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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Blackout mit Folgen

Das mare bal­ti­cum gleicht einem Hoch­si­cher­heits­trakt. Ost­see­an­rai­nern wie Deutsch­land, Däne­mark, Schwe­den, Finn­land, Russ­land, den Esten, Let­ten und Litau­ern sowie Polen ent­geht für gewöhn­lich nichts an ihren Küsten und in der 12-Mei­len-Zone. Die Schwe­den gel­ten unbe­strit­ten als die Nr. 1 der Wachsamkeit.

Aus hei­te­rem Him­mel muss es am 26. Sep­tem­ber 2022 und vor­her einen Super-GAU in allen Über­wa­chungs­sy­ste­men gege­ben haben. Just da ent­stan­den Lecks an den Gas-Pipe­lines Nord Stream 1 und 2. US-Prä­si­dent Joe Biden bezeich­ne­te sie sogleich als Fol­ge von vor­sätz­li­cher Sabo­ta­ge und kün­dig­te Unter­su­chun­gen an. Soll­te der Prä­si­dent als Ober­be­fehls­ha­ber aller US-Streit­kräf­te über deren Tun und Las­sen so schlecht infor­miert oder etwas vor­schnell gewe­sen sein?

Wochen zuvor hat­te vom 5. bis 17. Juni »Bal­tic Ope­ra­ti­ons« (BALTOPS) statt­ge­fun­den. 45 Schif­fe, 75 Flug­zeu­ge und etli­che Hub­schrau­ber sowie rund 7000 Mili­tär­an­ge­hö­ri­ge aus 14 Nato-Staa­ten plus Bei­tritts­kan­di­da­ten Finn­land und Schwe­den prob­ten ihre Sze­na­ri­en. Zum Abschluss rühm­te Vize-Admi­ral Euge­ne »Gene« Black III, der Ober­be­fehls­ha­ber der Sixth Fleet, am 17. Juni in Kiel eine dies­jäh­ri­ge Beson­der­heit: »Wir hat­ten ein expe­ri­men­tel­les Ele­ment (…). Jedes Jahr brin­gen wir eini­ge wirk­lich schlaue Navy-Leu­te und eini­ge Wis­sen­schaft­ler zusam­men, und wir expe­ri­men­tie­ren mit eini­gen der Aus­rü­stun­gen, die wir haben, dies­mal mit Schwer­punkt auf Minenkriegsführung.«

Schau­platz war sin­ni­ger­wei­se die Küste vor Born­holm, mit­be­tei­ligt war das Beste vom Besten, was das Pen­ta­gon auf­zu­bie­ten hat: das Naval Infor­ma­ti­on War­fa­re Cen­ter Paci­fic, das Naval Under­sea War­fa­re Cen­ter New­port sowie Mine War­fa­re Rea­di­ness and Effec­ti­ve­ness Mea­su­ring. Bei Expe­ri­men­ten aller Art weiß man natür­lich nie, ob nicht irgend­was schief­läuft. Bis dahin nichts wirk­lich Neues.

Ganz neben­bei offen­bar­te Admi­ral Micha­el M. Gil­day (Chief of Naval Ope­ra­ti­ons, CNO) die wirk­li­che Sen­sa­ti­on: Ein Schiff war ver­schwun­den. Die über 250 Meter lan­ge und über 33 Meter brei­te USS Kear­sar­ge, ein Flug­zeug­trä­ger, der im Manö­ver den Ein­satz von auto­no­men Unter­was­ser­fahr­zeu­gen trai­niert hat­te, blieb zur Kie­ler Woche unsicht­bar. Der Admi­ral spann also sein See­manns­garn: »Wir haben die Kear­sar­ge wegen einer lau­fen­den Mis­si­on auf See gehal­ten, zusam­men mit einem Zer­stö­rer, der mit ihr ope­riert. Und so ruft die Pflicht, und des­halb tritt sie gera­de da drau­ßen auf.« Und: »Nun, ich kann nicht genau sagen, wo sie ope­rie­ren wird, aber sie wird in der Regi­on sein. Und sie wird – und sie wird – sie wird eine sehr aus­ge­präg­te Prä­senz haben.« Mister Ahnungs­lo­sig­keit frei­zü­gig: »Nun, ich möch­te nicht genau ver­ra­ten, was die genaue Art unse­rer Anwe­sen­heit sein wird, aber sie wird robust sein (…). Wis­sen Sie, im Moment haben wir unten im Mit­tel­meer eine Flug­zeug­trä­ger-Kampf­grup­pe. Aber ein Schiff wie die Kear­sar­ge, mit eini­gen sehr fähi­gen Mari­nes (…) bringt einen ziem­lich star­ken Schlag in die Gegend.«

Das größ­te Kriegs­schiff der US-Navy, das in den letz­ten 30 Jah­ren in der Ost­see kreuz­te, mutier­te zum Gei­ster­schiff. Über 2000 Mann Besat­zung und Sol­da­ten an Bord sowie 40 Hub­schrau­ber und Kampf­flug­zeu­ge hat­te der Kla­bau­ter­mann unsicht­bar gemacht. Wochen spä­ter tauch­te das amphi­bi­sche Angriffs­schiff mit­samt Begleit­zer­stö­rer wie­der auf, pas­sier­te am 22. Sep­tem­ber den Feh­marn­belt in Rich­tung Westen und nahm Kurs gen Hei­mat­ha­fen an der US-Ostküste.

Vier Tage spä­ter pas­sier­te die »Sabo­ta­ge« an den Nord Stream-Pipe­lines nahe Born­holm. Falls wie in der See­fahrt ver­bind­lich an Bord des Gei­ster­schiffs ein Log­buch geführt wur­de, wäre auf Anhieb klar, was, wann, wo, wie vor­ge­gan­gen ist. Bei Unter­su­chun­gen in die­ser spe­zi­el­len und myste­riö­sen Ange­le­gen­heit hät­te es Beweiskraft.

Doch es geht nichts über das geheim­häl­te­ri­sche Staats­wohl. Auf Fra­gen der Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten Dr. Sahra Wagen­knecht (DIE LINKE) blie­ben die Mini­ste­ri­en von Habeck und Baer­bock Ant­wor­ten schul­dig. Sie woll­te wis­sen: »Wel­che Nato-Schif­fe und Trup­pen­tei­le befan­den sich nach Kennt­nis der Bun­des­re­gie­rung seit dem Aus­set­zen der Gas­lie­fe­run­gen durch die Nord Stream 1 Pipe­line am 30. August 2022 in den Gegen­den, an denen die Beschä­di­gun­gen der bei­den Pipe­lines auf­ge­tre­ten sind, und wel­che rus­si­schen Schif­fe und Trup­pen­tei­le wur­den in die­sem Zeit­raum in die­sen Gegen­den geortet?«

Die schlich­te Ant­wort von Staats­se­kre­tä­rin Susan­ne Bau­mann aus dem Aus­wär­ti­gen Amt vom 11. Okto­ber 2022: »Die Beant­wor­tung der Fra­gen zu Schiffs­po­si­tio­nen wür­de Rück­schlüs­se auf die Auf­klä­rungs­fä­hig­kei­ten der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und ihrer Bünd­nis­part­ner zulas­sen. Die erbe­te­nen Infor­ma­tio­nen berüh­ren der­art beson­ders schutz­be­dürf­ti­ge Geheim­hal­tungs­in­ter­es­sen, dass das Staats­wohl gegen­über dem par­la­men­ta­ri­schen Infor­ma­ti­ons­recht wesent­lich über­wiegt.« Die Fra­ge kön­ne ent­spre­chend aus Grün­den des Staats­wohls nicht, auch nicht in ein­ge­stuf­ter Form, beant­wor­tet wer­den. Die Beant­wor­tung der Fra­ge wür­de die Preis­ga­be von Infor­ma­tio­nen beinhal­ten, die das Staats­wohl in beson­de­rem Maße berüh­ren. Auch eine Ein­stu­fung und Hin­ter­le­gung der ange­frag­ten Infor­ma­tio­nen als Ver­schluss­sa­che beim Deut­schen Bun­des­tag wür­de der Bedeu­tung der Infor­ma­tio­nen in Hin­blick auf die Sicher­heits­la­ge in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land sowie dem Schutz deut­scher Inter­es­sen im Aus­land nicht aus­rei­chend Rech­nung tra­gen. »Inso­fern muss aus­nahms­wei­se das Fra­ge­recht der Abge­ord­ne­ten gegen­über dem Geheim­hal­tungs­in­ter­es­se der Bun­des­re­gie­rung zurückstehen.«

Die­ses State­ment lässt natür­lich ande­re Inter­pre­ta­tio­nen zu. Prä­si­dent Biden selbst hat­te nach den Gesprä­chen beim Antritts­be­such von Bun­des­kanz­ler Scholz Anfang Febru­ar klar­ge­macht: Wenn »rus­si­sche Pan­zer und Sol­da­ten die Gren­ze der Ukrai­ne ein­mal mehr über­tre­ten, wird es kein Nord Stream 2-Pro­jekt mehr geben. Wir wer­den dem ein Ende set­zen.« Das war eine ein­deu­ti­ge Ansa­ge. Das State­ment nach dem 26. Sep­tem­ber war busi­ness as usu­al. Auch sein Amts­vor­gän­ger Geor­ge W. Bush insze­nier­te den Irak-Krieg mit der Lüge über dort angeb­lich exi­sten­te che­mi­sche Massenvernichtungswaffen.

Es wird dau­ern, ob und bis die Wahr­heit jemals ans Licht kommt. Haupt­sa­che, das US-Geschäft mit dem Frack­ing­gas flo­riert, und die Ger­mans plau­dern kei­ne Geheim­nis­se aus. Der schwe­di­schen Gene­ral­staats­an­walt­schaft wird ein Blick ins Log­buch der USS Kear­sar­ge frü­he­stens am Sankt-Nim­mer­leins­tag gewährt werden.