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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ein Staatsanwalt entdeckt die Bibel

Sei­ne Aus­sa­gen lösten in der nie­der­säch­si­schen Pro­vinz ein mitt­le­res Erd­be­ben aus, des­sen Aus­wir­kun­gen das Justiz­mi­ni­ste­ri­um in Han­no­ver erreich­ten: Ent­ge­gen den Gepflo­gen­hei­ten sei­nes Stan­des ent­pupp­te sich ein Olden­bur­ger Staats­an­walt als ein enga­gier­ter Ver­tei­di­ger eines Straf­tä­ters. Der war wegen erwie­se­ner Kin­des­miss­hand­lun­gen ver­ur­teilt wor­den, soll­te nun aber im Beru­fungs­ver­fah­ren nach den Vor­stel­lun­gen eben die­ses Staats­an­walts eine Ein­stel­lung sei­nes Ver­fah­rens bekom­men, zumin­dest aber eine beträcht­li­che Straf­mil­de­rung auf Bewäh­rung. Sei­ne Begrün­dun­gen dafür ent­nahm der Mann der Rechts­pfle­ge der Bibel und der kirch­li­chen Tra­di­ti­on bis hin zum Papst Fran­zis­kus sowie der dar­aus abge­lei­te­ten abend­län­di­schen Rechts­pra­xis, wonach den Erwach­se­nen gegen­über den Kin­dern bis in die jüng­ste Ver­gan­gen­heit hin­ein das »Züch­ti­gungs­recht« (in der Regel durch Prü­gel und Ein­sper­ren aus­ge­übt) zustand. In Deutsch­land galt das bis ins Jahr 2000, als mit einer Ände­rung des § 1631, Abs. 2 BGB fest­ge­schrie­ben wur­de: »Kin­der haben ein Recht auf gewalt­freie Erziehung.«

Schlüs­sel­wort des bibel­kun­di­gen Staats­an­wal­tes war für sei­ne Aus­füh­run­gen ein Bibel­wort, das jahr­hun­der­te­lang als grund­le­gen­de Erzie­hungs­an­lei­tung galt: »Wer sein Kind liebt, der züch­tigt es« (Sprü­che 13 Vers 24), ähn­lich Hebrä­er 12,6. So bru­tal der bibli­sche Rat­schlag schon ist – er wird von etli­chen ande­ren bibli­schen Erzie­hungs­rat­schlä­gen in ihrer Grau­sam­keit getoppt: Kin­der sind in wei­ten Tei­len der Bibel – übri­gens ent­ge­gen den Aus­sa­gen Jesu, zum Bei­spiel Mar­kus 10,13 ff. – Objek­te oder sogar Opfer der gött­li­chen und väter­li­chen Gewalt und Will­kür und dadurch ihrer mensch­li­chen Wür­de beraubt. Nur ein paar Bei­spie­le dazu: Kin­der kön­nen als Schlacht- oder Brand­op­fer an Stel­le eines Tie­res dem Gott Jah­we dar­ge­bracht wer­den, so zum Bei­spiel 1. Mose 22,2, Rich­ter 11,30 ff.; Kin­der des Fein­des sol­len aus Rache »am Fel­sen zer­schmet­tert« wer­den (Psalm 137,9); »unge­hor­sa­me Söh­ne sol­len gestei­nigt wer­den« (5. Mose 21, 18-21) und so wei­ter und so fort.

Sol­che »Gött­li­chen Gebo­te« wur­den also mit der kirch­li­chen Tra­di­ti­on über­lie­fert. Auch wenn sie nicht befolgt wur­den – sie ste­hen nun mal in der »Hei­li­gen Schrift«, die nach Auf­fas­sung vie­ler Grup­pen in der Chri­sten­heit in allen Aus­sa­gen »irr­tums­los wahr« und damit ver­bind­lich ist. Auch Luther moch­te in sei­ner Hoch­schät­zung der Bibel davon nicht abwei­chen. Für das Ver­hält­nis der Eltern zu ihren Kin­dern galt für ihn Römer 13,1: »Jeder­mann sei unter­tan der Obrig­keit, die Gewalt über ihn hat.« Dem Wort ent­spre­chend muss­te das »jun­ge Volk« zum abso­lu­ten Gehor­sam gegen­über den »Ober­per­so­nen« abge­rich­tet wer­den. Das hat­te Aus­wir­kun­gen bis in die fol­gen­den Jahr­hun­der­te hin­ein, eine rech­te Unter­ta­nen­fa­brik, vor allem auch für Kriegs­zwecke. Im Vor­wort zu sei­nem »Klei­nen Kate­chis­mus«, sei­nem grund­le­gen­den Lehr- und Erzie­hungs­buch in »ein­fa­cher Form«, ermahnt Luther die Pfar­rer, dar­auf zu ach­ten, dass das »jun­ge Volk« lernt, die Tex­te der »Fünf Haupt­stücke« dar­in »Wort für Wort aus­wen­dig nach­zu­spre­chen«. »Aber denen, die es nicht ler­nen wol­len, denen … sol­len die Eltern Essen und Trin­ken ver­sa­gen und ihnen klar­ma­chen, dass der Fürst sol­che leicht­fer­ti­gen Leu­te aus dem Lan­de jagen wird.« Im »Gro­ßen Kate­chis­mus« (zum 4. Gebot) droht der Refor­ma­tor: »Willst du nicht Vater und Mut­ter gehor­chen und dich las­sen zie­hen, … so gehor­che dem Hen­ker«, wo nicht … »dem Strecke­bein, das ist der Tod«. Das ist die »fro­he Bot­schaft« für die Kin­der, die in den Luthe­ri­schen Bekennt­nis­schrif­ten steht, auf die noch heu­te die ange­hen­den Pasto­ren ver­pflich­tet werden.

Zurück zu unse­rem Olden­bur­ger Staats­an­walt: Sei­ne Vor­ge­setz­ten haben zu Recht fest­ge­stellt: »Reli­giö­se Begrün­dun­gen gehö­ren nicht in ein Plä­doy­er.« Und das nie­der­säch­si­sche Justiz­mi­ni­ste­ri­um bekräf­tig­te: »Kin­der haben ein gesetz­li­ches ver­brief­tes Recht auf eine gewalt­freie Erzie­hung.« Gut so, immer wie­der dar­an zu erin­nern, denn: Laut einer jüng­sten Umfra­ge im Auf­trag des Deut­schen Kin­der­schutz­bun­des hält knapp jeder Zwei­te in Deutsch­land kör­per­li­che Gewalt gegen Kin­der immer noch für ange­bracht. Die Vor­gän­ge in Olden­burg müss­ten des­halb in einer geleb­ten Demo­kra­tie Anlass sein, die kin­der­feind­li­chen Tex­te der Bibel sowie auch alle ande­ren men­schen­feind­li­chen Gebo­te dort, zum Bei­spiel den Auf­ruf zur Ermor­dung Homo­se­xu­el­ler (3. Mose 20,13) oder die Auf­for­de­rung zur Aus­rot­tung aller Ein­woh­ner eines frem­den Lan­des in einem von Gott ange­ord­ne­ten Erobe­rungs­krieg (zum Bei­spiel Josua 6), zusam­men mit den vie­len anti­se­mi­ti­schen Tex­ten im Neu­en Testa­ment (Johan­nes 8 Vers 44: »Die Juden haben den Teu­fel zum Vater«) end­lich ein­mal auf­zu­li­sten und öffent­lich als gemein­ge­fähr­lich zu äch­ten – Hun­der­te von Bibel­stel­len! Sonst näm­lich wer­den, bei anschwel­len­dem evan­ge­li­ka­lem Fun­da­men­ta­lis­mus auch bei uns, immer wie­der biblisch/​religiös ver­bräm­te Miss­brauchs­fäl­le die Gesell­schaft und vor allem die Kin­der dar­in heim­su­chen und ihrer Wür­de berau­ben. Ein Jurist, der dafür eine Recht­fer­ti­gung bereit­hält, wird sich dann immer auch fin­den lassen.