gram­sci in den zwan­zi­ger Jah­ren des vori­gen Jahr­hun­derts beschrieb: »Die alte Zeit ist tot – und die neue hat noch nicht begonnen.«