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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Vom Wert, der gebraucht wird

Im Dschun­gel der Sinn­ent­lee­rung ver­kün­det die Wer­be­indu­strie in allen Medi­en die größ­te Weis­heit aller Zei­ten, mit wel­cher der letz­te Rest Kon­su­men­ten­hirn ver­dampft wird: »DAS ist mir was wert« und emp­fiehlt fuß­pil­zent­fer­nen­de Sal­ben, Gemü­se­z­er­klei­ne­rungs­ge­rä­te, spre­chen­de Gar­ten­zwer­ge (ja, ich hab auch einen, der brüllt, wenn beim Gar­ten­nach­bar Bewe­gung bemerkt wird: »Ruhe, Du Arsch­loch!«) oder den Rat­ge­ber »Wie wer­de ich Poli­ti­ker in jeder Par­tei«. Auch die, die noch den Ver­kauf mensch­li­cher Arbeits­kraft schüt­zen wol­len, ver­lan­gen »gute« Arbeit, ohne dar­über nach­zu­den­ken, ob nicht »aller­be­ste« Arbeit als For­de­rung ange­sagt sein müss­te, ohne auch nur kurz dar­über nach­zu­den­ken, ob Arbeit nicht gene­rell schäd­lich ist und so weder gebraucht wird noch etwas wert ist. Also Bezah­lung nur für Nicht­lei­stung erfol­gen sollte.

Ich habe auch nach­ge­dacht, ob es mir etwas wert wäre, die­se stän­di­gen »Brenn­punk­te« der vom Volk zwangs­fi­nan­zier­ten Mei­nungs­ver­dreh­ver­brei­tungs­an­stal­ten – eine fällt den Augen­ärz­ten und Opti­kern in den Rücken und erklärt: »Mit dem Zwei­ten [Auge!] sieht man bes­ser« – zu Gra­be zu tra­gen. Es ist das lin­ke Auge, das außer Betrieb gesetzt wird, nicht nur bei der Wer­bung, die den Ein­äu­gi­gen zum Blin­den­hund einer Gesell­schaft wer­den lässt. Dem Gebüh­ren­zah­ler­in­Zah­ler müss­te längst erklärt wer­den, war­um bei­de öffent­li­chen Medi­en­be­dürf­nisARDZDF­an­stal­ten, wenn die Welt unter­geht, zwei­mal, inhalt­lich ident, über die­ses Ereig­nis berichten.

Der Gebrauchs­wert, um den geht es ja, hängt davon ab, wie Men­schin­Mensch das Leben gestal­tet. Ich den­ke da immer an den Eier­ko­cher, dem ohne Ei ein völ­lig sinn­lo­ses Dasein beschie­den ist. Und schon lan­ge fra­ge ich mich, fol­ge ich der der­zeit gän­gi­gen – nicht mei­ner – Gesell­schafts­ord­nung, was mache ich mit einer Sche­re, wenn ich kei­ne Sche­ren­schleif­ma­schi­ne habe, um, wenn das Gerät nicht mehr schnei­det, den Gebrauchs­wert zu sichern? Eine Brot­schnei­de­ma­schi­ne ohne Brot, das geht auch nicht! Eine Schnee­ka­no­ne aller­dings, die sorgt für die Siche­rung der Win­ter­sai­son, ohne die vie­le Kran­ken­häu­ser im baye­risch-öster­rei­chi­schen Raum nicht exi­stie­ren könn­ten. Da kriegt man­cher Gips­kopf einen Gips­fuß ver­passt. Das ist Skifoanwertevermehrung!

Wie hoch ist der Gebrauchs­wert der Restau­rant­ly­rik, die ein Rin­der­fi­let Ros­si­ni mit gerö­ste­ten Man­del­schei­ben an Gän­se­le­ber beju­belt. Die Kres­se-Ing­wer-Ber­ga­mot­te-Infu­si­on zu Zie­gen­frisch­kä­se-Ravio­li ver­än­dert kei­ne Gesell­schaft, und eine Schnit­te vom Gelb­flos­sen­thun­fisch – nicht hauch­dünn, aber auch nicht zu dick, so dass Schmelz und Aro­ma sich ent­wickeln kön­nen – mit einer gedämpf­ten Gil­lar­deau-Auster führt kei­nes­wegs dazu, dass die Min­dest­lohn­dis­kus­si­on an Fahrt gewinnt. Wie hoch, gebrauchs­wert­mä­ßig, ist wohl die jodi­ge Note der Aono­ri-Alge ein­zu­schät­zen? Der ordi­nä­re Tafel­spitz, das Wie­ner Schnit­zel und die Sacher­tor­te enden abge­schla­gen auf letz­ten Plätzen.

Die Gemein­wohl-Öko­no­mie, die dem Erfin­der Hono­ra­re bringt, hat die einen Gebrauchs­wert? Kaum, denn schon der Name ver­rät, dass sie gemein, nicht wohl und in Ver­bin­dung mit Öko­no­mie (die kein Mensch braucht außer den mit Dr.-Titeln aus­ge­stat­te­ten Wirt­schafts­ge­lehr­ten) unnö­ti­ger ist als der Kropf eines Pinzgauers.

Ich kann mich des Ein­drucks nicht erweh­ren, dass Logik und ande­re Basis-ele­men­te einer sach­ge­mä­ßen Anwen­dung des Ver­stan­des – auch er muss ja gebraucht wer­den, um was wert zu sein –, in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ziem­lich abge­wirt­schaf­tet haben. Da wird be- und geschlos­sen Mei­nung ver­zerr­dreht, der Mei­nungs­viel­falt wird ein Ein­fach­kleid geschnei­dert und über­ge­stülpt, und sich wider­spre­chen­de Inhal­te wer­den in einen ein­zi­gen Satz gepresst.

Das alles scheint nicht mehr so wich­tig zu sein: Haupt­sa­che, die Guten gewin­nen. Die Attacken auf die ein­fach­sten Regeln der Ratio­na­li­tät fin­den dabei an vie­len Fron­ten statt. Wenn sich heu­te die für die­se Gesell­schaft Ver­ant­wort­li­chen an einer Lich­tung vor irgend­ei­nem Wald die­ser Welt ver­sam­meln, dann ent­steht ein Wert, der »Flur­scha­den« heißt.

So kom­me ich zum Gebrauchs­wert »Arbeit«.

Als ich kürz­lich fol­gen­den Satz eines Lokal­po­li­ti­kers hör­te: »Arbeit ist die Haupt­ur­sa­che aller Betriebs­un­fäl­le; Frei­heit ist die Wahl zwi­schen Arbeit und Ver­hun­gern; wer sicher sein will, hei­ra­tet einen Beam­ten; und Wohl­stand bedeu­tet, dass man so viel Kre­dit erhält, wie nötig ist, sei­ne eige­nen Ver­hält­nis­se zu über­le­ben«, da war mir klar, war­um die Ver­bin­dung der Wort­be­deu­tun­gen ARBEIT und LOS nie glücks­spiel­taug­lich wird.

Als ich kürz­lich nichts­ah­nend am Ber­li­ner Haupt­bahn­hof her­um­hing und dort die Amts­hand­lung eines uni­for­mier­ten und bewaff­ne­ten Men­schen mit­er­le­ben konn­te, da erlang­te ich neue Gebrauchswert-Kenntnis.

Da lag doch schon wie­der einer der lästi­gen Bett­ler – ihret­we­gen gibt es kaum noch Sitz­bän­ke auf Bahn­stei­gen – auf dem Boden neben dem Ein­gang zum Rei­se­zen­trum, stank nach Schnaps und Ziga­ret­ten und grin­ste den Hüter der Ord­nung an.

»War­um arbei­ten Sie eigent­lich nicht?« fuhr der ihn an.

»War­um soll­te ich?« war die Gegenfrage.

Der in vie­len auf­wen­di­gen Wei­ter­bil­dungs­kur­sen geschul­te Unord­nungs­hü­ter einer nich­tun­se­ren Gesell­schafts­ord­nung kon­ter­te: »Damit Sie Geld ver­die­nen, Sie sozia­le Fehlkonstruktion.«

»Was soll ich damit machen?« frag­te der her­um­sit­zen­de Lebens­künst­ler und hob die Schnaps­fla­sche zu einem kräf­ti­gen Zug an die Lippen.

»Geld bringt Zin­sen, mein Lieber!«

Der Pen­ner blieb unbe­ein­druckt und rülp­ste behör­den­feind­lich ein »Und dann?« hervor.

Die zwei­bei­ni­ge Ver­tre­tung einer Gren­zen schüt­zen­den Behör­de hol­te zum Final­schlag aus: »Dann haben Sie eines Tages so viel Geld, dass Sie nicht mehr arbei­ten müssen.«

»Mei­ster«, mein­te dar­auf­hin schä­big grin­send der Pen­ner, »so weit bin ich doch schon jetzt!«

Von irgend­wo­her war eine lau­te, die gan­ze Haupt­bahn­hofs­hal­le fül­len­de Laut­spre­cher­stim­me zu hören: »Wir schlie­ßen Kas­se 1!«