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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Asse: Wer will Atommüllfabrik planen?

Möch­te jemand mit­bie­ten bei der »Ent­wurfs- und Geneh­mi­gungs­pla­nung für die Abfall­be­hand­lungs­an­la­ge und das Zwi­schen­la­ger für die rück­zu­ho­len­den radio­ak­ti­ven Abfäl­le aus der Schacht­an­la­ge Asse II«? Die Bun­des­ge­sell­schaft für End­la­ge­rung (BGE) hat die­se Pla­nungs­ar­bei­ten kürz­lich aus­ge­schrie­ben, die Bie­ter­frist läuft noch bis zum 21. Dezember.

Offen­sicht­lich will die BGE die Ankün­di­gung von Staats­se­kre­tär Jochen Flas­barth vom Bun­des­um­welt­mi­ni­ste­ri­um, an der Asse der­ar­ti­ge Anla­gen für Atom­müll zu errich­ten (sie­he Ossietzky 17/​2020), so zügig wie mög­lich umset­zen. Wäh­rend die Lokal­po­li­tik sich noch – fünf Jah­re zu spät – auf die Hin­ter­bei­ne zu stel­len ver­sucht, wer­den hier Fak­ten geschaffen.

Es ist schon erstaun­lich, wie schnell die Errich­tung von Kon­di­tio­nie­rungs­an­la­ge und Atom­müll-Zwi­schen­la­ger an der Asse nun vor­an­ge­trie­ben wird. Vor allem, wenn man ver­gleicht, wie wenig inner­halb der letz­ten zehn Jah­re für die offi­zi­ell zum Ziel erklär­te »Rück­ho­lung des Atom­mülls« getan wur­de. »Ohne Kon­di­tio­nie­rungs­an­la­ge und ohne Zwi­schen­la­ger kei­ne Rück­ho­lung«, mit die­ser For­mel üben Ber­lin, Han­no­ver und Pei­ne (BGE) schon seit lan­gem Druck auf den Land­kreis Wol­fen­büt­tel aus, in dem – nur fünf­zehn Kilo­me­ter süd­öst­lich des Braun­schwei­ger Haupt­bahn­hofs – die Anla­gen ent­ste­hen sollen.

Eine pos­sier­li­che Akti­on ver­an­stal­te­ten kürz­lich der Vize­prä­si­dent des nie­der­säch­si­schen Land­tags, Frank Oester­hel­weg (CDU) aus Wol­fen­büt­tel, und der CDU-Kan­di­dat für das Amt des Land­ra­tes, Uwe Schä­fer. Mit der Bot­schaft »Ihr ›Basta!‹ schmeckt uns nicht! – Bes­ser Pasta statt ›Basta!‹!« schick­ten sie ein Fass Nudeln an Staats­se­kre­tär Flas­barth. Dem Ver­neh­men nach soll auch die noch amtie­ren­de Land­rä­tin Chri­stia­na Stein­brüg­ge (SPD) in einen Schrift­wech­sel mit ihrer Par­tei­freun­din, der Bun­des­um­welt­mi­ni­ste­rin Sven­ja Schul­ze, ein­ge­tre­ten sein, um doch noch einen fai­ren Ver­gleich des Stand­or­tes in der Asse mit einem Asse-fer­nen Stand­ort zu errei­chen. Es sind Wahlkampfzeiten.

Das alles mutet absurd an. Schließ­lich hat­ten die drei zusam­men mit ande­ren poli­ti­schen Lokal­grö­ßen im Kreis­tag Wol­fen­büt­tel vor mehr als fünf Jah­ren, am 5. Okto­ber 2015, fol­gen­den Beschluss durch­ge­setzt: »Der Kreis­tag for­dert den unver­züg­li­chen Beginn einer trans­pa­ren­ten, ergeb­nis­of­fe­nen, kri­te­ri­en­ba­sier­ten Stand­ort­su­che für die Kon­di­tio­nie­rungs­an­la­ge, das Puf­fer- und Zwi­schen­la­ger. Dies gilt ins­be­son­de­re für die Suche nach Asse-nahen Stand­or­ten (…). Kon­kre­te Ent­fer­nungs­vor­ga­ben beim Such­ver­fah­ren wer­den abge­lehnt.« Wer aber heu­te die Kreis­tags­ab­ge­ord­ne­ten an ihre Beschlüs­se von 2015 zu erin­nern ver­sucht, stößt viel­fach auf Ungläubigkeit.

Der Land­kreis Wol­fen­büt­tel hat jetzt eigent­lich nur das bekom­men, was der Kreis­tag gefor­dert hat: Unter fünf Asse-nahen Stand­or­ten hat der Betrei­ber nach bestimm­ten Kri­te­ri­en ergeb­nis­of­fen einen aus­ge­wählt. Zufäl­lig ist es der­je­ni­ge Stand­ort gewor­den, den man am wenig­sten von der Bun­des­stra­ße aus ein­se­hen kann, die an der Asse vor­bei­führt. Klar: Wer möch­te sich schon den Blick auf die Asse durch eine 20 Meter hohe, meh­re­re Fuß­ball­fel­der gro­ße Anla­ge ver­der­ben las­sen? Schließ­lich wur­de an der Asse auch nicht ein Hun­der­te Meter hoher Kamin gebaut, um etwa die radio­ak­ti­ve Abluft von der loka­len Bevöl­ke­rung fern­zu­hal­ten. Wo kein Schorn­stein, da kei­ne Gefahr? Mit­nich­ten. An der Asse hat­te man über Jahr­zehn­te das zwei­fel­haf­te Ver­gnü­gen, die Grenz­wer­te für Radio­ak­ti­vi­täts­be­la­stung zu cir­ca zehn Pro­zent aus­zu­schöp­fen, wohin­ge­gen das bei AKWs sich eher im ein­stel­li­gen Pro­zent­be­reich beweg­te, wenn überhaupt.

War­um nur, mögen ent­fern­te Beobachter*innen sich fra­gen, hat der Kreis­tag damals den Beschluss gefasst? Man kann hier nur spe­ku­lie­ren. Auf­fäl­lig ist, dass der Nie­der­säch­si­sche Land­tag im Novem­ber 2015 – kei­ne acht Wochen nach dem Kreis­tags­be­schluss – das Gesetz über den »Zukunfts­fonds Asse« ver­ab­schie­det hat. Über die­sen Fonds flos­sen in den letz­ten Jah­ren jeweils bis zu drei Mil­lio­nen Euro aus dem Bun­des­haus­halt in den Land­kreis. Der Stif­tungs­rat kann damit Pro­jek­te von Kom­mu­nen und Ver­ei­nen unter­stüt­zen. Im Vor­stand des Stif­tungs­ra­tes hat im Jahr 2018 der SPD-Land­tags­ab­ge­ord­ne­te Falk Hen­sel den CDU-Poli­ti­ker Uwe Schä­fer abge­löst. Jähr­lich 30 mal 100.000 Euro freie Mit­tel: Das ist kein schlech­ter Anreiz, mit der Bun­des­re­gie­rung und dem ihr unter­stell­ten jewei­li­gen Betrei­ber von Asse II zu kooperieren.

Im Jahr 2016 wur­de bekannt, dass im Bun­des­ver­kehrs­we­ge­plan eine Orts­um­ge­hung Wol­fen­büt­tel mit »Vor­rang­be­darf« zur Fer­tig­stel­lung 2030 auf­ge­nom­men wor­den war, die von der A36 bei WF-Nord öst­lich um die Stadt her­um und bei Wen­des­sen auf die Bun­des­stra­ße 79 führt, die zur Asse läuft. Weder von der Stadt noch vom Land­kreis war eine sol­che Umge­hungs­stra­ße gefor­dert wor­den. Da der über­re­gio­na­le Ver­kehr von Braun­schweig nach Süd­osten (Halle/​Saale) über die A36/​A14 läuft, kann die neue Tras­se nur einen regio­na­len Nut­zen haben, zum Bei­spiel wenn Gefahr­gut per Stra­ßen­trans­port von der Auto­bahn zur Asse ver­frach­tet wer­den soll, ohne dabei durch die Stadt Wol­fen­büt­tel zu müs­sen – viel­leicht Atom­müll-Trans­por­te von den AKW-Stand­or­ten, wo die Anla­gen abge­ris­sen wer­den sol­len? Soll an der Asse ein Umschlag­platz ent­ste­hen, für die Vor­be­rei­tung der Ein­la­ge­rung des Atom­schrot­tes in das alte Eisen­erz­berg­werk Schacht Kon­rad, nur 25 Kilo­me­ter entfernt?

Für die Rück­ho­lung des Atom­mülls aus Asse II könn­te mit Inkraft­tre­ten des aktu­el­len Strah­len­schutz­rechts näm­lich die recht­li­che Recht­fer­ti­gung ent­fal­len sein. Mit der neu­en Strah­len­schutz­ver­ord­nung sind ab 2019 diver­se Sicher­heits­re­ser­ven ent­fal­len. Nun dür­fen aus einer Atom­an­la­ge deut­lich höhe­re Emis­sio­nen (gemes­sen in Bec­que­rel) ent­wei­chen, bis der gleich geblie­be­ne, über Model­le errech­ne­te Grenz­wert der Bela­stung der Men­schen von einem Mil­li­sie­vert pro Jahr erreicht wird.

Die­se Ver­än­de­run­gen sind von der Anti-Atom-Bewe­gung noch nicht aus­rei­chend beach­tet und rezi­piert wor­den, sie wur­den auch poli­tisch kaum dis­ku­tiert. Da der Bun­des­rat zustim­men muss­te, kann man wohl von einer gro­ßen schwarz-rot-grü­nen Koali­ti­on bei der Ände­rung der Berech­nungs­grund­la­gen ausgehen.

Allein über die Anwen­dung des neu­en Berech­nungs­ver­fah­rens für die Aus­brei­tung (ARTM-Par­ti­kel­mo­dell) anstatt des bis­he­ri­gen Gauß-Fah­nen­mo­dells hät­ten sich die errech­ne­ten Bela­stun­gen der Men­schen an der Asse (in mSv) cir­ca um den Fak­tor 10 redu­ziert, bei prak­tisch gleich geblie­be­nen Emis­sio­nen aus Asse II (in Bq). Dies kann beim Ver­gleich der Par­la­ments­be­rich­te Radio­ak­ti­vi­tät von 2014 (Berech­nung nach dem Gauß-Fah­nen­mo­dell) und von 2015 (ARTM-Par­ti­kel­mo­dell) belegt wer­den. Zusätz­lich wur­den die Sicher­hei­ten für die Men­schen an Atom­an­la­gen wei­ter redu­ziert, da neue Rand­be­din­gun­gen für die Berech­nun­gen in der Strah­len­schutz­ver­ord­nung auf­ge­stellt wer­den, dort in Anla­ge 11 (zu §§ 100, 101, 102): redu­zier­ter Auf­ent­halt der Anwoh­ner im Frei­en (Anla­ge 11 Teil B Tabel­le 3); Anwoh­ner befin­den sich nicht mehr am kri­ti­schen Auf­punkt, son­dern an soge­nann­ten »rea­len Auf­ent­halts­or­ten« (Anla­ge 11 Teil C, 6e); Lebens­mit­tel wer­den nicht mehr kom­plett am kri­ti­schen Auf­punkt ange­baut (Anla­ge 11 Teil C; sie­he: https://www.gesetze-im-internet.de/strlschv_2018/anlage_11.html).

Die Kla­ge eines belie­bi­gen Rück­ho­lungs­geg­ners könn­te sich jetzt auf §57b AtG, Absatz 2, Satz 4 beru­fen: »Die Rück­ho­lung ist abzu­bre­chen, wenn deren Durch­füh­rung für die Bevöl­ke­rung und die Beschäf­tig­ten aus radio­lo­gi­schen oder son­sti­gen sicher­heits­re­le­van­ten Grün­den nicht ver­tret­bar ist.« Eine Rück­ho­lung des Atom­mülls wür­de höchst­wahr­schein­lich eine – wenn auch gerin­ge – Frei­set­zung von Radio­ak­ti­vi­tät bedeu­ten. Sie könn­te von Gerich­ten als nicht akzep­ta­bel gewer­tet wer­den, wenn bei einer Flu­tung von Asse II die Grenz­wer­te nach den neu­en Berech­nun­gen ein­ge­hal­ten würden.

Das muss man sich vor Augen hal­ten, wenn man die Situa­ti­on um Asse II rea­li­stisch betrach­ten will. Es hilft nichts, die Augen vor der neu­en recht­li­chen Situa­ti­on zu ver­schlie­ßen und auf die Ver­spre­chen von Regie­rungs­po­li­ti­kern zu vertrauen.

Außer­dem kann auch das Berg­recht zum Hin­der­nis für eine Rück­ho­lung wer­den, weil es bestimm­te Sicher­heits­ab­stän­de (»Sicher­heits­pfei­ler«) an den Flan­ken von Salz­berg­wer­ken ver­langt, in die nicht gebohrt wer­den darf. Auf der 750-Meter-Soh­le, auf der der mei­ste Atom­müll in Asse II ein­ge­la­gert ist, bleibt bei der Berück­sich­ti­gung der gesetz­lich vor­ge­schrie­be­nen Sicher­heits­pfei­ler kaum noch Raum, in dem neue Wege auf­ge­fah­ren wer­den dürfen.

Der Asse-II-Koor­di­na­ti­ons­kreis hat sowohl BGE-Geschäfts­füh­rer Ste­fan Studt (SPD) als auch den nie­der­säch­si­schen Umwelt­mi­ni­ster Olaf Lies (SPD) auf einer gro­ßen Ver­an­stal­tung am 13. Janu­ar 2020 mit den bei­den recht­li­chen Pro­blem­fel­dern kon­fron­tiert und ver­langt, sie mögen dar­stel­len, wie ange­sichts der Pro­ble­me die Geneh­mi­gungs­fä­hig­keit einer Rück­ho­lungs­pla­nung sicher­ge­stellt wer­den soll. Auch erneu­te Nach­fra­gen seit­her blie­ben bis­lang ohne Ant­wort. Offen­sicht­lich wis­sen weder der Betrei­ber von Asse II (die BGE) noch das Umwelt­mi­ni­ste­ri­um in Han­no­ver als Geneh­mi­gungs­be­hör­de, wie eine Rück­ho­lungs­pla­nung geneh­migt wer­den kann. Wie sol­len dann Bür­ger­initia­ti­ven dar­auf ver­trau­en, dass es über­haupt zu einer Rück­ho­lung kom­men soll?

Und wohl­ge­merkt: Noch immer gibt es kei­nen Master­plan für die Rück­ho­lung, noch immer kei­ne Ber­ge­tech­nik, noch immer kei­nen Schacht 5!

Als das Bun­des­amt für Strah­len­schutz (BfS) unter sei­nem Prä­si­den­ten, dem Grü­nen Wolf­ram König, für Asse II ver­ant­wort­lich war, hät­te es einen Master­plan für die Rück­ho­lung erstel­len las­sen müs­sen, dazu fern­ge­steu­er­te Tech­nik für die Ber­gung von Atom­müll aus Salz ent­wickeln und pro­du­zie­ren las­sen müs­sen, einen neu­en Schacht Asse 5 für die Tren­nung von Per­so­nal­trans­port und Mate­ri­al­trans­port bau­en las­sen müs­sen. Das alles ist in den letz­ten zehn Jah­ren nicht pas­siert. »Zielt der Betrei­ber BfS absicht­lich dane­ben?« hat­te der Asse-II-Koor­di­na­ti­ons­kreis schon Mit­te 2016 geti­telt (https://www.asse-watch.de/daneben.html) und fest­ge­stellt: »Hin­wei­se meh­ren sich, dass vie­le Arbei­ten nicht der Rück­ho­lung die­nen, son­dern eine Vern­äs­sung und Flu­tung des Atom­mülls in der Asse vor­be­rei­ten.« Vier­zehn besorg­nis­er­re­gen­de Beob­ach­tun­gen dazu waren der Öffent­lich­keit mit­ge­teilt worden.

Statt für die Rück­ho­lung not­wen­di­ge Maß­nah­men zu ergrei­fen, wur­de viel Zeit mit einer soge­nann­ten Fak­ten­er­he­bung und mit Nichts­tun ver­tan. Außer­dem wur­den Maß­nah­men umge­setzt, die schäd­lich für eine Über­wa­chung des Atom­mülls und der Lau­gen­flüs­se in der Anla­ge sind. So wur­den bei­spiels­wei­se Lau­gen­sümp­fe von den Atom­müll-Kam­mern ver­füllt, eben­so die kom­plet­te »2. süd­li­che Richt­strecke nach Westen« auf der 750-Meter-Soh­le, die an vie­len der Atom­müll-Kam­mern entlangführt.

Der Ver­dacht ist kaum abzu­wen­den, dass die Bekennt­nis­se zur Rück­ho­lung Lip­pen­be­kennt­nis­se sind, dass die Rück­ho­lung nur vor­ge­spie­gelt wird, um rela­tiv wider­stands­arm eine Atom­müll­fa­brik (»Kon­di­tio­nie­rungs­an­la­ge«) und ein bun­des­wei­tes Atom­müll-Zwi­schen­la­ger an der Asse errich­ten zu können.

 

Die Aus­schrei­bung ist zu fin­den unter: https://www.service.bund.de/IMPORTE/Ausschreibungen/subreport/2020/11/E62375849.html